Literarische Selbstgespräche

Von und mit melamar

Foto: Astrid Nischkauer

 

Zu allererst herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Selbstinterview. Wir haben ja jetzt schon ein bisschen vorab geplaudert und ich finde, du hast so viele tolle Dinge zu sagen und das wird mir jetzt ein bisschen abgehen, dieses Dialogische. Also so einen Art Monolog zu halten ist einerseits nichts Neues für mich, weil ich teilweise immer wieder mit dem Mikrofon in der Hand geschrieben habe, Improvisationen, die ich dann transkribiert habe, aus denen dann Texte entstanden sind. Für gewöhnlich waren das lyrische Texte, Spoken Word. Eher in selteneren Fällen sind daraus Prosatexte entstanden. Meistens war es eher Lyrik, was wohl auch damit zu tun hat, dass die Inspiration dazu überhaupt erst dadurch gekommen ist, dass ich mit Musikern zusammen gearbeitet habe, die mir Musikstücke, Melodien, Rhythmen und so weiter geschickt haben, zu denen ich dann Texte geschrieben habe und wo ich das immer wieder gehört und dazu gesprochen und auf diese Weise geschrieben habe. Und irgendwann bin ich dazu gekommen, auch ohne Musik auf diese Art und Weise zu schreiben. Was allerdings neu ist, ist, dass bei so einer Art von Selbstgespräch jemand dabei ist, mir jemand gegenüber sitzt. Interessant.

Wir hatten vorab ja schon einige interessante Themen, zum Beispiel Politiker, die in Interviewsituationen das Umgekehrte tun, was wir machen. Wo es nämlich sehr wohl einen Interviewer, eine Interviewerin gibt, die Fragen stellen, wo aber die Politiker dann einfach die gestellten Fragen völlig ignorieren und ihr eigenes Programm herunter spulen. Da ist das, was wir machen dann irgendwie sozusagen die Antithese dazu.

Wir sind hier in meinem Text-Atelier, in meinem Schreibraum. Für mich ist es ganz, ganz wichtig, so einen Rückzugsort zum Schreiben zu haben. Es funktioniert für mich wesentlich besser hier als zum Beispiel in meiner Wohnung, wo dann so viele andere Dinge sind, die irgendwie ablenken. Ich kenne viele Leute, die zum Beispiel ins Kaffeehaus gehen um zu schreiben. Das wäre für mich völlig undenkbar, das würde für mich nicht funktionieren. Also es funktioniert schon, wenn es nicht anders geht, wenn ich auf Reisen bin oder so. Aber ideal ist es nicht. Bevor ich im Kaffeehaus schreibe, wo dann fünf Telefone an Nachbartischen gleichzeitig klingeln oder vielleicht dem Nachbarn, was weiß ich, der Kaffee runter fällt oder sonst irgendwas, da bin ich eher die, die, wenn es die Witterungsverhältnisse zulassen, irgendwohin ins Grüne geht. Ein Kapitel meines Romans Bukuríe habe ich zum Beispiel in der Lobau geschrieben, am Ufer eines kleinen Gewässers.

