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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Aufschluss durch Absurdität

Das UM[LAUT] Magazin Ausgabe # 10

Es muss nicht immer die beste Kunst sein, die sich das zusätzliche Etikett „politisch“ anheftet. Heinrich Heine hat demonstriert, wie wenig Schritte es vom Tanz- zum Tendenzbären sind. Das kann man nun aber von der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Umlaut“ (Nr.10, 2/2011) nicht behaupten. Die von Volker Best und Anne von der Bey herausgegebene Zeitschrift hält sich auch ausdrücklich eine Lücke zum Jenseits der Etiketten offen; der Untertitel lautet lakonisch und prägnant: „Junge Kunst. Politische Kunst. Mindestens.“ Diese Lücke ist nicht umsonst gesetzt und wird zudem auf interessante Art und Weise genützt; einige Zweifel muss sich allerdings der Zusatz des „Jungen“ gefallen lassen. Es wäre geradezu eine soziologische Abschlussarbeit wert, zu untersuchen, wie der Zusatz „jung“ in allen Künsten allmählich zum Synonym für „neu“ geworden ist und sich entlang seiner offenbaren Popularität immer mehr geweitet hat (im vorliegenden Falle reicht die Spanne der Geburtenjahrgänge immerhin von 1968 bis 1991). Die Nr.10 der „Umlaut“ versammelt also bildende Kunst und Literatur, die sich um mehr oder weniger direkt gesellschaftsrelevante Themen gruppiert, und es verwundert nicht, dass in beiden Feldern die Beiträge als am gelungensten bezeichnet werden können, die sich eine gewisse Schwebe vorbehalten, eine gewisse Flüssigkeit der Grenzverläufe.

Ein besonderer Akzent liegt auf der Thematisierung von Sozialkapital und Wahrnehmung, und wie diese beiden Faktoren ins Wanken geraten. Die Kurzgeschichten „Mit dem Rücken zur Wand“ von Bülent Kacan und „Fließbilder“ von Katja Kulin stellen jeweils die Mechanismen bloß, mit denen von Äußerlichkeiten auf den sozialen Status geschlossen wird, „Unser Dorf“ von Christian Kaserer fokussiert den Umschlag von provinzieller Traditionsgebundenheit in offen brutale Fremdenfeindlichkeit. Die genannten Beiträge gehen hier oft direkt in die Vollen, obwohl die Struktur der Texte auf einer einzelnen, zudem absehbaren Pointe aufruht. Die Texte schrammen hier hart an der Grenze zur Crux engagierter Literatur: dem gehobenen Zeigefinger. Dessen Geste selbst ist an sich kein Problem; aber offene Türen mit ihm einzurennen, mit ihm altvertraute Reaktionsschemata zu streicheln, schon.

Anders ist da schon die Erzählung „Bonn“ von Paula Fürstenberg. Sachlich, fast schon im Ton einer Reportage eröffnend wird hier das Schicksal der alten Bundeshauptstadt nach dem Weggang der Regierung geschildert. Plötzlich aber bricht eine Absurdität in den Erzählraum, die sich aus der konsequenten Spiegelung von Medien- und Zivilgesellschaft ergibt: die Bonner, die die Aufmerksamkeit des Landes und die politischen Stammkunden zurückwollen, beginnen ein Reenactment des Berliner Mauerbaus. Gewiss, das verhallt ungehört. Die Revolution fällt wegen zu niedriger Einschaltquoten aus und die Geschichte endet mit der mürben Tristesse einer Kleinstadt, von der sich das Auge der Kamera endgültig abgewandt hat. Aber im Gang der Geschichte wird doch klar, dass hier eine größere, eine groteske Reserve entschieden politisch auf die Welt reagiert. Der weggegangene Kanzler und die Kellnerin, die ihm grundlos nachweint: es verschwimmt, wer eigentlich der größere Holzkopf ist. Beckett’sche Disposition hält stets die absolute Mehrheit. Wenn die Absurdität der Welt, der Öffentlichkeit, der Medien erst einmal so lakonisch etabliert ist wie in „Bonn“, macht es keinen Unterschied mehr; und nicht zuletzt schafft sich die Kunst das ebene Feld, auf dem sie sich austoben kann, ohne irgend in das Joch einer Wertung gespannt zu werden.

Verbale Schärfe bleibt den lyrischen Beiträgen, deren Autoren etwa ein Drittel der Beiträger ausmachen, vorbehalten. In den Gedichten von Till Röcke, Tobias Amann, Johannes Witek, Mario Laatsch, Sarah Rudolf, Wolfgang Wurm, Georg Raab und Xenija Wagner erhebt sich zuweilen ein imposanter Anklageton. Amanns Beiträge verdeutlichen hier das ganze Spektrum: verbleibt „tv“ in einem flachen Sarkasmus dem titelgebenden Massenmedium und seinen Protagonisten gegenüber, benennt das zweite Gedicht, „spätschicht“, nicht nur die Leere und überarbeitete Verwüstung im Inneren des spätkapitalistischen Citoyens, sondern zeigt sie auch, evoziert und inszeniert sie. Xenija Wagners „schöne neue welt“ meistert ebenso die Schilderung eines Altersheims als Warteraum vor dem Tod und schrammt so knapp an die Grenze zur Betroffenheit, dass man sie noch erleben kann – selbst als Leser, als spätkapitalistischer Citoyen, als junges Zielpublikum junger Kunst.

Ein bereits bekannter und bereits etwas abgehangener Befund bestätigt sich auch angesichts der neuen „Umlaut“: die bissige Seite des Humors und die gallige Seite der Ironie sind derzeit eher in der bildenden Kunst zu Hause als in der Literatur. Die Beiträge, zumeist von knappen Interviews mit den Künstlern flankiert, reichen hier von Photographien über klassische Tafelmalerei bis hin zu den ingeniösen streetart-Experimenten von Paul Curtis. Die Inszenierung von Chaos gegen Ordnung, von Funktionalismus gegen Produktionsnihilismus geht hier oft mit einer Reflexion des Mediums einher, die eine vom Text schwer einzuholende Gleichzeitigkeit erzielt: so etwa in den collagierten Photographien von Peter Funch oder den absurden „prototypes“ von Patrick Strattner. Keiner der bildenden Beiträge aber reicht an die Unmittelbarkeit der street art von Paul Curtis heran. Curtis praktiziert „inverse graffiti“, das heißt, seine Schablonen definieren nicht den Ort, an dem die Farbe auf die Wand kommt, sondern den, an dem der Dreck von ihr gelöst wird. Das ist nicht nur an der Arbeit am Mythos zugleich der Stadt und dem der direkt revolutionären Bearbeitung der Städte, sondern legt Hand an die Verkrustung selbst. Die Freilegung der ursprünglichen Wandfarbe als Kontrastfolie des urbanen Gemäldes zelebriert nicht nur eine eigentümliche Vermischung von Skulptur und Malerei (die ja traditionell unter der Dichotomie von Hinzufügen und Wegnehmen verhandelt wird), sondern historisiert zudem jede bearbeitete Wand. Was bleibt ist das Sediment. Unser Sediment ist in erster Linie unser Dreck – Curtis bearbeitet unsere Ringstraßen, aber es könnten auch unsere Herzkranzgefäße sein.

Volker Best (Hg.) · Anne von der Bey (Hg.)
um[laut]
junge Kunst. politische Kunst. mindestens.
Weitere Redaktion: Sandra Elgaß
DOPLPACK
2011 · 68 Seiten · 7,00 Euro
ISBN:
978-3-941570023

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