Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Nostalgisches Sedativum

Rock Lyrik herausgegeben von Thomas Kraft
Hamburg

„What happened to Rock and Roll?“, fragte schon vor einigen Jahren Thomas Gottschalk. Obwohl der Talkshowhost sicherlich nicht als das Sprachrohr der Counterculture schlechthin bekannt sein mag, scheint die Frage berechtigt: Wo ist das Sprachrohr der Underdogs hin verschwunden, wo sind die Jugendbewegungen, die es einst noch vereinte? Was prägt heute stattdessen unser Bild von Rockmusik? Die weichspülenden wandelnden Denimwerbeträger à la Kings Of Leon, Nickelback? Genug Platten verkaufen diese zwar, mit musikalischer Substanz oder progressiven Ideen lässt sich das jedoch kaum begründen, geschweige denn mit einem Anspruch, der über bloßes Powerchord-Shredding hinausgeht. Hängt der Rock ‘n‘ Roll als armselige Resterscheinung am Tropf von solider Werbearbeit und rechtlicher Absicherung, wie Sven Regeners wütende Worte über illegales Downloading vermuten lassen? Der Romanautor und Frontmann des gitarrenbasierten Sedativums Element Of Crime scheint zumindest dafür zu plädieren, dass Rock ‘n‘ Roll nur bei finanzieller Absicherung aufgehen kann. Hat das noch was mit dem Esprit zu tun, der Rock and Roll ausmachte? Ist das noch sexy, revolutionär, anti-bourgeois und sticht hervor wie der Mittelfinger aus der Faust? Oder existiert lediglich noch der fade Nachgeschmack, das Ausstellungsstück Subkultur, die eintrainierte Geste? Ist es an der Zeit, frei nach Gottschalk zu fordern: „Ich hab die Schnauze voll / bring back some Rock and Roll!“?

Musik, vor allem Rockmusik, wird zunehmend musealisiert und nostalgisiert wo es nur geht. Das stellte Simon Reynolds erst 2011 in seinem Buch „Retromania“ penibel heraus, das unterstützt auch die von Thomas Kraft herausgegebene Anthologie „Rock Lyrik“. Sie öffnet und schließt bezeichnenderweise mit zwei Gedichten, die sich dem Song widmen, der in jedem Musikalienhandel auf der schwarzen Liste steht: „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin. Ähnlich totgenudelt, zahnlos und verkitscht wie der pathetische Schunkelhit geben sich auch die meisten von Kraft ausgewählten Texte. Flankiert werden sie überflüssigerweise von Schwarz-Weiß-Fotografien. Zweite, wenn nicht gar dritte Wahl aus der Karriere des Fotografen und Musikjournalisten Helmut Ölschlägel. Auch wenn mal Patti Smith und Kate Bush auftauchen: Rockmusik scheint doch ein Altherrenhobby zu sein, ein Liebhaberobjekt für Lederwestenfans, so viel ist den Bildern schon mal zu entnehmen. Die versammelten Gedichte legen kaum etwas anderes nahe. Eine Band wie Led Zeppelin – mit genug schwarzen Flecken auf dem Spandexeinteiler – wird nicht kritisch durchleuchtet, auch um Musik geht es primär scheinbar niemandem in dieser Anthologie. Stattdessen wird drögen Wortspielereien zuliebe zitiert, werden Songs als bloße Referenz in den Raum gestellt (dabei überlässt man eh schon nichts dem Zufall und der Fantasie keinen Freiraum: Jedem Gedicht wird ja der Songtitel hintenan gestellt, wenn möglich plus passendem Foto vom jeweiligen Act) oder schlimmstenfalls ohne erkennbaren Mehrwert nachgedichtet. Erstaunlich handzahm liest sich diese Anthologie, sie rockt eigentlich so gar nicht, daran ändern lautspielerische Experimente wie die von Uljana Wolf und Monika Rinck wenig. Es verhält sich mit „Rock Lyrik“ fast wie mit der durchschnittlichen Top 40-Liste: Ein paar Perlen und erträgliche Stücke sind durchaus dabei, aber das Mittelmaß regiert. Manche Gedichte haben nicht mehr als Füllercharakter, unterirdische Interludes wie Franz Doblers „Meine Waffe“ finden sich genug. Die Frage, ob Kraft schlicht das Material fehlte, um zumindest 120 Seiten zu füllen, drängt sich auf.

Woran liegt es jedoch, dass „Rock Lyrik“ so unfassbar mau ausfällt, einem Besuch im Museum der modernen Monotonie gleichkommt? Vielleicht daran, dass die versammelten Lyrikerinnen und Lyriker überwiegend den Dutzendgeschmack bedienen. Die größten Hits von Queen, The Beatles, Bruce Springsteen, Bob Dylan, U2, den Rolling Stones  usw., kurz, das ganze Panoptikum an durchgekautem Stadionrock findet Verwendung. Weniger populäre Pfade schlägt höchstens mal Thomas Kunst ein, der sich Tim Buckley als Vorlage wählt, und wenn Carl-Christian Elze sich an Joy Divisions „Love will tear us apart“ abarbeitet, nimmt er sich damit fast noch den aktuellsten Song zur Brust. Aber auch er fängt lediglich die Stimmung des Originals lyrisch ein, bleibt eng am Songtext. Da zeigt sich das eigentliche Problem der Gedichte: Sie reflektieren nicht den Gegenstand, den sie sich auserkoren haben, setzen sich nicht mit ihrem Ausgangsmaterial auseinander, belassen es bei Namedropping und reduzieren Musik auf eine Stimmungsmacherfunktion, die dann poetisch nachgeleiert wird. Die subversive oder auch polemische Kraft der Musik wird entschärft und darf in der Wohnzimmervitrine verstauben. Anton G. Leitners Verse „Aus mir war im Handstreich ein / Schoßhund-Guerillero geworden“ (angelehnt an Uriah Heeps „Lady in Black“) lesen sich wie eine Parabel auf den gesamten Textkorpus und lediglich Mario Wirz zeigt sich in seiner Steppenwolf-Rezeption hellsichtig: „»Born to be wild«, stottern wir vor beschämten Spiegeln, die sich an unsere Jugend erinnern.“. Bis auf wenige Ausnahmen – positiv weil wagemutiger sticht zum Beispiel Augusta Laar hervor – fasst Wirz damit eloquent zusammen, was „Rock Lyrik“ zu einer ziemlich überflüssigen Anthologie macht. Denn selbst wenn sie ein wenig zur Nostalgie einlädt: Es ist eine bittere, die alten Zeiten nachweint. Das ist nicht Rock, nicht Roll, nicht sexy, nicht revolutionär, nicht mitreißend und nicht poetisch: Das ist vorgestrig und langweilig. Thomas Gottschalk Forderungen bleiben bestehen.

Thomas Kraft (Hg.)
Rock Lyrik
Fotos: Helmut Ölschlegel
dtv
2011 · 128 Seiten · 9,90 Euro
ISBN:
978-3-423139960

Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge