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Kritik

Wie Gedichte entstehen

Norbert Hummelt und Klaus Siblewski erzählen aus der Praxis

Wie kommt es zum Gedicht? Wie findet es aus der Idee hinaus in ein Buch. Das ist eine sehr persönliche Frage und der Lyriker Norbert Hummelt und der Lektor Klaus Siblewski beantworten sie uns in einem rundum ehrlichen, praxiserprobten, weisen Buch. Sie geben diesmal nicht nur die unsichtbaren gedanklichen und poetologischen Stützgerüste wieder, mit denen man das Gedicht errichtet, sondern finden Worte für das Unwegsame des Grundstücks, die leeren oder übervollen Flächen, die Planken und Anker, das Stahlrohr, das Handwerk und die Pausen dazwischen, das Vesper. Sie erzählen von schwierigen Bauabschnitten, wackligen Phasen, flotten Übergängen und überraschenden Stadien. All das, was geschieht, bevor das Gedicht steht (was im Einzelfall Jahre dauern kann). Nicht so technisch, wie sich das hier anliest – sondern, im Falle Hummelts, sehr reflektiert persönlich, ehrlich, und deshalb stark und aussagekräftig. Es ist das Beste in dieser Richtung, was ich in den vergangenen Jahren gelesen habe. Es ist nämlich kein Versteck.

Deshalb kann man sich finden, also wiederfinden. Jeder Lyriker wird an vielen Stellen des Buches zustimmen können, obwohl er wahrscheinlich eine völlig andere Sorte von Gedicht schreibt als Nobert Hummelt. Es wäre deshalb nicht richtig hier poetologische Standpunkte, die durchaus klar zu Tage treten, herauszuarbeiten und zur Diskussion zu stellen, sondern man kann sich an der klaren Ansprache freuen, den Anekdoten und Erzählungen aus dem eigenen Gelingen und dem eigenen Scheitern. Das Lebendige der Praxis steht im Mittelpunkt und erläutert die Bildweite zwischen Realität und Gedicht.

Dabei räumt Hummelt auch mit Mißbrauch und Mißverständnissen auf. Bspw. daß man Benns Satz einer Rede, die er 1951 in Marbach hielt, „Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten; ein Gedicht wird gemacht.“, völlig sinnverdrehend aus seinem Kontext gelöst und der Rechtfertigung experimentellen Dichtens hinterlegt hat. „Liest man Benns Satz jedoch im Kontext, dann wird deutlich, dass er keineswegs meinte, das sich die Phase der Eingebung auf technische Weise umgehen ließe.“ schreibt Hummelt, und weiter: „Er wandte sich damit lediglich gegen die banale Vorstellung, das Gedichte auf eine sonnambule Weise ganz von selbst entstünden, sobald jemand nur in melancholischer Stimmung einen Sonnenuntergang betrachte.“
Hummelt erzählt von Rilke und Schloß Duino, von Eich und seiner Inventur. Aber großenteils bleibt er bei sich und genau das macht das Buch wichtig. Weil es den eigenen Weg zum Gedicht beschreibt, ist es konkret und nur das Konkrete – auch davon schreibt Hummelt - läßt sich in die Hand nehmen und übertragen.

Der Weg zurück zum Persönlichen, nachdem er zuerst materiell, experimentell unter dem  Kling’schen Paradigma „Gedichte müssen durchgesetzt werden gegen jede herrschende Konvention“ gearbeitet und seine pickups aus Alltagssprachfetzen collagiert hatte, ist Hummelts Weg zu den eigenen Gedichten. Vorher waren es Gedichte, die sich unterscheiden wollten, erst als er das Ich-Verbot des Literaturbetriebes zu übertreten beginnt, werden es Gedichte, die ihn unterscheiden. Seinen Kontext konkretisieren und ihn damit (nur scheinbar paradoxerweise) aus der Vereinzelung lösen (denn vereinzelt bleibt der Unerkennbare, nicht der Vorhandene).

Kling ist jemand, der mit dem Wort Ich ein Problem hat. Hummelt entdeckt in dem Problem das Wort Ich.

Gute Lyriker befinden sich nicht im Krieg gegen das Gedicht, auch nicht gegen das herkömmliche. Das Gedicht sollte nicht ein Kriegsschauplatz sein. Ich habe mich immer gefragt, was mich befremdet an den Texten von Kling – heute weiß ich, daß dort Kämpfe ausgetragen werden und eine gewisse Brutalität herrscht, die mir nicht gefällt. Daß man modern schreiben kann und trotzdem bei sich ist, beweist Norbert Hummelt (und heute immer mehr Lyriker/innen auf oft wundervolle Weise). Das Ziel des Gedichtes ist nicht die Modernität, sondern die Modernität ist der Grund für das Gedicht. Das moderne und postmoderne Leben und das postpostmoderne. Und zwar immer auf den Schultern der Ahnen, dem Herkommen.

Man hat Hummelt die Rückkehr zur Romantik bescheinigt. Die eigentlich eine Vergegenwärtigung voraussetzt und keine Abkehr ist, sondern ein Versuch. Denn, so schrieb Hummelt in einem anderen Essay einmal selbst: „romantisch wäre vielleicht der wie auch immer geartete Versuch, sich nicht mit der Registratur des Verschwindens und Zerfaserns von Wirklichkeit zu begnügen, sondern im vollen Bewußtsein der in diesen Prozessen aufscheinenden Krise unserer Weltwahrnehmung noch einmal etwas zu wagen, das man poetischen Widerstand nennen könnte. Also eine Kunstanstrengung, die ‚Entfremdung‘ nicht rein lakonisch konstatiert, sondern unterwegs bleibt zu ihrer Aufhebung.“

Auch im zweiten Teil erfahren wir Spannendes aus dem Leben eines Gedichtes, diesmal aus der Sicht eines Lektors. Klaus Siblewski, der jahrelang Ernst Jandls Lektor bei Luchterhand war, erzählt aus der Praxis. Er hält eine großartige Balance zwischen notwendiger Distanz und erforderlicher Empathie. Selten begegnet man einem so umfassenden Verständnis für alle Prozesse in und um das Gedicht. Was Klaus Siblewski zu erzählen weiß, hat Hand und Fuß, ist völlig unverblendet und sehr nah an den generellen kontingenten Abläufen des Dichtens, die bei Autoren natürlich verschieden, aber in ihrem Grundgeschehen doch vergleichbar poetisch prozesshaft sind. Siblewski erzählt das so facetten- und kenntnisreich, so spannend, vom Einfall zum Gedicht und schließlich zum gedruckten Buch, und erzählt es trotzdem notwendig klar, daß es eine helle Freude ist, seinen Darlegungen zu folgen.
Ein absolut empfehlenswertes Buch.

Norbert Hummelt · Klaus Siblewski
Wie Gedichte entstehen
Luchterhand
2009 · 272 Seiten · 9,00 Euro
ISBN:
978-3-630621661

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