Landschaft bei Regen. Eine Fälschung
Sitzen wie es die Kopisten tun vor ihren Bildern. Auf hölzernem
Dreibein und mit geheimer Rezeptur für dieses Grün. Aus Klee
Kupfererz Brennessel Schimmel und Moos. Das alte Original
aus dem Fenster vom Regen signiert. Graue Rahmen aus den
Tapeten und Kalk. Der Einfall des Lichts. Diese alte Erinnerung
an importierte Früchte in kräftigem Rot. Süden. Der neue Pinsel.
Seine Haare in der Form von Tropfen mit dem Geruch noch von
lebendigem Fleisch. Mit Mäuseschwänzen malen wie es Art war
früher Meister. Ein Strich der Laut gibt auf der locker gespannnten
Leinwand. Ein tiefes Trommeln vom Tamburin. Dein Modell geht
mit den Vögeln auf Wanderschaft. Hebt ab und schlägt mit einem
Flügel die Brüste zu. Bedient sich am Terpentin. Das Geschnüffel.
Dein Schwur nichts mehr zu erfinden. Keine Interpretation. Keine
Veränderung. Etwas schaffen das kein Ich hat. Nur ein Du. Setzt
dann deinen fremden Namen. Buchstaben die wachsen wie Gras.
Gefälschtes Original?
Woran bleibt man beim Durchblättern einer dicken Lyrik-Anthologie hängen? Hier war es der angefügte Untertitel „Eine Fälschung“. Nun, es kommt sicher nicht oft vor, dass ein Titel sein vernichtendes Urteil gleich mitliefert. Man wird also neugierig. Und ist schon halbwegs eingestimmt auf die durch die Jahrhunderte hallende Diskussion über die Frage, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen und was wir aus ihr machen – von Kant bis zu den heutigen Hirnforschern.
Ein Gedicht ist allerdings weder Vortrag noch Talkshow, sondern führt uns ins Konkrete. Wirklich? Der Dichter entwirft mit skizzenhaft hingesetzten losen Strichen eine intime Atelier-Szene. Aber schon der Anfang lässt uns stutzen. Da kommt ein „wie“ vor:
Sitzen wie es die Kopisten tun vor ihren Bildern. Kopisten sind Nachahmer, und hier ahmt einer die Kopisten nach. Die heutige Assoziation des Kopierens mit dem maschinellen Vervielfältigen ist offenbar nicht gemeint, denn es geht weiter mit dem Blick auf das traditionelle Handwerkszeug des Malers: Leinwand, Pinsel, Rahmen, sehr handfeste Farbrezepturen, Terpentin. Ein zweites „wie“ färbt die ganze Szene an: wie es Art war / früher Meister.
Aha. Eine Mal-Sitzung im Stilkostüm vergangener Epochen vielleicht. Schließlich war diese Art des fachgerechten und mühsamen Kopierens lange Zeit die einzige Möglichkeit der Vervielfältigung und erforderte selbst künstlerische Fähigkeiten.
Aber wo ist nun das Originalbild? Es ist da, gerahmt und signiert. Gerahmt vom Fenster und signiert vom Regen: das Vor-Bild des Künstlers ist der Blick aus dem Fenster in die Landschaft, ein von Malern gern verwendetes Motiv, gleichsam als Bild im Bild. Es wird uns allerdings vorenthalten und bleibt im Unterschied zu den konkreten Malvorbereitungen schemenhaft. Nur ein paar Tupfer geben uns einen Hinweis: Diese alte Erinnerung / an importierte Früchte in kräftigem Rot. Süden. Auch das später erwähnte Tamburin könnte auf eine vage gedachte südliche Landschaft deuten.
Wenn aber nun dieser Maler ein Kopist ist, ist dann die Landschaft hinterm Fenster ein Bild? Es enthält immerhin einen Einfall: Einfall des Lichts. Es ist signiert. Oder handelt es sich hier auch schon um eine Fälschung? Signieren kann der Regen ja nur im Kopf des kunstgewohnten Betrachters. Alles nur eine Metapher, ein So-tun-als-ob?
