Raumstoff
Gibt es eine Abstufung in der Erkenntnis, vielleicht von anerkannt über bekannt zu vollkommen identisch. Und auf welcher Stufe dabei steht der Rausch? Am Anfang oder am Ende? Auf jeden Fall aber gibt es eine Abstufung im Genuss, von sagen wir schmackhaft bis Rausch.
Um im Bild zu bleiben: Ich kenne viele schmackhafte Texte. Texte, die mich als Konsumenten umschmeicheln, Texte, die Kostproben sind, die mir einen Bereich vorstellen, dem sie zwar angehören, der aber doch jenseits von ihnen liegt.
Ich betrachte diese Texte mit Wohlwollen, weil sie das Versprechen des Rauschs aufrechterhalten und mich als Leser bestehen lassen, mich füttern mit guter Lyrikkost. Alltag eben, und ein sehr schöner.
Und dann gibt es Texte wie diese. Micheal Palmer: Gegenschein. Die deutschen Fassungen stammen von Rainer G. Schmidt, und sie helfen mir, mich in den Originalen zu Recht zu finden. Ohnehin legten sie die Schlingen aus, in denen ich mich verfing. Und von ihnen aus, strebte ich auch wieder zum Original.
Kookbooks legt eine Auswahl aus Palmers Werk vor. Er wurde 1943 in New York geboren und wurde später in San Francisco ansässig, entnehme ich dem instruktiven Nachwort des Übersetzers, der auch die Auswahl besorgte.
Was ist es aber, das mir die Texte so anziehend macht? Sicher der Kontext zunächst. Palmers erster hier angeführter Gedichtband erschien 1972 und hieß Blakes Newton, und spielt auf ein Bild an, dass mir in der Dichtung immer wieder begegnet, zuletzt auf einen Cover von Inger Christensen. Ich kann nicht sagen, dass es mir sonderlich gefällt als Bild. Seine graphische Oberfläche ist doch sehr mit Botschaft durchwirkt, auch wenn ich mir nicht zutraue, sie im Einzelnen zu entschlüsseln. Aber immer, wenn ich auf einen Dichter oder eine Dichterin traf, die sich auf dieses Bild bezog, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das war bei Christensen so, das ist bei Palmer so. Es muss die Transformation des bildlich Gemeinten ins Sprachliche sein, das mir als Sprachliches wesentlich schöner erscheint, weil weniger treffend vielleicht und weil es dabei alles Didaktische verliert.
Im Eingangsgedicht „Its Form“ lautet es in der zweiten Strophe:
But to begin a procession
or a succession of lines
replacing the elms whos warps
and curves who calls contradictions.
Ein Auftakt nach Maß für einen Leser wie mich. Wir finden in diesem Band Gedichte vor, die an der Schwelle zur Philosophie nicht Halt machen, die geschichtsdurchwirkt sind und sich ihrer eigenen Geschichte versichern, aber eben nicht, in dem sie sich anschicken, die Fragen zu beantworten, die angeführte Disziplinen offen lassen. Das Gedicht ist keine Hilfswissenschaft, sondern öffnet Welten und die offenen Fragen können dabei Treibstoff sein.
Es ist auch nicht so, dass Gedichte auf Gedichte antworteten. Diese Vorstellung wird allzu oft bemüht. Palmer zitiert zwar, aber hat dabei eine Zitiertechnick entwickelt, in der die Verwendung des Vorgefundenen im eigenen Text ein Feld öffnet, eine Nebenwelt gewissermaßen, die den vorgegebenen Raum weit macht.
Aus der Anthologie (Traum des S)
Ein Buch ist voller dunkler Bilder
oder war es ein Gedicht
in einem Buch versteckt
dessen erste Zeile lautete„Ein Buch ist voller dunkler Bilder“
dunkel wie der Fluss Eros
und die Nebel der Schöpfung
Wer wird inmitten solcherBilder bemerken
ob wir Atem gegen Atem
tauschen, ineinander
eintretenmit Schmerz und Freude zugleich
wie in einem Buch voll dunkler Bilder
dunkel wie ein Traum von Übersetzung
oder die Nebel der Schöpfung
Ich habe diesen Text nicht angeführt, weil er repräsentativ für Palmers Gedichte wäre, sondern, weil ich denke, dass er einen poetologischen Kern enthält. Wir bewegen uns in einer Welt von Bildern, in einer Welt aus Zitat und Selbstzitat. Dort wo wir aber schweigen, endet die Welt nicht, nur unsere Sprache, was ja dramatisch genug ist, aber in diesem Paradox haben wir uns eingerichtet. Und vielleicht ist es gerade jener Punkt an dem Dichtung beginnt, dort wo Sprache endet. Und vielleicht macht gerade der Tanz auf dieser Grenze die Rauschhaftigkeit der Palmerschen Gedichte für mich aus.
Ich bedanke mich beim Verlag, beim Übersetzer und natürlich bei Palmer für dieses Erlebnis.
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