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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Bag Lady

Scheinheiligkeit wird demaskiert, brutale Macht dargestellt.
Hamburg

Sie hat einen Namen. Sie hatte auch einmal einen angesehenen Beruf, ein festes Einkommen, ein gesichertes bürgerliches Leben – und verliebte sich, welch Krönung, in einen Mann, der ihr überzeugend beibrachte, wie sich spezielle Liebe für ihn anfühlen musste.

Jetzt nennt sie sich Lady Bag, hat einen ausgeprägten Hang zu billigem Rotwein, eine Vergangenheit, über die sie lieber schweigt, und pflegt ihre Weltbetrachtung aus der Gosse mit sehr persönlichem Humor.

Liza Cody schafft es brillant, eine gescheiterte Frau mit wehleidigen Anfällen und bissiger Starrköpfigkeit als Heldin zu präsentieren, die ans Herz wächst, die man lieben muss, selbst wenn sie fürchterliche Dinge tut.

Bag Lady/Lady Bag treibt sich in bestimmten Vierteln Londons herum, hat ihre festen Plätze, wo sie isst, schläft, sich ihren Fusel besorgt. Dick eingemummelt in ihre Kleiderschichten überlebt sie schlecht und redet sich erfolgreich ein, die Freiheit der Straße aller Angepasstheit und Enge einer Vorurteile pflegenden Gesellschaft vorzuziehen. Keine Sekunde lang klingt das larmoyant oder kippt die Schilderung der Obdachlosen in kitschige Klischees.

Lady Bag, begleitet von ihrer alten Hündin Elektra, läuft zufällig dem Mann ihrer vergangenen Träume über den Weg. Sie weiß, wer er wirklich ist. Sie will warnen und Böses verhindern. Leider macht ihr der vor Angst hinauf getrunkene Alkoholpegel einen Strich durch die Rechnung. Aber Lady Bag hat selbst im Suff noch eine Menge Zivilcourage. Sie nimmt die Verfolgung auf. In einem gepflegten Londoner Viertel, das nicht zu ihrer üblichen Überlebensroute gehört, landet sie mitten in einer Mordszene, wird zusammengeschlagen und stolpert in eine neue Identität. Dass ihr die wenig hilft, ist klar, als Kollegen aus der Gosse sie für ihre Zwecke benutzen. Lady Bag kämpft ab nun an mehreren Fronten. Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung, Betrug, das in einer Wohnung gelegte Feuer einer armseligen Pyromanin, Täuschung und Verrat treiben die Spannung unaufhaltsam voran.

Hinreißend beschreibt Cody eine schlimme Szene nach der anderen. Unterhaltsam ist das, weil Lady Bag so galgenhumorig erzählt, erträglich, weil immer wieder unerwartete Momente von Wärme und Hilfsbereitschaft aufblitzen, weil Hoffnung vielleicht doch nicht vergeblich ist. Ein fulminanter Krimireigen eröffnet sich, Scheinheiligkeit wird demaskiert, brutale Macht dargestellt. Das Böse wird nicht besiegt, aber Cody gelingt das Kunststück, dass uns eine obdachlose Verliererin tröstet, und man ihr alles glaubt. Bravourös entwickelt sie einen persönlichen Slang, dessen Ton in der Übersetzung großartig getroffen wird. Liza Cody, die schon seit mehreren Jahren mit ihren Krimis für Aufsehen sorgt, hat hier eine zu Herzen gehende Figur erschaffen, die uns schmerzende Wahrheiten ins Gesicht schleudert und der man noch viel, viel mehr Leser und Leserinnen wünscht.

Liza Cody
Lady Bag
Ariadne
2014 · 320 Seiten · 17,00 Euro
ISBN:
978-3-86754-222-7

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