Manchmal wie Grau, das sich rückzerlegt in seine Farben
»Als ich aufhörte, Musik zu machen, habe ich eine andere Musik gesucht, und das war die belarussische Sprache.« Während einer durch Deutschland führenden Lesetournee mit dem Namen „Wechselstrom“ hat die Weissrussin Valžyna Mort im Herbst 2007 diesen Hinweis auf ihr Schreiben gegeben. Damals waren sechs junge Dichterinnen aus osteuropäischen Ländern eingeladen und unterwegs, um – so der Grundgedanke und das Motto – literarisch grenzübergreifend Energien zu tauschen. Valžyna Mort hatte 2005 in Minsk ihren ersten Gedichtband („Ich bin so dünn wie deine Wimpern“) herausgebracht und sich sehr rasch als wichtige poetische Stimme Belarußlands gezeigt.
Eigentlich wollte sie Sängerin werden. Akkordeon hat sie gespielt (und spielt sie noch), das Akkordeon, das ihr wie ein Kind im Schoß liegt und nach ihr leckt, so beschreibt sie es in einem Gedicht, macht das tralala, macht, daß wir es aushalten können im Leben und im Widersinn, weil es sich hineinfaltet und hinausfaltet in die Welt und mit ihm die eigene Melodie. Das konnte die weißrussische Sprache zunächst nicht, weil sie zu klein war, um in ihr zu sprechen. Sie gehörte nicht ins System - „wir fraßen erde und dachten das sei brot“ - Weißrußland wurde 1991 autonom und war als plötzliche Heimat befremdlich. Die 1981 in Minsk geborene, heute in Washington lebende Valžyna Mort ist zunächst in der russischen Sprache aufgewachsen und musste das Belorussische erst lernen, „eine sprache, die blau angelaufen auf der fensterbank liegt“ und mit ihr ein Land und die Menschen in ihm auf der Suche nach einer Identität und einer Zukunft. Zwei Gedichte in ihrem unlängst bei suhrkamp erschienenen Gedichtband „Tränenfabrik“ erzählen davon (es gibt dabei offensichtlich zwei Schreibweisen ihres Vornamens: Valzhyna und Valžyna – man muß beide googeln). Und im Nachwort schreibt sie: „Anstatt ihren natürlichen Platz als Sprache einzunehmen, will die weißrussische Sprache den Platz der Musik besetzen… Sie wird zur gehorsamen Musik, die einen Schritt, ein Wort, eine Note im Voraus weiß, was ich suche;“ Wir können diese Melodien, die sich Valžyna Mort aus der Sprache öffnen, nicht wirklich en detail nachvollziehen, aber die von Elke Erb unterstützte Übersetzerin Katharina Narbutovic hat wunderbare Sätze gefunden, die solchen Reichtum erahnbar und teils kongenial nachbilden. In manchen Texten gelingt es nicht ganz, dort sind sie zweisprachig abgedruckt und die belorussische Variante zeigt schon im Satzspiegel eine andere Eleganz. Bspw. in dem Gedicht „In Fragezeichenposition“ – „mit unserem ganzen körper stellen wir uns in frage / mit einem tropfen harn dazu als punkt.“ Das „sich in Frage stellen“, also „sich in die Position einer Frage bringen“ – ein poetischer Geistesblitz, der schwer zu retten ist ins Deutsche: „welche schreie, mit denen wir uns aufrichten aus der stellung des fragezeichens“, aber es funktioniert.
war es ein haar, das du verlorst
und das wurzeln schlug
nachdem auf die wüste des lakens
die körper
fielen wie regen langersehntoder waren es schlangen
geweckt in den höhlen des deckbetts
die ihre feurigen
zungen vorschnellen ließen
wie blutkaskaden
die luft verschied
erstickt
zwischen
zwei körpernweißer schaum – schau, wurde das laken,
und die deckbettwellen schwemmten auf den boden
zwei fische, die mäuler dümmlich vorgestülpt
und was hängt denn da
wenn nicht ein roter mond
oder war es gott, der seine stimme erhob
und hinunterwarf
mit donnerschlag traf sie mein haus
und als unbeweglicher blitz
steht auf dem bett
eine tulpe
Valžyna Morts Gedichte funktionieren, weil sie aus dem musikalischen Körper eines Gedankens kommen, und sie von dort nicht alle möglichen Qualitäten und Verzierungen mitnehmen, sondern sich sehr klar und kompakt positionieren. Keine unnötigen Triolen, keine geistig künstlich verstrebende Zwölftonregel. Die Sprache ist in ihr das lange Atmen des Akkordeons, die Welt gehört zur Luft, die den Balg durchströmt. Die Töne sind da und gehören dem Gedicht. Valžyna Morts poetische Akkorde sind voller Spannung und sie erzählen nicht nur, sondern tragen uns auch nach dorthin, in das Zerrissene des Umbruchs, das kindhaft hartnäckige Fragen nach dem künstlichen Ernst des Seins und die verletzliche Dauer des Moments. Nicht nur in Weißrussland, auch in Berlin, New York, Florida, Utopia. Das sind keine sauberen Akkorde, sie quetschen sich in die Zeit, sie legen sich deformiert vor uns hin und sehen dann doch wie Melodien aus. Kleine zitternde drones und ironische belorussische Tänze huschen aus dem Akkordeon wie haltlose Drachen und abgeschüttelte Mäntel der Schwermut. Manchmal wie Grau, das sich rückzerlegt in seine Farben.
»Valzhyna Mort ... can justly be described as a risen star of the international poetry world. Her poems have something of the incantatory quality of poets such as Dylan Thomas or Allen Ginsberg. But she is a true original« konstatierte Kevin Higgins vom Cúirt International Festival of Literature. In einfachen Worten – true original. That’s it. Darauf kommt’s an.
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