Abbrüche, Freiheiten und andere Wagnisse
Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Wir sprechen hier vom meiner Meinung nach besten und schönsten Gedichtband des letzten Frühjahrs und, wenn ich es recht überblicke, zumindest von einem der besten der letzten Jahre, denn er hat mich als Leser gefordert, und das hat mir gefallen. Außerdem hat Andreas Töpfer dafür einen geradezu kongenialen Einband entworfen.
„Es sind Texte, bei denen, wenn wir dem Leser sagen, er müsse sie genauso lesen, wie sie dastehen, er handlungsunfähig bliebe.“ Dieser Satz findet sich auf Seite 33 jenes Bandes, der „You're welcome“ heißt, es genau so meint, von Mathias Traxler geschrieben wurde, und der im Frühjahr 2011 bei kookbooks erschien. Es handelt sich um ein Debüt, was an sich schon verwunderlich ist, gehören Traxlers Texte und Performances doch seit einigen Jahren zum Grundbestand junger deutschsprachiger Lyrik. Traxler ist 1973 in Basel geboren, hat Jura studiert und lebt in Berlin.
Der eingangs zitierte Satz beschreibt eine Lesehaltung, die gleichermaßen die Haltung eines Schreibenden ist, und die aus der Gewissheit resultiert, dass der Text erst in einer Interaktion zwischen beiden, Leser und Schreiber, entsteht, oder besser: aus der Interaktion beider hervorgebracht wird. Und genau jene Haltung hält Traxlers Texte beweglich und den Leserinnen und Lesern Gewissheiten vom Leibe, die durch ihre Struktur schon überkommene sein müssen.
Traxlers Texten liegt alles Altkluge fern. Befreiung, diese pathetische Vokabel, ist an dieser Stelle ziemlich angebracht. Denn als Leser werde ich durch Traxlers Texte aus der Haltung und aus der Situation des Voyeurs befreit, der das Fremde aus der Distanz und mit mehr oder weniger Gier und Genuss betrachte. Ich gelange aus dem passiven Abseits in eine produktive Situation, werde als Mitdenkender und Mithandelnder zum Mitautor dessen, was ich gerade lese.
Zuweilen geht Traxler in seinen Texten soweit, dass er begonnene Sätze plötzlich abbrechen lässt und damit dem Leser den Raum zu ihrer Vollendung öffnet, und das ist kein Trick des Autors, der damit einen anderen zwingt, seinen Gedanken exakt in seinem Sinne zu Ende zu denken. Die Möglichkeiten der offenen Sätze sind als Alternativen real.
Die Absenz von Gewissheit macht die Lektüre anfangs ein wenig schwierig. Es braucht seine Zeit, bis man in die entsprechende Lesehaltung kommt und der eingangs erwähnte Satz findet sich ja auch erst auf Seite 33. Aber wenn das ein Problem darstellt, dann ist es keins des Buches, denn das versucht mit überkommenen Ansprüchen zu brechen, eingeübte und automatisierte Haltungen und Techniken zu überwinden ohne ein neues automatisches Verfahren anzubieten. Insofern ist es ein Wagnis, sich auf dieses Buch einzulassen, wie Freiheit eben immer ein Wagnis darstellt.
Barthes verlangt irgendwo, ich glaube in „Die Lust am Text“, dass der Text den Leser begehren solle. Und genau das findet sich in Traxlers Band eingelöst. Der Text signalisiert mir, dass er mich als Leser begehrt, ja braucht, um zu werden, was er ist, und setzt mich damit in meiner Körperlichkeit und Intellektualität frei. Das ist ein Unternehmen, auf das einzulassen sich lohnt.
Im Band befinden sich neben Gedichten auch Notate und Essays. Vor allem Letzteren, die die literarische Form der Freiheit schlechthin sind, kommt Traxlers Haltung derart entgegen, dass man meinen könnte, sie sei für ihn und durch ihn erfunden worden. Renaissance ist hierfür der pathetische, aber nicht ganz falsche Ausdruck.
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