Ja. Literatur, Schreiben. Die letzten Interviews, die ich gegeben habe, habe ich in Mexiko gegeben, wo ich vier Monate lang war, wo ich in drei verschiedenen Bundesstaaten Lesungen gemacht habe. Unter anderem in Puerto Vallarta. Dort war ich, gemeinsam mit dem mexikanischen Autor Raúl Gibrán, in zehn verschiedenen Schulen und habe mit Schülern, die teilweise nicht älter als zwölf Jahre alt waren, gearbeitet. Also es war von Anfang an als Lesung mit Publikumsgespräch aufgebaut. Und am Anfang habe ich mir gedacht: Um Gottes Willen, die sind ja so jung, ja, wie wird das funktionieren? Und dann war ich dort bei dieser ersten Veranstaltung und dann kam sofort die Frage: Wie hast du angefangen zu schreiben? – Dann ist mir erst bewusst geworden, ich war ja auch nicht älter als zwölf, als ich angefangen habe zu schreiben. Das hat sich damals eben mehr oder weniger aus dem Tagebuch heraus entwickelt. Ich hatte damals eigentlich als zwölfjähriges Mädchen eine sehr schwierige familiäre Situation, einen Stiefvater, mit dem ich nicht zurecht kam, und da war das Tagebuch, oder das Schreiben allgemein, eigentlich eine Art, das Leben zu bewältigen, ein Versuch, mir selber eine Freundin zu sein. Und ich habe dann anfangs nur Freundinnen meine ersten Gedichte gezeigt, die haben dann gesagt: Das musst du unbedingt dem Deutschlehrer zeigen! Und so ist das dann irgendwie weiter gegangen. Und so kam ich dann schon relativ früh, schon im Alter von fünfzehn, das war damals noch in Kärnten, zu einer Institution namens „Der Wolfsberger Literaturstammtisch“. Da hat sich einmal im Monat alles, was geschrieben hat, an einem Tisch getroffen. Und es gab immer eine Gruppe von Autoren, das waren meistens so vier, fünf Leute, deren Texte wurden vorab schon per Post an die Mitglieder verschickt, und die haben dann dort gelesen und dann gab es anschließend Diskussionen. Da ging es teilweise auch ziemlich hart zu, also so von wegen: Das hat ja nichts mit Literatur zu tun! – Oder so, also manche waren da wirklich auch sehr, sehr hart in ihrer Kritik. Und da bin ich mit fünfzehn schon dazu gekommen. Und wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich sagen, war das eigentlich etwas sehr, sehr Wertvolles, weil da Leute waren, die so unterschiedlich waren, dass die sich in einer Großstadt wie Wien wahrscheinlich überhaupt nicht begegnen würden. Da ist die Bergbäuerin, die Dialektgedichte schreibt und der, ich sage jetzt einmal verrückte, Avantgardekünstler aus der Stadt, die da irgendwie zusammen kommen. Das haben damals der HeimoTöfferl und der Gernot Ragger organisiert, der heute noch aktiv ist, nicht nur als Autor sondern auch als Verleger. Er betreibt den Verlag „Der Wolf“ in Wolfsberg, den gibt es nach wie vor.

Das waren so die Anfänge. Da habe ich dann im Alter von sechzehn einen Auftritt bei der „Wolfsberger Literaturwoche“ gehabt. Das war damals ein einwöchiges Festival, das jedes Jahr stattgefunden hat. Das war nicht nur mein erster öffentlicher Auftritt, das war auch mein erstes offiziell selbstverdientes Geld. Da habe ich damals 1000 Schilling dafür bekommen und das war: Wow.

Gerade dadurch, dass für mich das Schreiben immer irgendwie auch eine Art Lebenshilfe war, hat sich für mich die Frage nach dem Weitermachen nie gestellt. Ich habe gerade als sehr junge Autorin immer wieder von Leuten gehört: Mach weiter! Oder so irgendwie. Und ich habe die dann immer irgendwie komisch angeschaut – Von was redet der überhaupt? Weil sich diese Frage mit dem Schreiben aufzuhören nie gestellt hat. Es hat schon Phasen gegeben, wo ich mir überlegt habe: Warum mache ich überhaupt Lesungen? Oder warum publiziere ich eigentlich, warum tue ich mir das an? Aber ich habe noch nie eine Sekunde meines Lebens darüber nachgedacht, aufzuhören zu schreiben. Für mich persönlich sind das zwei verschiedene Dinge. Einerseits das Schreiben an sich und andererseits der Literaturbetrieb, der ja auch, gottseidank hier in Österreich, vor allem in Wien, ein sehr bunter, ein sehr vielfältiger ist. Wir haben ja eine unglaubliche Diversität. Das fällt mir besonders dann auf, wenn ich Leute von außerhalb treffe, die dann sagen: Ja, und kennst du nicht den und den und die und die? – Und wenn ich dann sage, ja, ich weiß was die machen, aber ich kenne sie nicht persönlich, dann heißt es: Was, aber ihr lebt ja in derselben Stadt! Darauf kann ich nur sagen: Ja, Wien ist schon sehr divers.

