Biographie als Eröffnungsspiel
In seinem Vorwort schreibt Julian Schütt, er hätte gern er den jungen Max Frisch kennengelernt, den Menschen, der sich damals „der Zeit ganz und gar aussetzte, ohne sich ihr als Beobachter und Autor auszuliefern.“ Andererseits ist er froh, dem Autor nicht persönlich begegnet zu sein, weil er fürchtet, Frisch wären seine eigenen Anfänge zu unwichtig erschienen und er hätte ihm deshalb das Buch ausgeredet. Außerdem, so führt er an anderer Stelle aus, hasste Frisch nichts so sehr wie einen zurückblickenden Lebenslauf, der deterministisch alles so beschreibt, als hätte es dazu keine Alternativen gegeben. „Sein Leben sollte aus lauter Anfangsstunden bestehen“, ein Anliegen, das Schütt trotz chronologischer Darstellung immer wieder betont.
„Biographie eines Aufstiegs“ lautet der Untertitel des fast sechshundert Seiten starken Buches. Folgerichtig beginnt es 1911 mit Frischs Geburt und endet 1954 mit dem durchschlagenden Erfolg seines Romans „Stiller“. Gleich drei Gründe führt Schütt an, weshalb er keine Gesamtbiographie über den immerhin schon vor mehr als zwanzig Jahren verstorbenen Autor vorlegt. Erstens sei die Quellenlage für spätere Jahre zu uneinheitlich, wofür er den noch nicht veröffentlichten Briefverkehr mit Ingeborg Bachmann nennt, zweitens will er Frischs Wunsch entsprechend den Menschen beschreiben, für den alles noch im Fluss ist. Besonders ausführlich handelt das Buch aber von dem, was Schütt als dritten Grund anführt: „Am Beispiel des jüngeren Max Frisch lässt sich veranschaulichen, wie Widerstand entsteht, zunächst gegen das Ich, das von den allerersten Texten an präsent ist.“
Doch nicht nur von Frischs ständigem Infragestellen des Ichs handelt dieser Widerstand. Schütt geht auch sehr detailliert auf den zeitgeschichtlich beeinflussten Werdegang des jungen Autors ein. Vor dem Hintergrund der Katastrophe des Dritten Reiches und des zweiten Weltkrieges entwickelte sich Frisch von einem angepassten, apolitischen Menschen zu dem kritischen Autor, der in seiner Heimat bald zu einem Außenseiter wurde. Denn trotz der Neutralität der Schweiz schwappten Ereignisse und mehr noch Ideologien in das Land und forderten auch Max Frisch zu Stellungnahmen heraus.
Das erste Kapitel beschreibt Kindheit und Jugend. Er hatte einen schwierigen oft von Geldsorgen und Arbeitslosigkeit geplagten Vater, eine Mutter, die nicht loslassen konnte: Frisch kam aus bescheidenen Verhältnissen. „Der Tod des Vaters und die Geburt des Autors Max Frisch – das gehört zusammen“, schreibt Schütt über das Jahr 1932. Damals war Frisch 21 Jahre alt. Weil er nach dem Tod des Vaters Geld verdienen musste, brach er sein Germanistikstudium ab und begann als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen, wobei die meisten Artikel in der „Neuen Züricher Zeitung“ erschienen. Ungefähr 250 Artikel unterschiedlicher Genres schrieb er zwischen 1932 und 1936. Obwohl Frisch später davon nur achtzehn in seine Gesamtausgabe aufnahm, weil er sie offensichtlich nachträglich nicht wertschätzte, geht Schütt dennoch intensiv auf diese ersten Schreibversuche ein, weil Frisch darin zu einem „Erzähler–Ich“ fand. Schütts Liebe zum Detail zeigt sich in allen Kapiteln. Lässt man Kindheit und Jugend beiseite, so handeln die folgenden Seiten von der relativ kurzen Zeitspanne zwischen 1932 – 1954. Um „the Making of Max Frisch“ allumfassend darzustellen, lässt Schütt nicht nur Frisch selbst in allem, was er während dieser Zeit geschrieben hat, zu Wort kommen, sondern führt auch zahlreiche, nicht immer freundliche, Stellungnahmen, Briefwechsel, Rezensionen seiner Zeitgenossen auf. Auch Schütt selbst interpretiert die ersten literarischen Versuche und beschreibt die Entstehungsgeschichte von Frischs erstem Roman „Jürg Reinhart“.
Bei aller Sympathie zu seinem Autor verschweigt Schütt in diesem Zusammenhang nicht, wie opportunistisch Frisch während der Dreißiger Jahre war. Da er unbedingt auch in Deutschland bekannt werden wollte, veröffentlichte er seine ersten Bücher noch bis 1937 in der „keineswegs regimekritischen DeutschenVerlags-Anstalt. Die Irrungen und Wirrungen seiner damaligen Ansichten berührten oft heikle Bereiche. Politisch äußerst indifferent wollte er nicht für und nicht gegen Deutschland sein, brachte für die in die Schweiz geflüchteten Exilautoren wenig Verständnis auf und schloss sich den Meinungen des Germanisten Emil Staiger und des Feuilletonchefs der Neuen Züricher Zeitung Eduard Korrodi an, die als konservative Mainstream-Autoritäten galten. Noch 1935 besuchte Frisch in Berlin eine Nazi-Propagandaausstellung, die er „unleugbar eine Prachtleistung“ nannte. Sein Biograph vermerkt dazu: „Man fasst sich an den Kopf.“
Umso interessanter ist zu verfolgen, wie sich Frisch nach dem Krieg zu dem zweifelnden und kritischen Autor entwickelte, als den wir ihn kennen. Ein Autor, dem die Schweiz bald zu eng wurde und der am Züricher Theater mit seinen ersten Stücken zunehmend auf Ablehnung stieß. Auch den Architekten Frisch lernt der Leser kennen, hatte Frisch doch noch diesen Beruf erlernt, um neben der Schriftstellerei dem eigentlichen Leben näher zu kommen.
Als wichtigen Beleg seiner Gedanken zitiert Schütt immer wieder das später bei Suhrkamp veröffentlichte Tagebuch 1946 -49. In dieser Zeit machte er Bekanntschaft mit Bertold Brecht, Friedrich Dürrenmatt und eben mit seinem späteren Verleger Peter Suhrkamp. Begegnungen, die ihn nachhaltig beeinflussten.
Frisch war ein manischer Schreiber. Alles Alltägliche schien ihm erwähnenswert, hielt er in kleinen Notizbüchern fest. Es war ein langer Weg bis Frisch mit „Stiller“ 1954 der Durchbruch gelang. Schütt lässt keine Stufe dieses Weges aus. Auch nicht sein kompliziertes Liebesleben mit Ehe und vielen mehr oder weniger dauerhaften Beziehungen.
Die vielen Details erfordern vom Leser einen langen Atem. Belohnt wird er durch die Verbindung von Zeitgeschichte und individueller Entwicklung Max Frischs. Es ist gut, dass Schütt mit seiner Beschreibung 1954 abbricht. Um die restlichen 37 Jahre des Lebens von Max Frisch ähnlich ausführlich darzustellen, müsste er einen zweiten Band, ein „Endspiel“, schreiben.
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