Mit feinster Klinge unter Gaunern und in allergröbstem Krieg
„Sämtliche Erzählungen“ Isaak Babels (1894-1940) - und „erstmals vollständig in einheitlicher Übersetzung“ (Klappentext) - vereinigt auf über 850 Seiten dieses trotzdem handliche, wertvolle Buch (Dünndruck) des Hanser Verlags, dazu ergiebig: Kommentar, Nachwort, Zeittafel, Karten. Zwei Lesebändchen.
Aufgenommen wurden Babels narrative Prosatexte, also nicht die Dramen, Drehbücher, Essays, autobiographischen Skizzen, Briefe, Tagebücher, Vorstufen von Texten, auch nicht das Kapitel, das Babel zu dem geplanten Kollektivroman „Große Brände“ beisteuerte.
Hinsichtlich der Schreibung russischer Orts- und Eigennamen haben die Herausgeber Urs Heftrich und Bettina Kaibach die wissenschaftliche Transliteration da abgemildert, wo sich für den deutschen Leser Erleichterungen ergeben mögen; so wird im Buch aus „Boršč“ ein für das Slavistenauge allemal erschröckliches „Borschtsch“ (Zitate hier, wenn nicht anders gekennzeichnet, wie auch im Folgenden aus dem Anhang des Buches).
Was die Übersetzungen anbelangt, so haben die Herausgeber Peter Urbans Übersetzung der Reiterarmee („nach behutsamer Revision in Abstimmung mit dem inzwischen verstorbenen“) integriert, für alle übrigen Erzählungen aber hat Bettina Kaibach Neuübersetzungen angefertigt: Bravo!, nämlich für die hier so betitelten Zyklen: „Die Geschichten meines Taubenschlags“, „Geschichten aus Odessa“, „Erzählungen des ersten Jahrzehnts (1913-1923)“, „Erzählungen vom Ruhm bis zum Verstummen“ sowie „Aus den Manuskripten und Fragmenten“. Die vielen Facetten des Babelschen Stils haben in diesem Buch die Übersetzung „aus einem Guss“ verlangt:
„Babels Sprache ist unverwechselbar. Äußerste Lakonie verbindet sich mit barocker, manchmal regelrecht orientalischer Pracht. In der Stimmenvielfalt seiner Texte mischt sich der Jargon odessitischer Ganoven mit dem Pathos biblischer Propheten, die nüchterne Knappheit der Reportage mit der ornamentalen Wortfülle lyrischer Dichtung. Immer wieder lässt Babel unterschiedliche Register aufeinanderprallen und verleiht seinen Texten dadurch einen spezifischen Rhythmus. Mit dem vom Jiddischen und Ukrainischen geprägten Slang der jüdischen Gangster in den ‚Geschichten aus Odessa‘ hat er sogar eine eigene Sprache geschaffen, die längst mythische Qualität erlangt hat und bis heute in Liedern und Anekdoten imitiert wird.“
Isaak Babel jetzt wieder zu lesen, ist mit der Kennzeichnung „Ein Lesegenuss“ kaum treffend benannt. Dazu ist sein Werk erstens zu fordernd und zweitens trifft einen sofort der Blitz, in reinste Weltliteratur eingetaucht zu sein. (Bei immer präsentem Schrecken, versteht sich, um seine Ermordung, laut Herausgebern am 27.1.1940.) In den Erzählungen zu seiner Kindheit entsteht mitunter ein gleichsam lieber Ton (wie in Gorkijs Erzählungen zur Kindheit, eines Gönners Babels im Übrigen), der allerdings von Anfang an eingebettet ist in den Schmerz über den allgegenwärtigen Pogrom und das mitunter vielleicht bange Wissen um die eigene Fabulierlust, ihre Reichweite:
In Borgmans Worten war keine Poesie. Ich hielt es nicht aus und mischte mich ein. Denen, die mich hören wollten, erzählte ich vom alten Amsterdam, vom Dämmerlicht des Ghettos, von den Diamantschleifern, die zugleich Philosophen waren. Gelesenes wurde reichlich mit Eigenem garniert. (aus der herzzerreißenden Erzählung „Im Keller“)
Die Geschichten aus Odessa liest man Großteils wie den tollkühnsten Schelmenroman:
‚Musjö Ejchbaum‘, so schrieb er, ‚hiermit möchte ich Sie bitten, morgen früh zwanzigtausend Rubel unter dem Tor zur Sofijevskaja Nr. 17 zu deponieren. Wenn Sie es nicht tun, dann erwartet Sie was, sowas hats noch nicht gegeben, und ganz Odessa wird vonwegen Ihnen reden. Hochachtungsvoll Benja König.‘ (Erzählung „Der König“)
Die Erzählungen zu Revolution, Bürgerkrieg, Stalinismus enthalten dermaßen Schreckliches, dass man sich auch für die Zukunft nichts mehr zu erhoffen wagt:
‚Da redet man mit dir wie mit einem Menschen‘, sagte Černyšov und schoss. … Am Kopf des Toten saß reglos die Zwergin. Im verdämmernden Mondlicht wirkte ihr Gesicht mit den verzogenen Knochen metallisch. Auf ihrem Schoß schlief das Kind. ‚Milch‘, sagte Černyšov plötzlich, während er den Weg entlang schritt, ‚ dir zeig ich, was Milch ist …‘ (Erzählung „Sulak“)
Über allem thront hinsichtlich Babel natürlich dessen Zyklus Die Reiterarmee, „dieser Seufzer eines Intellektuellen, der an den Widersprüchen der Revolution verzweifelt“, (russische Originalausgabe 1926 Konarmija, engl. Red Cavalry, 34 Texte), die der Leser insgesamt wie der Protagonist - natürlich, möchte man auch sagen – bei handlungsmäßiger Einbettung in den polnisch-russischen Krieg von 1920 - als Expedition in das Land eigener Ambivalenzen erlebt:
‚Die Revolution, sagen wir zu ihr ja, aber sagen wir darum zum Sabbat nein?‘, so beginnt Gedali und umschlingt mich mit den seidenweichen Riemen seiner rauchgrauen Augen. (Erzählung „Gedali“)
Manchmal regulärer Handelnder in fester militärischer Funktion („Gestern begab ich mich zur Berichterstattung zum Kriegskommissar“, Erzählung „Kirche in Novograd“) inmitten von Kriegsgetriebe, Willkür und Massenmord; manchmal scheinbar einvernehmlich( „Und auf das Zeichen des Divkom gingen wir zur Attacke über, der unvergleichlichen Attacke bei Czesńiki.“ (Erzählung „Czesńiki“); dann wieder über allem schwebender Beobachter, bloßer “Pan Schreiber“ (in „Pan Apolek“), bezeugen doch gerade die besonders bedeutungsschweren Abschlusssätze mehrerer dieser kurzen Erzählungen, wie insgesamt unsicher sich der Erzähler in der neuen, bolschewistischen Welt fühlt:
Durch die Stadt streifte der unbehauste Mond. Und ich ging mit ihm und wärmte unerfüllbare Träume in mir auf und misstönende Lieder“ (Erzählung „Pan Apolek“)
Ein solches Buch bei sich zu haben, ist etwas ganz Besonderes: Isaak Babel in der frischesten Übersetzung, all seine Erzählungen ausgiebig kommentiert. Der Hanser Verlag hat das Seine getan. Werden wir aber, lesend, Isaak Babel genügen?
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