Ich habe immer irgendwie so mein Ding gemacht, war jahrelang Redakteurin der Literaturzeitschrift Wienzeile, also sozusagen im Underground, wenn man das so nennen will. Bin dann irgendwann mit Freunden und Kollegen von dort ausgestiegen und habe dann den Verein farce vivendi gegründet. Und wir haben jetzt dann im Februar schon das 13jährige Jubiläum des farce vivendi Open Mic. Das ist eine offene Bühne, wo jeder mitmachen kann, die an wechselnden Orten stattgefunden hat und stattfindet, momentan im achten Bezirk im Café Benno, die auch offen ist für Musiker, aber im Prinzip offen ist für alles. Wir hatten schon Kung-Fu Vorführungen, wir hatten schon Flamenco Tanz, wir hatten schon ganz, ganz viele verschiedene Dinge. Wir hatten auch schon einmal Schauspielstudenten, die dann eine Szene probeaufgeführt haben. Damals waren wir noch im Werk, das damals noch im 16ten Bezirk war, in der Neulerchenfelderstraße. Die haben dann gefragt: Ja, aber wenn wir zu dritt sind, können wir dann unsere fünf Minuten zusammenzählen? – Als sie erklärt haben, was sie machen wollen, waren wir einverstanden und die haben dann da eine Szene aus einem Stück gemacht, das war ganz, ganz toll.

Ich war nie die, die jetzt viele Manuskripte verschickt, oder so. Ich habe das gerade erst vor einer Woche bei einer Veranstaltung gemerkt, dass jemand gesagt hat: Aha, dein Lyrikband Poetisiaka, aha, edition farce vivendi, aber du bist ja auch selber Gründungsmitglied dieses Vereines! – Das kam so in einem eher negativen Ton, so quasi: Huch, Eigenverlag! – Oder so etwas. Und ich muss sagen, ich habe gar nicht versucht, die Gedichte anderswo unter zu bringen, also ich habe die überhaupt nicht verschickt, weil ich einfach weiß, dass sich Lyrik im Buchhandel nicht gerade reißend verkauft. Mir war einfach klar, dass, wenn ich einen Gedichtband heraus bringe, dass ich diejenige Person bin, die bei ihren Lesungen – und ich mache ja ziemlich viele Lesungen – das Buch verkauft und niemand sonst. Und von dem her sehe ich das nicht als Tabu an, einen Lyrikband von mir in einem Verlag zu verlegen, den ich selber mitbegründet habe. Und es gibt ja viele Autorenverlage. Ich habe morgen eine Lesung mit der Ilse Kilic zum Beispiel, die hat ja auch mit dem Fritz Widhalm gemeinsam die Edition Das fröhliche Wohnzimmer gegründet. Und sicher auch eigene Bücher dort verlegt. Für mich ist das kein Tabu. Glücklicherweise konnten wir auch für dieses Projekt Förderungen von der Stadt Wien und vom Bundeskanzleramt bekommen für Druckkosten, sonst hätte ich es eh nicht gemacht, wahrscheinlich.

Meinen Roman Bukuríe, den habe ich im Verlag Wortreich publiziert. Huch, jetzt muss ich mich gerade korrigieren: Ich habe behauptet, ich hätte die Gedichte niemandem angeboten, nein, nein, stimmt nicht, der Karoline Cvancara habe ich sehr wohl die Gedichte angeboten. Und daraufhin hat sie mich gefragt: Hast du keinen Roman in der Schublade? – Und so kam es dann zur Veröffentlichung der Bukuríe. Ja, und das war bei meinem allerersten Buch, Fall in die Nacht, damals bei Viza Edit, auch so, dass ich eigentlich dem Verleger, dem Günther Geiger, damals Gedichte vorgeschlagen habe, und er hat gemeint: Was ist denn das, was da am Tisch liegt? – Er war nämlich gerade bei mir zu Besuch und da lag gerade ein Prosamanuskript am Tisch und das war Fall in die Nacht. Und dann hat er gefragt, ob er das lesen darf und dann habe ich ihm den Ausdruck mitgegeben. Also das heißt, die beiden Male, wo ich versucht habe, Lyrik wo unter zu bringen kam dann die Publikation von Romanen als Ergebnis heraus. Man kann es den Verlegern auch nicht verdenken.

