totholz und späne
der wald steckt in seinen nestern fern kreischen
sägen, motoren. in ihrem kreisen beginnen insekten
zu summen über dem vogel am boden verloren
ein brummen steckt im gefieder holen mittags
die federn weit aus. ein flügelschlag atem läuft matt
und zu haus landen die träume ohne aufwachen
schlafend verharrt mein körper greift kopf, kehle, laut
stellt mein leib sich neu auf im kreisen der sägen
die späne, das flüstern der vorväter väter. sie zählen
auf mich. ihre schädel. wann werden ihre sätze mich
einholen? was werde ich ihrem grab hinterlassen?
mein bild und ein haus für den atem, das schweigen
am wegrand beim gang durch den wald.
(Anti)Idyll und Sa(e)gen im Holz
Totholz. Ein starkes Wort. Der Titel lässt, schon bevor man den Text gelesen hat, tief blicken. So wird man gleich zu Anfang hineingezogen in eine verwunderliche, eigentümlich anziehende Welt. Die nach Tod, moderndem Holz und Verwesung riecht.
Bereits der Einstieg mit der wald steckt in seinen nestern ist sehr stark; der Wald wird selbst zum Wesen, das in seinen Nestern steckt. Und schon hört man mit fern kreischen – das vom Vorherigen durch kein Satzzeichen abgesetzt wird – gleich auch den Eingriff des Menschen, der das natürlich Gewachsene im wahrsten Sinne des Wortes zersägt. Zumal das Kreischen einer Kreissäge vermutlich das unnatürlichste Geräusch ist, das man sich überhaupt vorstellen kann. Die Assonanz kreisen und kreischen irritiert nachhaltig und greift das Geräusch der Säge noch einmal auf, macht es eindringlicher. Der Lärm des Sägens macht etwas mit der Tierwelt: es summen Insekten, ein brummen steckt im gefieder der Vögel. Auch hier gibt es eine Assonanz. Das „Summen und Brummen“ ist eine Folge des menschlichen Eingriffs und kann ironisch gelesen werden. Die Hoffnung ist dennoch nicht verloren. Denn es bleibt die stille, beschauliche Seite des Waldes. Die Schwierigkeit, in Texten mit derlei kritischem Einstieg dann „doch noch“ die Kurve zu kriegen und die Poesie des Waldes in ihrer ganzen Schönheit hereinzuholen (um nicht zusagen „nachzuholen“), wird hier vorbildlich gemeistert.
Man könnte als Leser/in beispielsweise jemanden sehen, der im Wald mittags auf einem Stapel gefällter Bäume ausruht, einnickt und dabei in einem kurzen Traum wieder zuhause ankommt. Zunächst denkt man, es sei das materielle Zuhause gemeint, doch nun passiert etwas Spannendes, denn es kommen plötzlich die Vorväter ins Spiel, ihr geheimnisvolles Flüstern – all die Mythen und verlorenen Sagen, die geflüstert im Holz, ja in den Bäumen stecken – ein Bild, das ausgesprochen gut gelingt. Es ist die Geschichte des Waldes, die das Holz erzählt. Erzählen könnte. Es taucht ein „latentes“ lyrisches Ich auf, das allmählich in den Text kommt: zunächst als schlafender Körper – den das Geräusch der Säge abrupt aus seinem Schlummer reißt und dennoch erwacht er nicht –, dann nach und nach handgreiflicher wird. Zur Mitte kommen sie noch einmal, die Sägen, um all das Gewachsene, an das sich die Wurzeln der Kultur anknüpft, zu zersägen. Es ist der Schreck, die Beklemmung, etwas greift kopf, kehle, laut, da rebelliert etwas in dieser Geräuschkulisse, der Körper versucht sich aufzustellen, etwas fährt ihm in die Glieder, stellt mein leib sich neu auf (darin wird ganz nebenbei auch die neudeutsche Politphrase des „sich neu Aufstellens" karikiert), bis das lyrische Ich zum Ende hin immer weiter zum erlebenden Subjekt des Textes wird und quasi „übernimmt“.
An Holz und Wald knüpfen sich viele Geschichten, Märchen und Überlieferungen an. Mit den Märchenheld/innen unserer Kindheit ist der Wald ein Ort, an dem sich viel ereignet. Er ist Träger ungeschriebener Mythen, Schauplatz vieler Legenden und Sagen. Wald ist der „gefühlte“ Ort der Vorgeschichte, laut Tacitus u. a. lebten unsere Vorfahren „im Wald“ und möglicherweise scheint einem in diesen Assoziationen auch all das durch die Ereignisse in jüngerer Geschichte heute Bedenkliche auf: die germanischen Sagen mit ihren Göttern und Helden – die „Wagnersche Teutonia“ (als illustre Met-Crew, in muffigen Umhängen, mit gehörnten Helmen) und lässt herzlich grüßen, wenn auch nur von fern. Jemand kommt im Halbschlaf bei seinen Vorvätern an. Und trifft dort auch eben auf die Schädel, die Toten und all jene, die durch den Wald gingen, lange bevor wir gelebt haben. Vielleicht auch tote, im Wald verscharrte Soldaten aus längst vergessenen Kriegen vor der Zeit?