Damit sind wir schon weit vorgeschritten auf einer der beiden Gedankenlinien, die das Gedicht anlegt: Was tun wir, wenn wir etwas abbilden, „nach der Natur“ zeichnen, darstellen wollen? Sind wir neutral wie eine Kamera, oder filtern und modulieren wir das Gesehene nach unserer subjektiven Sicht? Ist die Natur überhaupt „das Original“? Und arbeitet die Literatur ähnlich wie die Bildende Kunst, nach dem oft missverstandenen Horaz-Diktum „ut pictura poesis“? Wenn wir zur letzten Strophe des Gedichts springen, erfahren wir, dass solche Erörterungen den gedachten Kopisten umtreiben:
Dein Schwur nichts mehr zu erfinden. Keine Interpretation. Keine / Veränderung. Etwas schaffen das kein Ich hat. Nur ein Du.
Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Was dabei herauskommt, hat ein naturanaloges Eigenleben: die zum Schluss gesetzte Signatur besteht aus Buchstaben die wachsen wie Gras, sie sind selber zur Natur geworden, wuchern wie diese. Das entspricht eigentlich einem Postulat der klassischen Kunsttheorie, die den Künstler nicht als Nachahmer, sondern als naturgleich hervorbringenden Schöpfer sehen wollte. Ein ähnlich vitales Element, zugleich Zeichen des brutalen Natur-Gebrauchs, sind die Mäuseschwänze als Pinsel, sogar mit dem Geruch noch von / lebendigem Fleisch.
Die andere Denklinie berührt die Frage nach Tradition, Imitation und Nachfolge in der Kunst. Können wir noch so tun wie die alten Meister? Geht etwas nicht mehr, was früher ging? Können wir etwa nur noch kopieren? Solche Skrupel scheinen den auf hölzernem Dreibein sitzenden Spätgeborenen in seiner Schaffenskraft zu lähmen. Denn man fragt sich am Ende verblüfft: wurde hier eigentlich etwas gemalt – oder wurde nur räsoniert und dann frech signiert?
Wir könnten mit dieser Frage schließen, wäre da nicht die bisher übergangene 4. Strophe. Sie enthält den einzigen grammatisch vollständigen Satz mit Subjekt und Prädikat, und zum ersten Mal geschieht etwas in diesem intimen, von selbstbezüglichem Brüten erfüllten Atelier:
Dein Modell geht / mit den Vögeln auf Wanderschaft. Hebt ab und schlägt mit einem / Flügel die Brüste zu. Bedient sich am Terpentin.
Rätselhaft, woher auf einmal ein Modell als halbwegs menschliche Figur auftaucht, sich auf kapriziöse Art bewegt und schlecht benimmt, indem es am Terpentin schnüffelt. Ist hier jenes „Du“ verkörpert, das geschaffen werden soll? Wenn ja, dann ist es allerdings nicht festzuhalten, sondern verselbständigt sich und entkommt der ratlosen Resignation des Ateliers auf Vogelflügeln. Man könnte sich an einen alten Holzschnitt erinnert fühlen, wo etwa die schöne Melusine mit Fischschwanz, Fledermausflügeln und nackten Brüsten zum Burgfenster herausschwebt...
Dieses Gedicht evoziert ein Ambiente, legt Denkspuren und diskutiert sogar ein wenig mit sich selber. Was aber vielleicht am deutlichsten in Erinnerung bleibt, ist jenes starke Bild als irrationales Element. Hebt ab und schlägt mit einem Flügel die Brüste zu.
Wo hat der Dichter es nur her? Vielleicht irgendwo abgekupfert?
Knut Schaflinger: Landschaft bei Regen. Eine Fälschung erschien in: Versnetze drei. Deutschsprachige Gedichte der Gegenwart, hrsg. von Axel Kutsch, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist, 2010
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