Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch Götter.
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Kehrte mein verirrtes Aug
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir wider
Der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
Goethes „Prometheus“ definiert das Dichterherz
Dieser antikisierende Preisgesang – so der verdeutschte Begriff der seit Klopstock modischen Gattung Ode – stellt alles andere als ein Lob der Götter da: An ihren obersten, Zeus, adressiert, schmäht das Gedicht-Ich, Prometheus, im Sinne von: Die da auf einem Thron sitzen, brauchen sich nicht als Herren über den Künstlermenschen aufzuspielen! – die Himmlischen.
Schon in der ersten Strophe wirft sich ein junger Mann in die Brust (er gibt sich ein Stück weiter unten als stahlhartes Mannsbild aus), in dem wir unschwer den vierundzwanzigjährigen Kaufmannssohn Johann Wolfgang erkennen. Trotz seiner zuerst als gotteslästerlich abgelehnten Dissertation hat man ihn jüngst dank väterlicher Intervention doch noch zum Juristen promoviert. Zum Zeitpunkt der Verfassung des „Prometheus“ ist er schon als Skandaldramatiker des „Götz von Berlichingen“ in Erscheinung getreten und wird alsbald Kultautor des „Werther“ werden.
In „Prometheus“ erhebt er die Stimme gen die Obrigkeiten und fordert den Schöpfer auf, er möge seine Stirn („deinen Himmel“) vor Scham bedecken und herunten auf der Erde fortan nicht mehr als üben; denn hier hätten die Irdischen keinem Demiurgen, sondern einzig sich selbst ihr Eingerichtetsein in der Wildnis, „Hütte“ und „Herd“, zu verdanken.
Der Kühne wagt es sogar, Zeus zu unterstellen, er neidete den Menschen das gemütlich knisternde Feuerchen in ihren Behausungen.
In Strophe zwei werden die Götter darüber hinaus beschuldigt, sie ließen sich „Majestäten“ nennen und würden von Spenden und Opfergaben leben, die sie den Schwächsten der Gesellschaft abverlangt haben, bis denen aus Naivität oder Verzweiflung nur mehr ihr Glaube übrig bliebe; eine Ungerechtigkeit, wie Goethe am Vorabend der nur in Frankreich möglichen Revolution hier anprangert. Wäre der dann doch zum Geheimrat Geadelte später geboren, hätte er formuliert: Religion ist Opium für das Volk.
Vor kurzem noch am Frankfurter Hirschgraben Kind, hat jener nunmehrige Kraftlackel-Dichter von Amme und Religionslehrer fromm zu beten gelernt; in der Annahme, es schlüge dem Retter und Himmelvater ein menschenähnliches Herz in der Brust... Doch als seine Bitten in der Folge unerhört blieben, hätte der beherzte Jüngling, so lässt Goethe Prometheus verlauten, zu zweifeln und selbstständig zu denken begonnen.
Nun – kurz über der Mitte – folgt das Kernstück des Ur-Genie-Gedichts: Vom angesprochenen Zeus zieht der Dichter die Anrede ab und schwenkt von dessen fehlendem zum eigenen Herz. Im Mythos, dessen sich Goethe hier bedient, ist von der Freveltat des Feuerdiebstahls die Rede. Halbgott Prometheus, der Vorausschauende, hat ihn zugunsten der Menschen verübt. Nachdem er die Götter bereits einmal anlässlich eines Brandopfers ausgetrickst hat, bemächtigt sich der Menschenformer und Namengeber des Feuers und wird dafür schwer bestraft.
Doch statt vom Naturelement Feuer wird bei Goethe vom Herzen gesprochen. In Strophe vier bezeichnet er es als „heilig, glühend“: Für einen jugendlichen Stürmer und Dränger ist das Herz, im Unterschied zum Sitz der praktischen Vernunft, dem aufgeklärten Kopf, der Ort im Leib, wo Leidenschaften und Liebesglut sitzen. Das Feuer der Götter, die sich als herzlos erwiesen haben, gilt es durch Feuer im eigenen Innenraum – Gefühl, Begeisterung – zu ersetzen. Nicht Zeus, dem Herz soll hinfort gedient werden.
Demzufolge bedankt sich das lyrische Ich im Gewande des Prometheus beim eigenen starken Herz für die wärmende Unterstützung in Bedrängnis und Not: Was Gott versagt hat, gewährte das humanistische Hauptorgan, der Sitz des Gefühls. (Hier erklärt sich auch, warum es schon zu Beginn hieß, die Götter wären doch bloß neidisch auf den „Herd“, wo die Menschen ihr Feuer hielten und mit dem sie einander wärmten.)
Die als Diebstahl bekannte Episode, im Geist der Aufklärung gedeutet, wirkt in der Formulierung Goethes konzilianter: Verlegt man sie aus mythischen Gestaden in menschliches Gehäuse, sagt sie: Statt auf herzlose Autoritäten verlasse sich der Mensch lieber auf beherzte Artgenossen aus Fleisch und Blut, denen er vertraue!