Man riecht dabei das frische Holz der Schnittflächen, das Harz, das im Geräusch der Holzsägen mit angelegt ist. Es muss gar nicht auf dem Papier stehen, zumal die eigentlichen Motive viel tiefer liegen. Die Schädel und das Grab als weitere Assoziationsebene sind dahingehend nur konsequent: dass sich nämlich die Frage nach dem Vermächtnis stellt; die Frage, wann man selbst dort ankommen wird, wo all die Vorväter mit ihren Stimmen und wispernden Gedanken schon sind. Zumal immer auch latent mitschwingt: wann werde ich wie sie werden, wann werde ich letztlich doch auch so denken, wie sie gedacht haben? wann werden ihre sätze mich einholen? Es ist nicht mehr eine Frage des ob; es geht nur noch um den Zeitpunkt. Was natürlich bei Wald und dem germanischen Topos, sofern ihn man darin sehen kann, äußerst (selbst)kritisch ist, was uns als Deutsche mit Blick auf die jüngere Geschichte betrifft. Insofern werden allein durch das Geräusch der Sägen alte Geister geweckt – und ob es nur die guten alte Geister sind, kann man dahingestellt lassen.
Vor allem wird auch die Frage aufgemacht, was man selbst einmal dort hinterlassen wird, neben all den vielleicht auch fragwürdigen Hinterlassenschaften anderer? Hier könnte man fragen, ob es nicht zu konkret ist, dass man dieses benennt, mit mein bild und ein haus für den atem, als Hinterlassenschaften, oder ob es nicht geheimnisvoller und poetischer wäre, auch das im Dunkel zu belassen. Denn das Auftauchen der Flüsterstimmen im Holz macht einen gewissen Reiz aus: dass man nicht weiß, was dort geflüstert wird, sondern nur eine vage Ahnung hat. Hat man erst den Eindruck, mit dem bild und dem haus sei es eventuell doch ein wenig zu sehr aufgelöst, wird bei der zweiten Nennung klar, dass auch anfangs nicht das konkrete Zuhause gemeint war, es also kein konkretes Haus ist, sondern ein haus für den atem – hier wird sehr schön der flügelschlag atem vom Anfang wieder aufgegriffen. Und der Atem ist wiederum eine gängige Metapher für den Odem Gottes, für Gott.
Oder sind es doch die Götter im Holz? Flüstert dort Odin? Hört man Baldur und Loki? Hierin steckt durchaus auch ein Anklang an längst untergegangene Religionen. Diese Lesart kommt durch die Vorväter in den Text. Der atem ist in der Wiederholung sehr konsequent; auch in zu haus wird das Haus wiederholt. Sehr schön auch das ende, dass man ihnen – den Vätern und Vorvätern – ein schweigen am wegrand hinterlässt. So fängt der Text mit dem Wald an und hört mir ihm auf.
Allein die Atmosphäre des Textes ist sehr ansprechend. Fragen ließe sich, ob es die späne im Titel überhaupt braucht. Doch auch sie sind Fragmente, auch sie flüstern, sind Bruchstücke der Vorväterdenkweisen und -stimmen, geben schon eingangs einen Hinweis. Beachtlich ist, dass es einerseits ein Gedicht ist, das Natur und Natürliches besingt – und andererseits auch nicht. Spätestens zum Ende der ersten Verszeile ist jede Illusion dahin, es könne sich hier um einen Text handeln, der auch nur ansatzweise idyllenhaft ist oder sich z. B. das lyrische Preisen moderner Naturreservate auf die Fahne geschrieben hat. Es handelt sich zudem nicht wirklich um einen Text, der plakativ und holzschnittartig (!) Umweltzerstörung anprangert. Das Gros der Texte, die sich heute mit Themen der Natur und Natürlichkeit beschäftigen, driftet häufig ins Menagieriehafte, Putzig-Nostalgische ab, frei nach dem Motto:
früher war Natur noch Natur. Sie bleiben darin zumeist in einem naiven kunsthandwerklichen Ansatz stecken, ohne in irgendeiner Form Transzendenz zu haben. All das wird hier gleich zu Beginn des Gedichts mit einigem Witz und zudem sehr poetisch bewerkstelligt – ohne jegliche Sentimentalität oder unfreiwillige Komik. Insgesamt ein Text, der sehr viele Bedeutungen hat, der ganz nebenbei klischeehafte Begriffe wie „sich neu aufstellen“, „Summen und Brummen“ gekonnt unterläuft, und die Frage nach unserer Herkunft und Identiät stellt.
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