Erektion ist die erste Form der Bildhauerei
Pascal Quignards Studie Sexualität und Schrecken, 1994 erschienen und nun übersetzt, beschreibt, inwiefern seit je, schon in der Antike, Eros ein Schrecknis ist: Eros im Sinne des Begehrens, das einerseits das Menschliche konstuiert, aber andererseits die nicht minder menschlichen Arrangements zu gefährden vermag.
Schon die gerne für libertinös gehaltene Antike wußte hierum. Sie reglementierte insofern streng, inwiefern man dem Eros ausgesetzt sein durfte. Nicht die Opposition von Homosexualität/Heterosexualität war hier ein Kriterium, sondern jene von Aktivität/Passivität, wie Quignard eloquent und klar vorträgt, was auch von der feinen Übersetzung durch Holger Fock und Sabine Müller zu sagen ist.
Homosexualität ist als Begriff der Antike fremd, er etabliert sich in den späten 1860er Jahren, wie sich Heterosexualität erst in den 1890ern findet. Ehrlos und verboten aber ist die Passivität in der Antike, der Kontrollverlust gleichsam, der dem Konzept der Mündigkeit, wenn man das so salopp sagen darf, entgegenstehe. Passivität – und das heißt: penetriert zu werden, – ist in Rom generell und in Griechenland ab dem Zeitpunkt des Bartwuchses (für dessen Bedingung man aber die Päderastie hielt) stigmatisiert oder sogar illegal. Der Orgasmus, der nicht beherrscht ist, indiziert gleichsam Impotenz.
„Der Sklave kann seinen Herrn nicht sodomisieren”, ohne, daß dies die Ordnung zerstöre, den Mann etwa bestenfalls zum infans mache, das eben nicht politisch tätig sein dürfe – „wenn ein passiver Homosexueller sich in die Politik einmischte, wurde er zum Tode verurteilt”, quasi als Irritation getilgt, die die von der Politik per se ausgeschlossene Frau hingegen prinzipiell nicht sein konnte, wie die Antike offenbar vermeinte. Hieraus resultiert das Beleidigungs- oder Drohpotential des „digitus impudicus”, des dem zumal männlichen Gegenüber entgegengereckten Mittelfingers, wie Quignard schreibt.
Das Begehren also ist das eigentliche Problem, der von ihm Erfaßte wie auch jener, dessen Begehren durch den Orgasmus wiederum erfüllt und zerstört wird, sind nicht souverän, wobei der Transfer des Begehrens, also die Kontrolle, die dem Aktiven zugestanden wird, womöglich zugleich erst schafft, was Politik sein mag: „Erstarrung (Erektion) ist die erste Form der Bildhauerei”, beschreibt der Autor diese Permeabilität von Öffentlichkeit und Interieur dessen, was der/den Bürger treibt.
Quignard schreibt so aus einer Schilderung des Intimen eine Geschichte auch des Nicht-Intimen. Sie ist lesenswert, sie umreißt, ohne es indiskret auszuplaudern oder die inhärenten Skandale des Themenkreises – die Gewalt und das Unrecht – zu bagatellisieren, was das nicht immer Humane, gleichwohl aber Humanistische sein mag; und dann doch auch das Humane, das bloß nicht ganz so strahlend erscheint, wenn man es versteht.
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