Lesart
Johann Joachim Ewald* 1727† 1762

Dorilis

Armbänder, Palatin, Aigretten,
Schönpflaster, Ohrgehäng’, Manschetten,
Pompons, Bandlätze, Garnituren,
Mantille, Reifrock, Handschuh, Uhren,
Schmink’, Esclavagen, Flor, Brillanten,
Strickbeutel, Schnürbrust, Engageanten,
Halsschleifen, Kappen und Bouquetten,
Galoschen, Hauben und Planschetten,
Glasfedern, Roben, Müffe, Schmelzwerk,
Karkassen, Spitzen, Ringe, Pelzwerk - -
dies alles hat nur einen Namen,
und heisst  D o r i l i s zusammen.

Ohnmacht ist kein blöder Witz

Johann Joachim Ewald (1727-1762) ist der Sohn eines Handwerkers (und späteren Wirtes) in Spandau und dichtet schon in seiner Jugend und während der Studienzeit. Später lernt er als Hofmeister im Hause eines preußischen Generals Ewald Christian von Kleist kennen, der in ihm eine nochmalige dichterische Initialzündung bewirkt. 1752-1757 ist J.J. Ewald Auditeur beim Regiment des Prinzen Heinrich in Potsdam, eine Art Untersuchungsrichter der Militärjustiz. In diese Zeit fallen seine fruchtbarsten poetischen Versuche; es ist die glücklichste seines Lebens. Auch Kleist, der in den vergangenen Monaten wenig Respektables gedichtet hat, taucht in Potsdam auf. Sie inspirieren sich gegenseitig und wetteifern um kluge Verse. Und vermachen sich gegenseitig Gedichte. Ein Text von Kleist findet unerkannt Eingang in Ewalds „Sinngedichte in zwey Büchern“.

Als der siebenjährige Krieg losbricht und Kleist in die Schlachten eilt (ihm wird 1759 während des Kampfes von einer Kartätschenkugel das Bein zerschmettert und er stirbt bald darauf an den Folgen der Verletzungen, weil er einer Amputation nicht zustimmt), reist Ewald nach England, er hat jemanden ausfindig gemacht, mit dem er von Dresden aus kostenlos mitfahren kann, und versucht „einen jungen reichen Engländer in London zu finden, mit welchem er auf Reisen gehen könne“ (Lessing). Vom April bis zum September 1757 flaniert er durch die Stadt, studiert Schlösser und Parkanlagen, Kirchen und alte Bauten, Theater und Gemäldegalerien, übersetzt dort Stücke (es erscheint „Die Hymne der vier Jahreszeiten“ von Thompson) und findet nach seiner Rückkehr schließlich eine gut bezahlte Anstellung am Hof des Erbprinzen Ludwig IX von Hessen-Darmstadt, wo dessen Frau Henriette Karoline Christiane Luise von Pfalz-Zweibrücken, Anschluß und Kontakt zu den großen Gelehrten der Zeit hält. Die „Große Landgräfin“ nennt Goethe sie später. Doch lange hält es ihn nicht dort. Krankheit und Streit lassen ihn Abschied vom Hof nehmen und er reist kränkelnd über Frankreich und die Schweiz nach Italien, streicht bettelarm durch die Lande. Die Allgemeine Deutsche Biographie von 1877 spricht von einem „unstäten Charakter“ Ewalds. Andere Autoren attestieren ihm eine Abenteurernatur. So einfach ist es sicher nicht.

Ewald war in unmittelbarer Nähe zur Landgräfin für die Ausbildung des fünfjährigen Prinzensohns zuständig. Der Erbprinz selbst verbrachte die meiste Zeit in der Garnison (von seinen 32 Ehejahren verlebt er 18 getrennt von seiner Gemahlin; nicht unfreiwillig – beide waren von grundverschiedenem Wesen, sie ein musischer Geist, er ein diktatorischer Militärfuzzi; sie vertragen sich nicht und haben sich nichts zu sagen - fast unmittelbar nach dem Tod der Landgräfin nimmt er sich eine Bürgerliche zur zweiten Frau, morganatisch – er legitimiert damit eine lange schon im Hintergrund gepflegte Liebschaft).
Die Landgräfin ist zunächst genervt von der Provinzialität, hat sie doch zuvor beim „alten Fritz“ in Potsdam schöngeistigen Tafelrunden beigesessen, und sucht nach geistvollen Stunden. Sie wird nach und nach das träge Darmstadt zu einem Musenhof umschmücken, obgleich ihr Mann, der Erbprinz, dagegensteuert, wo er nur kann – das Theater bspw. wird auf seine Sparbeschlüsse hin geschlossen.
Ob es mit Ewald zum Streit kommt oder zur Liebes-Affäre, die entdeckt wird, läßt sich nicht sicher entscheiden, aber das letztere ist das wahrscheinlichste. Ewald ist ein  liebesverliebter, abenteuerlustiger Poet und wie die Landgräfin ein Verehrer des „alten Fritz“ (über den er 1757 sechs Sinngedichte reimt). Grund genug eine heftige Affäre zu haben, die auffliegt und ihn zwingt überstürzt und ohne Geld das Land zu verlassen.

Rom, Neapel, Florenz, Livorno heißen die letzten nachgewiesenen Stationen, er gilt als geistig verwirrt und wird ab 1762 nicht mehr gesehen. Es wird erzählt, er sei Kartäusermönch geworden, andere Quellen vermuten ihn in Tunis oder Algier. In manchen biographischen Angaben stirb er „nach 1766“, in anderen will er 1767 von Rom aus nach Ostindien.
Im „Grundriß einer Geschichte der Sprache und Literatur der Deutschen“ von 1798 beschreibt Erduin Julius Koch der als verschollen geltende Ewald lebe „seit vielen Jahren auf einem Berge als Einsiedler“.  Als Zeugen führt er an: Prof. Franz Oberthür aus Würzburg habe ihm versichert, Ewald lebe „zu Rom als Kartheuser“. Nun war der Theologe Oberthür nur einmal in seinem Leben in Rom, 1771/72 zur Erlernung der Curialpraxis. Durchaus möglich, daß Ewald zu dieser Zeit und darüber hinaus dort zurückgezogen lebte.

Seine Lieder und Sinngedichte erschienen zu seinen Lebzeiten 1755 anonym in Berlin und 1757 nochmals in Dresden. Sie sind oft kurz, generieren sich aus klassischen Bezügen und geben die Wesenszüge des Menschen voller satirischem Esprit und feiner Ironie wieder. Es ist die Zeit „wo man die Werke des Witzes und des poetischen Genies für Synonyma hielt“, schreibt Schiller – die Aufklärung. Unter der Verständigkeit leidet das Bild. Alles strebt nach Wissen. „Du suchst die Größ' und Zahl von jenen Wandelsternen, / Die sich um eine Sonne drehn / Und zwischen tausend Sonnen gehn; / Und dünkst dich groß? du wirst wie klein du seyst, wohl lernen.“ – Ewald kennt noch einen Begriff, den die Wissenschaft gerade überwinden will: Demut. Wissen um etwas verleibt uns die Dinge nicht ein – es erleichtert uns lediglich den Umgang mit ihnen. Macht haben wir nur über unser Wissen, nicht über die Dinge („Das Licht wird leuchten, weil es leuchten muß“ wird Arno Holz 1892 an die Adresse der immer überheblicher werdenden Naturwissenschaft schreiben - das Thema ist bis heute aktuell).

Ewald ist ein hellwacher Zeitgenosse, der zwar in gehobener Stellung oder am Hofe lebt, aber deswegen nichts von seiner einfachen Herkunft vergißt. Die epigrammatische Notiz ist seine Stärke – der kurze und klare Blick schräg auf die Anstrengungen und das Mühen der Menschen, mehr zu sein als ein kluger Organismus, der irgendwann schließlich doch spurlos ablebt und für immer verschwunden bleibt. „Bathyll schreibt für die Ewigkeit, / Wird ihn sein Vorsatz ewig machen? / Ich brauche besser meine Zeit, / Ich schreib' um über ihn zu lachen.“ Der schöne Bathyll – die Würmer werden auch ihm den Leib zerfressen.

Von seinem Liebesleben wissen wir nicht viel.  Manches in seinen Gedichten lässt den Schluss zu, dass er einige unglückliche Abenteuer erlebt und dennoch die Liebe stets besungen hat, notgedrungen ironisch, notgedrungen frivol („An Iris“ / Komm Iris unter Buchen / Ein labend Kühl zu suchen! / Mich schmelzt der Sonnenstrahl / Noch mehr der Liebe Quaal. / Doch hör' nah' im Gebüsche / Tönt ein verliebt Gezische, / Wenn dich der Laut nicht schreckt, / Sind wir dort mehr bedeckt!“) und manchmal sehnend. Anakreontisch hat man seine Dichtung genannt und dabei die Leichtigkeit und die heitere Ohnmacht gemeint, die im Menschen neue Landschaften macht, wenn er begeht, was andere besitzen.
 

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