Denn, solange betrogen, „glühte“ das Herz in der Brust des Kraftkerls für den angenommenen oder erzogenen Gott; sogar nachdem dieser sich als „schlafend“ herausgestellt hatte. Bis jetzt!
Denn seit auch Trost und Anerkennung vonseiten des Zeus ausblieben, sich Gott als herzlos erwiesen hat, ist in dem virilen Helden der Entschluss erwachsen, dem ein Ende zu machen!
Denn er sei draufgekommen, schreit das Gedicht-Ich zum Himmel, dass „Zeit Schicksal“ die Herren allen Geschehens wären; womit Menschen und Götter im selben Boot säßen: So religionsphilosophisch drückte sich der spätere Weimarer Dichterfürst aus, als er noch ein Jungspund war...
Es hätte ihn, schleudert er Zeus oder welchen Obrigkeiten auch immer, entgegen, nicht etwa zermürbt, dass seine kindischen Wünsche unerfüllbar geblieben wären; Enttäuschungen hätten ihm nie so zusetzen können, dass er das Leben je hassen könnte.
Im Gegenteil: Ganz Sinnenfreund gibt sich hier der ehemalige Bummelstudent, der mittlerweile in der Geburtsstadt eine Anwaltspraxis ganz nach väterlichen Vorstellungen führt: Solang zu „leiden, weinen, genießen und freuen“ menschliche Gemütsregungen blieben, gewissermaßen Herd und Wohnstatt menschlichen Gefühls, solang würde er, das Gedicht-Ego der mythischen Figur, fortfahren, „nach seinem Ebenbild“ Menschen aus Erde zu formen anstatt nach göttlichem Vorbild – und die Gestaltung auch niemals von einem Gott erwarten oder glauben!
Dies legte vor zweihundertfünfzig Jahren Originalgenie Goethe am Start einer sensationellen Dichter- und Denkerlaufbahn dem griechischen Proto-Messias in den Mund...
Zehn Jahre später wird Immanuel Kant auf die Frage: Was ist Aufklärung? – antworten: Ausgang des Menschen aus einer selbst verschuldeten Unmündigkeit.
1774, bei Goethe, ist es nicht jeder einzelne Bürger, von dem Verantwortung verlangt wird. In „Prometheus“ handelt ein Außerordentlicher, der Seher-und-Retter-Künstler, Zwischenwesen wie der antike Halbgott, zugunsten der Menschen. Letztlich wird er seine Tat mit einem Selbstopfer büßen: Man schlägt ihn an den Kaukasos bzw., römisch, ans Kreuz.
In „Prometheus“ lässt Goethe eine antike Persona aussprechen, dass Leidenschaft eine menschliche und voll und ganz vom Menschen zu verwaltende und verantwortende Eigenart ist. Autoritäten wie Göttern schulde man nichts, da man ihnen auch nichts abverlangen könne noch etwas von ihnen geschenkt bekäme.
Dankbarkeit ist obendrein ohnehin keine Genie-Eigenschaft. Vielmehr hätte ein Herren- oder gar Übermensch, wie man später Nietzsche verstehen sollte, die heilige Pflicht, im Dienste seiner Begabungen über Leichen zu gehen.
Man ist den Göttern und Obrigkeiten nichts schuldig, die Stimme des Herzens führe den Starken an.
Kurz darauf zeigt der Prometheus-Dichter am „Werther“, wie fatal es enden kann, wenn einer sein Herz verschenkt. In dieser Sammlung sentimentaler Briefe ist gewissermaßen Fleisch und Blut geworden, was „Prometheus“ fordert: ein nur Herz und Gefühl gehorchender kluger junger Mann, der sich über die Pläne des Vaters, gegen die Konventionen und das Rechtssystem seiner Zeit und die Anmaßungen der Hofgesellschaft hinwegsetzt – und kläglich scheitert.
Das goethezeitliche Publikum, als es in der Werther-Mode nicht nur die geschmacklose Kleidung der Romanfigur, sondern auch ihren Selbstmord aus unerfüllbarer Liebe nachahmte, hat sich, was das betrifft, als unverständige Lesermasse erwiesen und Goethe sich für den gefühlsdussligen Trend – Napoleon soll den „Werther" siebenmal gelesen haben – geniert.
Kommentare
Richtige Fassung?
Guten Tag, in den letzten zwei Absätzen heißt es meines Wissens nach nicht "Knabenmorgen Blütenträume", sondern nur "weil nicht alle Blütenträume..".
Und im letzten Absatz, heißt es meines Wissens nach:
"Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!"
Gibt es hier verschiedene Versionen und/oder Auffassungen?
Viele Grüße,
Marian Conens
Prometheus-Text
Liebe/r Marian/Mairan,
Sie haben Recht! Im Übrigen gibt es zwei Fassungen des Texts, wie über Wikipedia leicht zu eruieren ist. Und: SAGEN SIE NIE WIEDER ABSATZ, WENN SIE STROPHE MEINEN!
Danke für jede Leser-Aufmerksamkeit!
lg, Ihre ue
Neuen Kommentar schreiben