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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Als das Abenteuer noch literarische Qualitäten besaß

Hamburg

Unzählig sind Reisebücher – jedoch gering die Zahl jener, in denen Biografie mit Reisen verknüpft ist, wobei unter Biografie mehr gemeint ist als: „Ich war dort“, oder „Dort war ich auch.“ Srdjan Tešin behauptet, schon sein Großvater befuhr als Heizer auf einem Tanker die Meere, weshalb er sich ein Beispiel an seinem Vorfahren nahm und nunmehr selbst in konzentrischen Kreisen von jener nordserbischen Stadt, die Kikinda heißen könnte, aber das wissen nur jene, die mit der Biografie des Autors ein wenig vertraut sind, durch die Geografie eines Landes, das einst Jugoslawien hieß, weiter nach Budapest und Wien bis Tunis seine Kreise zieht. Wenn man außerdem weiß, dass in der nordserbischen Stadt die Luft mit einem hohen Anteil von Staubpartikeln erfüllt ist, weshalb der Autor seine Leser und Leserinnen wie Durstige durch die Wüste der jugoslawischen Geschichte führt, und der zudem auch selbst seine Biografie als eine Wüste empfindet, offenbart sich der Buchtitel.

Ein Buch, in dem man nicht nur die „Gymnasiastin mit den teuflisch spitzen Möpsen“ kennenlernt, sondern daneben den Wirten, dessen Begräbnis zu Lebzeiten dann doch nicht gefeiert wurde, oder den Dichter und den Onkel, der endlich in seinem Leben im Lotto die richtigen Zahlen gesetzt hatte. Allerdings hatte der Dichter den Lottoschein nicht eingezahlt, stattdessen ein Gedicht über das Leben in Belgrad darauf geschrieben, das später Standardlektüre in den Schullehrbüchern wurde.

„Die Zeit wird in ein Vor und ein Nach dem großen Fressen untergeteilt“, erfährt man von dem Onkel, der fünfzehn Kilo Bananen gegessen hatte, bis ihm schlecht wurde. Es sind höchst skurrile Verwandte, die den Lebensweg des Autors gesäumt haben. „Einerseits ist die Reise durch Biographie, Geographie und Geschichte ein Abenteuer, andererseits bin ich zwar als Schriftsteller, aber immer auch als Tourist unterwegs“, erläutert der Autor. „Der Tourismus liegt auch darin begründet, dass ich einerseits die Bewegungsfreiheit feiern wollte, derer ich in meiner Jugend oft beraubt worden war, wegen der Kriege, der Sanktionen, des undemokratischen Regimes oder auch aus Geldmangel, andererseits heißt das Touristendasein aber auch, einen Ort zu haben, von dem du weggehst, und an den du zurückkommst, also einen Platz, einen einzigartigen spiritus loci zu finden.“

Nach barocker Manier setzt Srdjan Tešin jeweils eine Art Vorrede an den Beginn eines jeden Kapitels, die er dann locker und leicht erzählt, mitunter großspurig und Welt umfassend droht, „eine Stadt zu gründen“. Lachen und Trauer paart sich mit Entsetzen, denn es sind keine Humoresken, wie der Autor betont. Nahtlos integriert er Fundstücke aus der Literatur, wie zum Beispiel Reiseeindrücke von Henri Michaux, um nur den bekanntesten Autor zu erwähnen. Denn das Leben ist nicht nur eine Verkettung tragischer Umstände. Daran hält sich Srdjan Tešin konsequent, sodass Poesie in seine Prosa einfließt und gleichzeitig dem Humor ein breiter Spielraum zugestanden wird. Zynismus und Wahrheit liegen oftmals nahe nebeneinander: „Der Vater meines Vaters trauerte, seit ich ihn kenne, der Habsburgerzeit nach. Er sprach davon, dass wir den Völkerkerker mit der Irrenanstalt getauscht hätten.“

Und wieso Abenteuerroman? Man könnte das Buch auch einen Schelmenroman nennen, würde nicht ein unübersetzbares Wortspiel von Abenteuer (avanturistički) und Tourismus (turistički) im serbischen Original zwingend auf der Hand liegen.

Srdjan Tešin hat einen eigenwilligen Roman-Stil kreiert sowie ein neues literarisches Genre entwickelt, könnte ein großspuriger Rezensent verkünden, seit „Durch Wüste und Staub“ des 1971 in Mokrin geborenen Serben auch im deutschen Sprachraum gelesen werden kann.

Srdjan Tešin
Durch Wüste und Staub
Übersetzung:
Elena Messner
Drava
2012 · 176 Seiten · 17,80 Euro
ISBN:
978-3-854356707

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