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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Der besondere Zauber, der in der Entzauberung von allem liegt.

Zehn Jahre nach „Ein Morgen im verbrannten Haus“ führt Margaret Atwood ihre Leser durch eine Tür in ihr Inneres.
Hamburg

Marleene Streeruwitz hat in einer ihrer Vorlesungen das Schreiben mit dem Blick nach innen verglichen. Sie hat ein plastisches Beispiel gewählt, als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen gewählt. Den Initiationsritus eines Stammes aus Mittelafrika, bei dem jungen Männern zur Initiation der Bauch aufgeschlitzt wird, damit sie einen Blick in ihr Inneres werfen können.

Ich weiß nicht, ob Atwood die Riten dieses Stammes kennt, oder Streeruwitz Tübinger Vorlesungen, aber ihr Schreiben, ihre Gedichte folgen diesem Muster. Mitunter blutige Schnitte, um zu sehen, was unter der Oberfläche liegt.

In DAS SCHAUERLICHE SCHLECHTHIN heißt es in den letzten Zeilen:

Zurück heißt in den Keller,
wo das Schlimmste ist,
wo die anderen sind,
wo du sehen kannst,
wie du tot aussähest
und wer das will.

Dann wirst du frei sein
zu entscheiden. Deinen
Weg zu machen.

Dieser Blick nach innen, der auch den Blick zurück beinhaltet, den Atwood bereits in ihrem letzten, im Berlin Verlag erschienenen Gedichtband „Ein Morgen im verbrannten Haus“ zelebriert hat, trägt auch die Gedichte, die in „Die Tür“ versammelt sind. Wieder ist das Buch in fünf Kapitel unterteilt, wiederum ist es „meiner Familie“ gewidmet. Aus dem Morgen im verbrannten Haus ist eine Tür geworden. Der Morgen im verbrannten Haus war die Vertreibung aus Kindheit und Jugend, jetzt gut zwölf Jahre später ist die Entfernung zum Tod geringer, das Feuer ist gelöscht, da ist nur noch ein schwacher heller Schimmer hinter dieser Tür, die sich immer wieder öffnet, und in deren Dunkelheit schließlich alles mündet.

Inhaltlich geht es um das Sterben der Mutter, um Hilflosigkeit und Ohnmacht, um Heuschrecken, die wie eine Plage an all das Versäumte gemahnen. Also um den schmerzhaften Kreislauf der sich wiederholenden Enttäuschungen und Verletzungen. Atwood besingt die Ohnmacht, die Unmöglichkeit, dem Schmerz zu entgehen, umso weniger, je mehr Vergangenheit vor uns liegt. Nicht zuletzt geht es immer wieder um die verzweifelte Suche nach Liebe, nach Anerkennung, nach Glück. Dieses Beharren auf eine Hoffnung, von der es in NOCH EIN BESUCH BEIM ORAKEL heißt:

         Natürlich gibt es Hoffnung.
         Da drüben in dem Brunnen ist sie.
         Da ist ein endloser Vorrat.
         Beugt euch über den Rand, dann seht ihr sie.
         Da unten.
         Sie sieht aus wie Silber
         Sie sieht aus wie ihr
         wenn ihr die Sonne im Rücken habt
         als stünde euer Hirn in Flammen.
         Das Gesicht dunkel und konturlos.
         Aber das ist nur eine optische Täuschung.
         Das ist die Hoffnung.
         Sie steht in der Zukunftsform.
         Lasst euch nicht täuschen.

Dabei sind ihre Gedichte nicht sarkastisch, es handelt sich vielmehr um eine aufrichtige Abrechnung mit den Illusionen, die uns voran treiben, solange wir jung sind, mit einem Glauben und einer Kraft, die so stark sind, so selbstverständlich, dass sie erst Jahrzehnte später hinterfragt werden.

