Angriffe aus dem Hinterhalt
Konvertiten sind bekanntlich oftmals die schlimmsten. Das gilt für ehemals rauchende Nichtrauer ebenso wie für vormals heidnische Katholiken. Zur letzteren Gattung zählt der französische Schriftsteller und Journalist Léon Bloy, dessen Sammlung von Kurzgeschichten zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 nun erstmals in einem Band zusammengefasst in deutscher Übersetzung vorliegt. Die Feuilletons sind begeistert, beinahe wie damals, als Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, was mitunter daran liegen könnte, dass gerade Künstler und Intellektuelle dem latent größenwahnsinnigen Konzept der Unsterblichkeit emotional doch mit etwas mehr Verständnis begegnen als sie rational bereit wären einzuräumen.
Doch war Bloy nicht nur konvertierter Katholik, der sich selbst in der Tradition der großen Propheten sah und viel vom Ende der Welt schwadronierte, sondern auch französischer Nationalist und Chauvinist. Das war nicht weiter ungewöhnlich, das waren damals die meisten – nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland und anderswo. Das besondere an Bloy war die Verknüpfung von chauvinistischer Vaterlandsliebe mit katholischen Endzeit- und Erlösungsphantasien, was die Vorlage für die meisten seiner Geschichten lieferte.
Den Rahmen der 30 Stories bildet, wie angedeutet, der deutsch-französische Krieg 1870/71, an dem Bloy ab der zweiten Hälfte auf französischer Seite teilgenommen hat. Jedoch kämpfte er nicht als ein regulärer Soldat in der französischen Armee, sondern war ein sogenannter „Franc-tireur“, ein Freischärler. Diese griffen, zivil gekleidet und nur lose organisiert, punktuell in das Kriegsgeschehen ein, nachdem die militärische Niederlage der Franzosen offenkundig geworden war. Ihre Feinde waren nicht nur die verhassten Preußen, sondern auch die Teile des französischen Bürgertums, die, um ihre Besitztümer zu retten, mit den Besatzern kollaborierten. In ihrer Anzahl und Ausrüstung haushoch unterlegen, suchten die „Franc-tireurs“ nicht den offenen Kampf, sondern setzten auf Sabotage und Angriffe aus dem Hinterhalt. Ziel war es, Angst und Schrecken unter den Besatzern sowie dem Teil der Bevölkerung, der mit den Deutschen paktierte, zu verbreiten.
Entsprechend wird in Bloys Geschichte, die übrigens erst rund 15 Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg entstanden sind, jede Menge gemordet, gefoltert und vergewaltigt; zudem werden unzählige Augen ausgestochen, Wirbelsäulen zermalmt und Ohren gleich dutzendweise abgeschnitten. Kurzum, das ganze Spektrum der Gewalttätigkeiten, das sich das sensationslüsterne Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts von der Zeitungslektüre wünschte, und das es von der Kriegsberichterstattung, insbesondere der aus den Kolonien, auch gewohnt war, wird von Bloy bedient – zumal seine Kurzgeschichten für die Tagespresse bestimmt waren.
Dazu drei Beispiele:
In „Die Messe der kleinen Verreckten“ weigern sich sowohl die französischen Truppen als auch der Geistliche, den Gottesdienst zu unterbrechen („Unter theologischen Gesichtspunkten gibt es keine höhere Gewalt – es sei denn, sie käme von Gott! –, die ihn [den Geistlichen] von der absoluten Notwendigkeit, die unaussprechliche Handlung zu vollziehen, befreite.“), obwohl die feindlichen Truppen bereits die Kirche stürmen. Was folgt ist „etwas zugleich Furchtbares und Schönes“: Die betenden Franzosen „ließen sich tatsächlich alle auf der Stelle und in genau der Zeit abschlachten, die dazu nötig war, die schmutzigen Häretiker das wahre Opfer nicht unterbrechen zu lassen.“ Doch ist das Gemetzel nicht umsonst, sondern „die Preußen mussten es teuer bezahlen, denn die Jünglinge kämpften, als seien sie mehr als Menschen, und man erzählte, dass der grässliche Herzog von Mecklenburg, der Frauen mit Kanonen belagern ließ, bei der Nachricht von der Tat der kleinen Verreckten geschluchzt haben soll.“
Kannibalisch geht es am „Tisch der Sieger“ zu, als eine Französin, die sich als Köchin und Krankenpflegerin ins Lager der Besatzer einschleicht, einem Preußen-Offizier seinen eigenen Sohn – „einen hübschen kleinen Hauptmann“ – auftischt. „Mehr!, mehr, gute französische Küche! [...] drei Tage lang hat er davon gegessen, der General! Ah! Das hervorragende Kalbshirn [...]. Er hat noch mal danach verlangt, der alte Vielfraß, aber ich habe ihm geantwortet, dass dies das einzige Kalb gewesen sei [...] und am dritten Tag verschlang der Vater des hübschen kleinen Dragoners das Herz des eigenen Sohnes!“ Als ihm die Köchin schließlich darlegt, was er gerade gegessen hat – „Ich glaubte vor Glück zu sterben. Ich musste darüber sprechen“ –, starb der deutsche Offiziere auf der Stelle, und noch am selben Tag, damit endet die Geschichte, wird sein Sarg in die Heimat zurückgeschickt.
„Der entsetzliche Gerichtsvollzieher“ hingegen macht zunächst mit den Deutschen gemeinsame Sache; er bereichert sich an Plünderungen und hintergeht seine Landsleute. Dann aber erhält er die Order, vierzig preußische Soldaten bei sich einzuquartieren. „Ihn selbst hatte man für mehrere Stunden im Pferdestall gefesselt, während seine alte Gefährtin [...] – deren Hässlichkeit sogar den Ziegenböcken und Talamasken Angst einjagte – geschändet wurde und mehrfache Ladungen von jedem ihrer Belagerer, die so schändlich waren, auch noch ihre Kameraden einzuladen, empfing.“ Auf Rache sinnend, präpariert er daraufhin sein Haus mit Benzin und Terpentin und brennt es mitsamt den Deutschen bis auf die Grundmauern ab. „Der Gerechtigkeitsoffizier hatte seine Vorbereitungen tatsächlich gut getroffen und mit so viel Genauigkeit und Klugheit ausgeführt, dass keinem der achtzig Männer, die dazu verurteilt waren, bei lebendigem Leib zu verbrennen, die Flucht aus dem Backofen gelang [...] Dies war die größte Pfändung des Halunken von Gerichtsvollzieher [...], der niemals wieder unter den Menschen gesehen wurde.“
Bei Bloy gibt es kein Dazwischen, es gibt nur das Absolute. Den Kampf des katholischen Frankreichs gegen das Böse schlechthin – das protestantische Preußen – interpretiert er eschatologisch als Vorbote der Apokalypse. Wie einst Jesu im Garten Gethsemane, so schwitzt 1870/71 die gesamte französische Nation Blut. Doch so sehr Bloys Geschichten den Leser phasenweise auch fesseln, die gewählten Motive und auch die Sprache lassen sich allzu leicht der Zeit ihrer Entstehung zuordnen. Der Journalist Léon Bloy wusste eben recht genau, was die Zeitungsleser am Ende des 19. Jahrhunderts erwarteten – und er bemühte sich, ihnen das Gewünschte zu liefern.
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