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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Rettung aus der grausamen Welt

Josef Winkler und die Realität

Was Sie schon immer über Josef Winkler gewusst haben und einmal zusammengefasst und komprimiert lesen wollten, das finden Sie in diesem Buch, das sich wie eine „Einführung“ in Leben und Werk des 1953 geborenen, 2008 mit dem Büchner-Preis ausgezeichneten Kärntner Autors liest. Winkler zeichnet darin die Anfänge seines Schreibens, seine Motivationen und Intentionen, aber auch seine Konflikte und Stillstände nach. 1953 in dem Kärntner Dorf Kamering geboren, in einer Bauernfamilie, in der Arbeit und das Schweigen dominieren, durchläuft Josef Winkler einen äußerst langwierigen und schmerzvollen Emanzipationsprozess, der von den ersten, noch verbotenen Lektüren im Heimathaus immer tiefer in die Welt von Kunst und Literatur führt und schließlich in den ersten Schreibversuchen kulminiert. Winkler erzählt einmal mehr von dem unmittelbaren Anlass seines Schreibens, dem Doppelselbstmord zweier jugendlicher Burschen in seinem Heimatdorf, die sich, ineinander verkeilt und eng umschlungen, in einem Stadel mit einem Kalbstrick erhängt haben, von dem Schrecken und der Eifersucht, womit er diesen Doppelselbstmord erfahren habe, und von den vielen tausend Seiten, in denen sich sein Leiden und seine Qual ergossen haben. Er erzählt von der Stimmung latenter Gewalt, die am Bauernhof geherrscht hat, und von der omnipräsenten Religiosität, die ebenso einschüchternd wie formbildend gewesen ist. Wir erfahren von seiner „Rückkehr“ als verlorener Sohn auf den väterlichen Hof, als ihm nach den ersten Schreibergüssen die Stoffe auszugehen drohten. Er evoziert die harte Willkür des Vaters und das stumme Hantieren der Mutter, die Rituale und Zeremonien, die bei Sterbefällen beachtet werden und die schon Kleinkinder auf eine äußerst brutale Weise mit dem Anblick von Toten konfrontieren. Er erinnert sich an die Faszination des Todes, die bereits im heimatlichen Kärnten Todesfälle und Begräbnisse in ihm ausgelöst haben, eine Faszination, die dann auf Reisen nach Italien, nach Indien und Mexiko weiter ausgelebt und vertieft werden konnte. Personen, die für seine Entwicklung als Künstler wichtig waren, werden hervorgehoben wie die Pfarrersköchin, die ihn mit Karl May-Büchern versieht, und vor allem der Lehrer und Kunstmaler Georg Rudesch, der ihn in die Geschichte der Kunst und Malerei einführt und ihn z.B. mit dem Maler Chaim Soutine bekannt macht. Dem aus Russland kommenden, im Paris der 1910er Jahre sich durchsetzenden Maler Chaim Soutine ist neben dem Dichter Jean Genet ein langes Kapitel gewidmet. Beide, Soutine wie Genet, bildet so etwas wie ein alter ego für Josef Winkler. Beide kommen sie aus sehr armen, kunstfernen Bevölkerungsschichten, in denen Tradition und Religion sehr wichtig sind; und beide müssen sich ihren Weg zum Künstlertum mit viel Schmach und Entbehrung und gegen die Widerstände der Herkunftsfamilie mühsam erkämpfen.

Was vielleicht „neu“ und besonders von Interesse ist, sind die vielen Hinweise darauf, was Literatur eigentlich sein kann, welchen Impulsen sie sich verdankt, welche Wirkungen sie haben kann und welche Hoffnungen sich an sich knüpfen. Aus der traumatischen Erfahrung des Doppelselbstmordes zweier Jugendfreunde entstanden, hatte das Schreiben für Winkler wohl vorerst therapeutische, heilende Wirkung. Schreibend konnten sowohl der Schmerz als auch die „Ungerechtigkeit“ bewältigt und aufgehoben werden. Das Schreiben diente aber nicht nur dazu, den Selbstmord der anderen zu verarbeiten, sondern vor allem auch dazu, den eigenen Selbstmord zu verhindern, ihn „aufzuschieben“. Schreiben, um sich zu retten, das mag hier das Schlagwort sein. Auf jeden Fall betont Winkler in all seinen Reflexionen die existentielle Komponente seiner Auseinandersetzung mit Literatur. Dazu gehört auch die Lektüre von Autoren, denen er sich in besonderer Weise verbunden fühlt – sei es, dass sie aus ähnlich ärmlichen und kunstfernen Milieus stammen wie er selbst und sich ihren Weg zur Kunst mühsam erkämpfen mussten wie Jean Genet, sei es, dass sie unter ihrer nicht akzeptierten Sexualität litten wie Julien Green, sei es, dass sie unter einem allzu dominanten Vater stöhnten wie Franz Kafka, sei es, dass sie früh zu Tode kamen wie Georg Büchner. Literatur muss „treffen“, sie muss berühren und wehtun: „einem Dichter, der nicht an seinen eigenen Sätzen zerbricht und daran stirbt, konnte ich damals kein Wort glauben. Und wenn ich beim Lesen nicht spürte, daß die Sprache ununterbrochen, Satz für Satz auf die goldene Waage gelegt, Leben und Tod auspendelte, interessierte mich das Buch nicht […]. Es langweilte mich, so kann ich es sagen, buchstäblich zutode.“ (S. 41) Literatur muss unter die Haut gehen. Seine Lieblingsbücher trägt der junge Josef Winkler in einer „ledernen Umhängetasche – Leder ist Haut“ (S. 39) – immer bei sich. Wie er so sein Schreiben dem Leben „abtrotzt“ – in diesem Sinn würde ich gern den an sich paradoxen Titel „Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär“ verstehen –, das wird auch in diesem Buch noch einmal deutlich. Die Literatur bildet einen Kontrapunkt zum Leben, die Autoren werden zu „anderen“, besseren Freunden, in der Literatur tut sich eine alternative Welt auf, in der Sensibilitäten nicht verlacht und Schmerzen nicht weggeschwiegen werden.

Dass aus diesem Amalgam von dörflich-katholischer Borniertheit, brutalem Unverständnis und ständig schlechtem Gewissen ein eigenes Schreiben und – vor allem – ein eigener Stil entstehen kann, der typische Winkler-Stil eben, der von Gebeten, Litaneien und Heiligen-Anrufungen ebenso stark geprägt ist, wie er sie ablehnt, das wird  in diesem Band leider nur an einigen wenigen Stellen deutlich. Etwa wenn er vom Café Marguerite auf der Place d´Italie schreibt, dann blitzt etwas auf von dem Aufzählungs- und Litaneikünstler Winkler, der die Wirklichkeit bändigt, indem er sie detailreich und ohne Behübschung nachzeichnet. Die Welt ist grausam und hässlich. Allein das Schreiben vermag daraus zu retten bzw. diese widerspenstige Welt in den Griff zu bekommen, indem es sie benennt.

Ein interessantes Buch, ein schönes Buch, aber sicherlich nicht Winklers bestes Buch. Aber wie schon eingangs gesagt: Was Sie schon immer …   

Josef Winkler
Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht wär
oder Die Wutausbrüche der Engel
Suhrkamp
2011 · 163 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-518421376

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