Getragen auf trauriger Bilderflut
„In der vorübergehenden Umarmung / spreche ich von Ewigkeit.“ Der mazedonische Lyriker Nikola Madzirov schreibt Hymnen an das Leben in Gestalt von Elegien und Trauerliedern. In dem einen Augenblick sind seine Gedichte luftig, gelöst, von betörender Bildlichkeit, nur um bereits im nächsten melancholisch und erinnerungsschwer zu werden.
Madzirovs Welt ist laut, unruhig, nicht genügend bei ihm: „Es existiert keine Stille in der Welt. / Die Mönche haben sie erfunden, / um jeden Tag die Pferde zu hören / und das Herabfallen der Federn.“ Zudem ist seine Heimat begraben unter verqueren politischen Verhältnissen, so daß sie nur als schönes Erinnerungsbild auftaucht. Es bleibt die Einsamkeit des Betrachters, der in zermürbende Verhältnisse hineingeworfen wurde, vor sich selbst jedoch vehement bekennt: „Von Geburt an bewege ich mich auf die stillen Räume zu, / und unter mir haften Leeren / wie Schnee, der nicht weiß, ob er zur / Erde oder zur Luft gehört.“
Transitorisch, verfallend, vergessen, abseits gelegen, von kurzer Begegnung („wie ein Papierschiffchen und eine / Melone, die im Fluß kühlt“) sind die Territorien, die Madzirov unermüdlich ausschreitet, Spiegelbilder seelischer Zustände, denn „schon seit langem existiert nichts / mehr außerhalb von uns“. Madzirov entwickelt in seinen Gedichten selten eine logische Abfolge von Gedanken, sondern reiht Empfindungen aneinander, die mit seismographischer Genauigkeit aufgezeichnet werden. Dabei vertraut er auf ein poetisches Sprechen, das die Pronomen „ich“, „wir“ und „uns“ genauso wenig scheut wie die Vokabeln „Herz“ oder „Sehnsucht“. Im Kontext der Gedichte wirken diese Wörter und Konstruktionen nicht abgegriffen, denn man spürt allenthalben, daß es Madzirov um die Notwendigkeit geht, den Leser anzureden, ihn in dieses Wir einzubinden, und auf diese Weise die Haltung und Stimmung einer Generation (oder vielleicht sogar eines — dieses Wort muß erlaubt sein — Volkes) zu vermitteln.
Madzirov bedient sich zuweilen der großen Geste, etwa wenn er verkündet: „Ich glaube, wenn Vollkommenheit geboren wird, / platzen alle Formen und Wahrheiten / auf wie Eierschalen“, fügt aber sogleich einschränkend hinzu, das Natürliche gegen das Künstliche abwägend: „Doch was tue ich mit meinem unvollkommenen Körper: / Ich gehe und kehre wieder, gehe und kehre wieder, / wie eine Plastiksandale auf den Wellen / am Ufer.“ In dieser Spannung von Erfülltem und Unerfülltem, von Nähe und Distanz stehen die meisten Gedichte des Bandes, aus ihr beziehen sie ihre Ehrlichkeit, Stärke und poetische Wucht.
„Ich weiß, daß die Liebe / zerbröckelt wie Baumrinde, aus der / die alten Stämme einst / Boote bauten.“ Indem Madzirov seine Liebe zu den Menschen und Dingen ins Gedicht holt und ihr Zerbröckeln akzeptiert als condicio humana, nimmt er die alten Werkzeuge der Poesie zur Hand und baut ein paar dieser Boote, aus Papier zwar, aber dennoch haltbar, tragfähig, bis zum Rand mit melancholisch duftenden Gewürzen beladen. Und wenn Madzirov ausruft: „Ich will wachsen wie wildes Gras, das die Überbleibsel / unserer Kindheit umarmen wird, / eins sein mit dem Eis, dem Wasser, dem Dampf, der Leere...“, durchläuft seine Sehnsucht sämtliche Aggregatzustände, ohne Angst vor der Auslöschung, weil es schön sein kann zu sagen: „Nur mich hat niemand gesehen.“
An Madzirovs Gedichten fesselt besonders, wie sich nüchterne Betrachtung mit ausschmückender Rhetorik verbindet und zeitgenössische Fügungen sich zu traditionellen, zuweilen sogar leicht trivialen Elementen gesellen. Das mag zunächst irritieren — dann ist es sicher: es weht der eine oder andere Hauch aus dem Orient durch die Verse des makedonischen Dichters. Oder ist es nur seine überschäumende Imagination? „Man muß neue Länder erfinden, / damit man wieder über das Wasser gehen kann.“
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