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Kritik

Unterwegs mit Glufke

Das Debüt dieses Autors war bereits ein Versprechen. Mit seinem Roman „Der Schlaf und das Flüstern“ hätte Stefan Petermann, von den ‚fliegenden Augen‘ des Literaturbetriebs in einen der Großverlage gelenkt, leicht beim Anspruch auf den Roman des Jahres mitbieten können. Mit großer Verve und Figurenliebe wurde hier eine ungeheuerliche Geschichte erzählt. Das Buch, in einem tapferen wie feinen jungen Hamburger Verlag erschienen, hat es so zum heißen Geheimtipp gebracht und sein Erzähler für einiges Staunen bei denjenigen, denen es um die Literatur noch ernst ist, gesorgt.

Dem Furor dieses Auftakts folgen nun mit der Sammlung „Ausschau halten nach Tigern“ 16 + 1 einzelner Paukenschlag. Plus eins deshalb, weil sich selbst hinter den Abspann noch eine der aufregenden Geschichten Petermanns verfügt hat, die zärtlichste und anrührendste des Bandes vielleicht. Mit „Hager“ trifft zuvor ein Junge einen Toten, in „Schweineholger“ lauert der Mob einem entlassenen Sträfling auf. Der Verlust schleicht stets im Hintergrund mit, Liebe und Mitleid suchen sich seltsame Wege.

Der Weimaraner Stefan Petermann hat ein so begeisterndes wie beklemmendes Talent für abstruse Zusammenhänge, seine Gestalten inszeniert er mit einem untrüglichen filmischen Gespür. Es sind oft die Loser unter den Normalos, die ihn interessieren, die in sich und ihrer Welt Eingerichteten, denen Absonderliches widerfährt, deren Lebensschnur durch ein nicht vorherzusehendes Ereignis sich völlig anders ausrichtet. Die, denen im Gleichklang nichts anderes einfällt als sich fortzuträumen oder den Frust über den Ist-Zustand weiterzugeben und sich vorübergehend Leichterung zu verschaffen.

So landet der Protagonist der ersten Geschichte wie freiwillig in der Badewanne, um seinen zwiespältigen Ruf als Auserwählter zu halten und zu festigen. Seinem Goldfisch, der zu allem Übel auch noch Mürrisch heißt, hat er zunächst recht unorthodox die Freiheit geschenkt. Allerdings: der Fisch hat indes eine kleine Chance, den Gang durch die Toilette zu überleben, während der Junge, von allen nur ‚Specki‘ genannt, weiß, dass er beim Tauchenüben den Erwartungen seines Vaters, der ihn schon bis zu Thommie Gottschalk geschleift hat, nicht entkommt. Er fügt sich in sein unnötiges Los.

Ganz anders Glufke, für den nichts gilt. Er kann als das anarchische Bollwerk gelten, hinter dem wir gern mal unsere verqueren Gedanken verstecken und es uns sogar leisten können, auf eine Pointe zu verzichten. Beim „Springbreak Europe“ landet einer der Coolen indessen an der Seite seines Kumpels, müde vom Saufen, Johlen, vom Brüstegewackel der Mädchen, und lebt erst dort seine eigentliche Bestimmung.

Noch von vielen dieser surrealen, magisch-realen Geschichten wäre zu berichten, von Carola Schachmann, die auf Tische springt, vom Zara Outlet, Stasja, einem Retuscheur, der sich die Welt in seinen Augen zurechtwedelt. Sie sind alle in Stefan Petermanns betörendem Erzähl-Band „Ausschau halten nach Tigern“ zu finden.  

Stefan Petermann
Ausschau halten nach Tigern
asphalt & anders
2011 · 160 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-941639058

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