„Was sich nicht ableiten läßt, davon muß man erzählen.”
Unbestritten lädt Sloterdijk förmlich dazu ein, sein Schelling-Projekt als Altherrenwitz zu diskutieren, Sex, Kalauer, dazu Prüderie, die er anklage, aber vor allem ja auch vertrete, aber das greift zu kurz, das tut einem ungewöhnlichen Text Unrecht.
Unrecht, nachzulesen etwa in der Zeit, wo Stefanie Lohaus1 ihren Text mit Onanie-Bekenntnissen eröffnet, die ihr relevant erscheinen dürften, um dann bei Sloterdijk eben nur über einen anderen Sex zu reden, und zwar den angeblich Sloterdijks, den sie samt dem Verfasser dem Denken der Neuen Rechten zuschlägt, weil dann alles gleich viel einfacher wird. Dabei wird auch gleich Arno Orzessek zitiert, der im Deutschlandfunk befand, „Sloterdijk habe in Das Schwelling-Projekt »toll abgespritzt! «”. Und das, so die Rezensentin, sei ja auch das Thema: „Alle wissen jetzt, dass Sloterdijk auch mit Ende 60 immer noch toll abspritzen kann.”
Nein, darum geht es allerdings nicht; eher schon um die Möglichkeit des Kalauers, einer Welt beizukommen, deren innigster Wunsch der nach Funktionalität und Mediokrität ist. Wie sagt Frau Wie-hieß-sie-noch-gleich so schön und in verklemmter Klammer? – „(und ich hoffe, ich bin da ganz durchschnittlich)”… Ja, ist sie vermutlich, und zwar so, daß man ihren Namen schon beim Lesen vergißt, pardon.
Aber Sloterdijk will vor allem auch auf etwas weisen, das dem Deutschen Idealismus klar wurde: Lichtenbergs Credo, es sei „der Mensch […] am Ende ein so freies Wesen, daß ihm das Recht zu sein was er glaubt zu sein nicht streitig gemacht werden kann”, formuliert Kant so aus, daß der Mensch als Nicht-Objekt zur Zwecksetzung in der Lage sei, was ihn gleichsam als „Endzweck, […] der aber in der Natur gar nicht gesucht werden muß” oder auch nur darf, ex negativo bestimme, was dann Fichte & Co. weiterentwickelten – bis eben zu Sloterdijks Travestie oder auch Jean-Luc Nancys philosophischen Annotationen, der Mensch verwirkliche sich in der Technik als der „Erfindung von Zwecken”, also bis in die Gegenwart, die spannender als die Rumpeleien sind, die entweder prüde oder begeistert Sloterdijks Werk entnommen werden.
Darum der Angriff gegen eine Wissenschaft, die nichts zu sagen hat, die vor allem nicht sich aussagen kann, darum die herrlich ungerechte Attacke auf die DFG, darum die unseriöse Form, sich auch nicht auf dieses Terrain zu begeben, darum das Ablenkmanöver des Pornographischen und die Ironiesignale – doch desto gelungener ist dieser Angriff auf die Hölle Stillstand. Der Bericht von einem Projekt, das aus dem „Nervöswerden der Materie”, das der Mensch sei und ausdrücke, sich ergibt und dieses formuliert, ist ein anarchisches Manöver, um wieder von dem zu reden, was das Selbst sei – und sollte dies eine „ergebnisscheue Aktivität” sein, so ist das Ergebnis jedenfalls nicht, man darf ergänzen: wie sonst, ausgeschlossen.
Neue Rechte? Nein, eher eine Belustigung, und zwar auch über jene Diskurse, die Sloterdijk lieber nicht kennen will, weil sie bloß Regulative sind, die vorgeben, was man wissen und können solle und dürfe. Statt solcher Kompetenzvorgaben und noch richtiger Binnenlogiken, die aber keine epistemologische Verortung ihrer selbst wagen, die Wittgenstein-Anverwandlung: „Was sich nicht ableiten läßt, davon muß man erzählen.”
Und erzählen, das kann er: Dysfunktionen der Ableitung zeitigen bei ihm Überschäumendes nicht im pornographischen Sinne, den die Kritiken gerne sehen, sondern als Denken, aber auch milder Spott, etwa, wenn animalische Erotik auch noch wie das Projekt wider das Projektieren mildem Spott ausgesetzt ist – Sex, der sich eher ausnimmt, wie „Pilze (zu) sammeln mit Peter Handke”, das ist vielleicht enttäuschend, aber nicht nur. Und über Musil-Lektüren sich zu fragen, ob diese den Leser „erhoben und gelangweilt” zugleich sich fühlen lassen können, auch das ist nicht ohne Witz.
Ein kluges Buch, kurzum, manchmal gespreizt formuliert, was man angesichts der Rezeption vielleicht anders formulieren sollte, ich gestehe es, aber vor allem ein performativ gehaltener Text über das, worin sich das Denken finde, als was es bestehe und sich gestalte. Vergnüglich, klug.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben