Notizen einer lebenslangen Obsession
Drei Ehen, fünf Kinder, ein Dutzend Berufe, über dreißig Stücke, Romane, Erzählungen, Lyrik und Essays, ein Leben auf der Überholspur, so könnte die Kurzbiografie August Strindbergs lauten, oder wie sein Biograph Olof Lagercrantz es ausdrückt: „Gefühlsmäßig und intellektuell bewältigte er jeden Monat das, wofür normale Leute ein Jahr brauchen. Die Biografie eines solchen Mannes zu schreiben, heißt über eine Person zu schreiben, die nicht dreiundsechzig Jahre alt wurde, sondern dreihundertsechzig Jahre gelebt hat.“
„Kein Wunder, das ich mich dem nicht gewachsen fühlte“, schreibt Lagercrantz in „Strindberg und ich“, einem „federleichten Buch“, in dem er sich die Anstrengung, aber auch die Lust, die Mühsal, aber auch die Bewunderung vom Leib geschrieben hat, wie der Verlag im Klappentext erläutert. Ein Buch, in dem Lagercrantz aber auch sein Strindberg Bild verteidigt, denn nicht nur Strindberg selbst war Zeit seines Lebens in Schweden äußerst umstritten, auch die Biografie Olof Lagercrantz löste nach ihrem Erscheinen, 1979, heftige Diskussionen aus. Man bezichtigte Lagercrantz des Diebstahls, weil er ohne Quellenangaben gearbeitet hatte, und unterstellte seiner Arbeit als „Porträt eines Dichters von einem Dichter“ weniger Wahrheitsgehalt als dies bei einer wissenschaftlichen Herangehensweise der Fall gewesen wäre. „Ist Dichtung eine Art Lüge?“, fragt Lagercrantz daraufhin, und stellt richtig, dass seine Suche nach Wahrheit lediglich eine andere Form annimmt, aber nicht weniger ernsthaft betrieben wurde, als es die Wissenschaft für sich in Anspruch nimmt.
Aber auch seine Bedenken und seine Unsicherheit formuliert Lagercrantz. So zum Beispiel im Abschnitt „Das Schreiben einer Biografie“: „Beim Schreiben einer Biografie befreit man sich nur schwer von einem Gefühl des Betrugs an der Person, über die man schreibt“. Hier streift Lagercrantz ein Thema, das immer wieder relevant wird, wenn es um die Behandlung historischer Zusammenhänge geht. Mir fällt Daniel Kehlmanns Essay „Wo ist Carlos Montúfar?“ ein, in dem er unter anderem begründet, warum die Verfälschung der historischen Fakten der Wahrheit manchmal näher kommt, als die sklavische Auswertung geschichtlicher Dokumente. Ähnlich argumentiert auch Felicitas Hoppe in einem Aufsatz zur Behandlung historischer Stoffe, der lange vor ihrer fiktiven Autobiografie „Hoppe“ erschienen ist.
Lagercrantz schreibt über sich und über Strindberg, aber in erster Linie schreibt er über Dichter und über das Schreiben. Darüber, wie die Art der Hilfsmittel, mit denen man schreibt, das Schreiben beeinflusst, oder zu welchem Zeitpunkt man sich selbst lesen sollte: „Wenn ich beim Lesen erschöpft war oder niedergeschlagen oder beides, hat meine Stimmung auf die Lektüre abgefärbt, der Text kam mir so erbärmlich schlecht vor, dass ich alles wegwerfen wollte. Wenn ich dagegen ausgeruht war, meinte ich einen besseren Überblick zu haben und der Unmut verschwand ¨C nicht ganz, um zufrieden nach Hause zu gehen, das nicht, aber mein Urteil fiel milder aus und ich hatte die Kraft, Änderungen vorzunehmen.“
Auch moralische Fragen werden erörtert, wenn Strindbergs Einstellung zur Treue: „Was ist Treue? Nun ja, mein Festhalten am Abhängigkeitsverhältnis zu jemanden.“, Ausgangspunkt für gesellschaftspolitische Überlegungen wird.
Ebenso wie Strindberg, war auch Lagercrantz (1911 - 2002) jahrelang Redakteuer einer schwedischen Zeitung. Die Übersetzerin Renate Bleibtreu schreibt im Nachwort über ihn: „In welchen Maß Hellhörigkeit ein Überlebensinstrument für ihn war, weiß ich nicht, seine ebenso einfühlsame, wie respektvolle Wahrnehmung dessen, was Schriftsteller mitteilen, lässt einen aber aufhorchen.“
Olof Lagercrantz hat sich in „Strindberg und ich“ die Möglichkeit geschaffen aufzuzeigen, dass Strindberg sich auf dem Weg zu einem Menschenbild befand, „wo jeder Mensch viele ist und zuletzt die ganze Menschheit in sich birgt. Aber darüber hinaus spricht hier ein Dichter über das Schreiben und die Schrift, über die schönen und die schwierigen Seiten ein Dichter zu sein, heißt er nun Strindberg oder Lagercrantz.
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