Bunt unterwegs und soll doch bleiben
Naja – man muß nicht grübeln um ein gutes Gedicht zu schreiben (oder zu lesen). Es gibt Menschen, die Text empfinden und ihn sehr melodisch leben bei weit offenen Fenstern und in leeren Räumen. Irgendwie paradox: das flattert wie von selbst, wenn man dicht beim Eigenen ist. Man steht da und jemand sitzt bereits da im Schneidersitz oder schlägt einen Flickflack. Etwas purzelt in den whirlpool Welt. Wenn man das Eigene aber hinter einem Schilderwald nicht sieht und nicht weiß, was man aufsperren kann, dann fummelt man sich kreuz und quer in die Langeweile mit undurchsichtigem Stäbchenspiel und hängt mit schweren Köpfen über Gesetzestexten: das darfst du nicht, das darf nicht sein, auf Spielchen lass dich gar nicht ein. Dabei muß Lyrik gar nicht irgendwie aussehen. Schon gar nicht so, daß sie nach etwas anderem nicht aussieht. Sie darf, wenn der Schreiber es zuläßt, und der Leser darf mit ihr, Peng machen und fast wie eine Comicblase im Raum stehen. Oder wie ein Schuß, der den blöden Gedanken gilt.
Tina Gintrowksis Gedichte haben eine wohltuende Spontanität, was die Routen angeht und wirken nicht nur unverbraucht. Sie leben schnell, sind leicht und verspielt (und insgeheim tragisch), reimen sich im Innern und verlieren den Reim auf dem Weg, der nur eine Etappe sein kann, ein Ausflug zu einem Picknick mit buntem Geschirr. Das schließt nicht aus, daß Wichtiges geschieht. Die Poesie läßt es ja ausdrücklich zu, alles in die Schwebe zu kriegen, auch das Schwere – sie stellt Töpfe in die Luft und kocht unterwasser. Lyrikstories und andere Gedichte nennen sich die Texte, die ohne Lehm und Maske zeigen, was an Wünschen und Enttäuschungen in den Zusammenstößen des Alltags steckt. Der oder keiner. Die Welt ist genau da und trotzdem kann sie mehr sein. Das alte Problem der Herde trampelt vorbei, ein Problem, das viel größer ist, als man es wissen will. Ein klassischer Konflikt – wer mit den Worten umherfliegt , verläßt die Burgen und kommt nicht mehr unter. Fast atemlos liest man die Figuren, die herumtanzen und Pirouetten erfinden, wo andere stanzen.
“Es gibt für mich immer wieder Bücher, deren radikaler Ansatz mich so überzeugt, dass für mich Buchmarkt und Kritikererwartungen keine Rolle spielt. Ein Gedichtband von David Lerner war das zum Beispiel oder eben Tina Gintrowskis »Lyrikstories«. Das sind bissig-böse, dabei aber spielerische Gedichte, die sich nicht einfach in die Lyriklandschaft einpassen lassen.”, verriet Verleger Andreas Heidtmann in der lyrikzeitung. Es gibt Bücher, die sehr natürlich kumulieren, was als Pollen durch die Gegend fliegt und inmitten der Zeit eine Wahl getroffen haben, was nun wirklich kleben bleiben soll am eigenen Peng. Bei Tina Gintrowski verträgt sich das und wirkt deshalb mühelos und authentisch. Ihr Buch gehört zu den wenigen, die den Herzschlag einer Zeit lebendig abbilden können als Pusteblume oder nasser Sack, statt ihn grafisch herauszumessen als Grenze.
Ihre Texte erscheinen seit einigen Jahren schon, weit verstreut in den Winkeln des Betriebs und ohne größeres Echo, obgleich Tina Gintrowski 2007 den ersten Platz beim 15. Open Mike belegte. Andreas Heidtmann hat - wieder einmal- aus dem Lyrikgeschehen der Gegenwart eine Stimme herausgehört, die tatsächlich etwas besonderes ist und zusammen mit Tina Gintrowski ein Buch vorgelegt, das hoffentlich bleibt – es zeigt auf eindrucksvolle Weise, was die Lyrik heute kann, wenn man sie läßt.
meine seele ist ZERFETZT IN TAUSEND FUNKEN
einer davon heißt marie und weint betrunken
von der welt ich zeige gerne jedem der mich
fragt die mühen auf und sage brüder oder geister
unser leben ist ein staffellauf mit rohen
eiern aus papier und du der nicht gemeint war
sagst ach schwesterherz das schaffen wir
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