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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Ob der liebe Gott tatsächlich lieb ist?

Fragt nicht nur Walter Wippersberg

„Den Gott, an den ich nicht glaube, gibt es natürlich.“ So beginnt Walter Wippersberg sein Buch über den biblischen Gott, von dem behauptet wird, er habe den Himmel und die Erde sowie die Menschen erschaffen. Von den Schöpfungsmythen abgesehen, beginnt die Geschichte, mit dem Aramäer Abraham, der in der mittleren Bronzezeit als Nomade im südlichen Mesopotamien gelebt hat. Er hat mit Gott gesprochen, eigentlich mehr „gefeilscht“, wie viele Gerechte in Sodom zu finden seien. Von fünfzig ließ sich Gott von Abraham bis auf zehn Gerechte herunterhandeln. Da sich nicht einmal so viele finden ließen, vernichtete Gott die Städte Sodom und Gomorra. Bloß Abrahams Neffe Lot wurde gerettet. Gott forderte von Abraham, dass er ihm seinen Sohn Isaak opfert. Damals war Gott noch nicht allwissend, sonst hätte er um Abrahams Ergebenheit gewusst und Abraham hätte durch den Opfertod seines Sohnes Isaak nichts beweisen müssen. Im letzten Moment rettet ein Engel Isaak und verhindert das Brandopfer.

Bei der Eroberung Kanaans stand Gott treu auf der Seite seines Volkes, jedoch die Unterlegenen sollten ihm geopfert werden, von Güte keine Spur, weder Mensch noch Tier sollten überleben. Gott hatte sich zu einem Kriegsgott gewandelt, der kein Pardon gelten ließ.
Im Laufe der Jahrhunderte veränderte sich Gott, als wäre er selbst mehrere Götter. Seine Güte kam erst später hinzu. Noch lange sollte es dauern, bis Jesus geboren wurde. Für den Vater nahm der Sohn die Sünden der Menschen auf sich. Gottvater hielt sich in diesem Fall im Hintergrund, wurde selbst nicht aktiv wie damals mit Sodom und Gomorra oder bei der Sintflut. Anders als bei Isaak schickte er keinen Engel, um den Kreuzestod seines Sohnes zu verhindern. Hatte er in der Bronze- und Eisenzeit noch mit Abraham und Moses gesprochen, schwieg er später konsequent, kaum ein Zeichen, um mit seinen Verehrern zu kommunizieren.

„Im babylonischen Exil lernten die Deportierten auch eine Religion kennen, die sich von den anderen der Gegend stark unterschied: Die dualistische Lehre des Zoroaster. Hier steht der gute Gott Ahura Masda dem bösen Geist Angra Manju entgegen“, schreibt Walter Wippersberg (S. 138). Die jüdischen Gelehrten ließen sich von der Idee eines guten Gottes inspirieren. Später schleicht sich der Teufel in das Christentum. Auf Ideen gibt und gab es niemals ein Copyright. Davon ist das Christentum keineswegs gefeit. Nicht nur Dichter lassen sich inspirieren. In der Kunst spricht man von Eklektizismus: von jedem das Beste nehmen.

Oft wird Kaiser Konstantin zum ersten „christlichen“ Kaiser stilisiert. Dabei wird verschwiegen, dass sich das Christentum nicht linear entwickelte, nicht dem simplen Prinzip gehorchte: Die Römer verfolgten Christen, bis sich der Glaube durch die eigene Kraft durchgesetzt hat. Vielmehr kämpften glaubenspolitische Richtungen erbittert gegeneinander: Trinitarier gegen Arianer. Jeder behauptete, die Weisheit und Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Athanasius, von dem sich der Name herleitet, blieb siegreich. (Man verehrt ihn noch immer als Schutzpatron gegen Kopfschmerzen.) Wie es politisch und theologisch zuging zwischen Arianer und Trinitarier lässt sich bei Wippersberg genau nachlesen.

Oder über Augustinus, den Heiligen, dem wir verdanken, dass Sexualität eine Schweinerei ist, den Hunden und eben den Schweinen angemessen, nicht aber den Menschen. Den Geschlechtsakt zu vollziehen, sei immer und unter allen Umständen Sünde. Fortpflanzung solle ohne „wollüstige“ Empfindung geschehen, aus bloßer Willenskraft. Bloß keine sexuelle Erregung, schon hat man, ohne es zu wollen, eine „Erbsünde“ begangen. Dazu hat sich Gott allerdings nicht explizit geäußert.

Walter Wippersberg geht bei seiner Analyse chronologisch und akribisch vor, indem er sich nicht nur auf die christliche Bibel, sondern ebenso auf die hebräische Bibel, den Tanach und die Thora, beruft. Er stellt weder Behauptungen noch Mutmaßungen an, die nicht verifizierbar sind, sondern fügt Analysen aneinander, allesamt heilige Bücher, an die Wippersberg mit einem literatur- und stilkritischen Anspruch herangeht.
Niemand kann Walter Wippersberg unterstellen, er habe nicht genau gelesen, ganz im Gegenteil: er hat sehr genau gelesen, sogar genauer als es dogmatischen Religionsbefürwortern recht ist.

Wer etwas über das Verhalten von Massen und das Machtverhalten der Menschen erfahren möchte, greift zu „Masse und Macht“ und wird erkennen und nachvollziehen, dass Elias Canetti recht hat. Wer etwas über Gott und Religion erfahren möchte, Dogmen und Glaubenssätze nicht unhinterfragt hinnehmen mag, kommt an dem Buch von Walter Wippersberg nicht vorbei. In meiner Bibliothek stehen diese beiden Bücher nebeneinander!

Walter Wippersberg
Einiges über den lieben Gott
Otto Müller
2006 · 328 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-701311231

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