Auch wenn Atwood sich fragt, was es eigentlich bedeutet „Dichter“ zu sein, ist das ein Vordringen unter die Oberfläche, unter Begriffe wie „Ruhm“ und „Ehre“ und vor allem ein Vordringen zu der Frage, was es ist, was die Dichter wissen. In DIE DICHTER HALTEN DURCH heißt es:

         Doch die Dichter halten durch, denn
         wenn sie etwas sind, dann beharrlich.

Ist es diese Beharrlichkeit, die sie auszeichnet, oder doch eher die Wirkung dieses Nicht Benennbaren über das sie zu verfügen scheinen?

Gerade kommt man sich betrogen vor,
da bricht seine Stimme abrupt ab. Ein kleines Nicken
und ein Lächeln und ein Innehalten
und man atmet ein und spürt die Luft
wie einen Fausthieb in der Magengrube
und applaudiert zusammen mit den anderen.

Dieser Moment scheint auch für die Anordnung der Gedichte eine Bedeutung zu haben, die Richtung scheint sich zu ändern, jetzt erzählen die Gedichte von der Macht des Schreibens, davon, was sie der Vergeblichkeit entgegen setzen können.

 Du hast aus Notwendigkeit gesungen,
wie ich es tue. Du hast für mich gesungen,
für mein Dickicht, meinen Mond, meinen See.
Unser Lied ist ein Nachtlied.
Nur wenige sind wach.

Es geht um den Ausdruck, der nichts heilt, aber deswegen nicht weniger notwendig ist.

Nach dieser „Innenschau“ wenden sich die Gedichte erneut „der Welt“ zu. Einer Welt, in der Kriege und Katastrophen Zerstreuungen sind, die wir nicht zu genau betrachten, damit die Sicherheit, dass das alles nichts mit uns zu tun hat, nicht weicht.

Wunderbar subtil erhebt Atwood ihre Stimme für die Natur.

In einen „Kriegsfoto“ betitelten Zyklus führt Atwood eine poetische Auseinandersetzung mit dem immer wieder virulenten Thema der Kriegsfotografie. Sie macht die abgebildeten Personen lebendig, erzählt von dem ausgebliebenen „Vielleicht“ ihres Lebens, verleiht ihnen eine Stimme. Das Foto als kaltes Dokument bekommt so eine weitere Dimension, der tote Mensch tritt aus dem Foto heraus, konfrontiert uns als Betrachter mit seinem Tod.

Und wieder erfolgt ein Wechsel der Perspektive. Nach all dem Aufzeigen der Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, der Gleichgültigkeit und Ohnmacht trägt ein Gedicht den Titel: GENUG VON DIESEN ENTMUTIGUNGEN. Dort heißt es im Schlussvers:

         Trotz meiner angesengten Federn
         und dieser zerfetzten Schriftrolle im Gepäck
         bin ich kein Engel.
         Ich bin nur ein Schatten,
         der Schatten eurer Begierden.
         Ich gestatte nur Wünsche.
         Da habt ihr sie nun.

Ich, scheint das Gedicht zu sagen, bin nicht autonom, nur Produkt meiner Umwelt. Ein Spiegel.

Es scheint als wäre Margaret Atwood durch eine dieser Türen gegangen, von denen im titelgebenden Gedicht die Rede ist. Als hätte sie einen Raum durchschritten, in dem die Vergangenheit Teil der Gegenwart ist, um einen anderen Raum zu erreichen, in dem das alles keine so große Rolle mehr spielt.

Wo im verbrannten Haus noch Eitelkeit eine Rolle spielte, gehen die Einsichten jetzt tiefer. Eine schmerzhafte Versöhnung in die Vergeblichkeit von allem, eine Einwilligung in die Vergänglichkeit? Aus der Klage über den Verlust der Jugend ist eine Art ars moriendi geworden.

Margret Atwood
Die Tür
Gedichte
Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Monika Baark
Berlin Verlag
2014 · 288 Seiten · 22,99 Euro
ISBN:
978-3-8270-1221-0

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