Ich kann es ihnen deshalb nicht verdenken, weil ich ja selber mehrere Jahre im Buchhandel gearbeitet habe. Dort, wo ich gearbeitet habe, ist es so, wenn ein Buch eine gewisse Anzahl von Monaten oder Jahren im Regal steht und niemand es kauft und es vielleicht schon abgegriffen ist oder so, dann wird es an die Mitarbeiter verschenkt. Da gibt es einen eigenen Tisch im Personalraum, wo diese Bücher aufliegen und da waren immer etliche Lyrikbände darunter. Das ist leider so. Die Kunden wollen Romane, das ist eigenartig.

Ich mein, ich weiß nicht, wie es dir geht, du bist ja auch Autorin, du bist Lyrikerin – also ich empfinde es irgendwie so, dass bei uns die Lyrik nicht so wertgeschätzt wird, ich weiß nicht. Ich meine, es gibt andere Länder, ich war einmal in Russland zum Beispiel bei einer Lesung, das war ganz, ganz toll. Da wurden nicht nur Texte von mir ins Russische übersetzt, sondern ich hatte auch das Privileg, mit der Übersetzerin gemeinsam nach Russland zu reisen. Die war dann auch zum Dolmetschen vor Ort. Da wurde mir immer wieder gesagt, die Lyrik ist ja eigentlich die Königsdisziplin für einen Autor. Und bei uns habe ich eher das Gefühl, dass es vergleichsweise mehr wertgeschätzt wird, wenn man einen Roman veröffentlicht. Auch in Lateinamerika habe ich das Gefühl, dass die Lyrik sehr, sehr geschätzt wird. Allerdings was das Überleben der Autoren betrifft, sind es, glaube ich, auch dort in den Buchhandlungen eher die Romane, die sich verkaufen. Aber es sind vielleicht dort die Liedermacherszene und die Lyrikszene näher beieinander. Also es kommt vielleicht häufiger vor, dass ein Liedermacher die Gedichte eines Autors vertont oder so. Ja. Und ich meine im Endeffekt: Ich persönlich kann diese Genres zum Teil eh nicht so ganz trennen, ich glaube, ich bin auch in meinen Prosatexten mitunter relativ lyrisch, oder ich glaube, man merkt meinen Prosatexten wahrscheinlich an, dass ich von der Lyrik her komme, weil ich einfach ein sehr rhythmischer Mensch bin.

Ja.

Spannend.

Vielleicht machen wir mal eine Pause zum Teetrinken.

 

Foto: Astrid Nischkauer

 

Gut.

Zweiter Teil.

Wir hatten jetzt eine Pause mit Spaziergang zur Dachterrasse samt Hängematte und Bohnenstauden. Nachdem die Temperaturen schon recht winterlich sind, hat das Ganze auch einen gewissen Aufweckeffekt, zumindest auf mich, gehabt. Ja. Die Pause hat jetzt doch ein bisschen gedauert, wir haben in der Zwischenzeit ein wenig geplaudert, auch über das Thema der literarischen Übersetzung. Und ich bin ja auch so nebenbei Übersetzerin. Früher mal für Rumänisch, heutzutage hauptsächlich für Spanisch. Ich bin eigentlich zum Spanischübersetzen in erster Linie durch das Festival Lateinamerikanischer Poesie in Wien gekommen, wo ich schon mehrere Jahre mitgearbeitet habe, wo ich unter anderem den chilenischen Autor Raúl Zurita übersetzt habe. Oder den mexikanischen Autor Adolfo Ramírez, der eine sehr urbane Spoken-Word-Poesie verfasst, wo sich die Frage stellt: Wie kann da eine Nachdichtung gelingen? Ich hatte mit ihm die Situation, dass der eine oder andere Text scheinbar unübersetzbar wirkte, bis dann doch überraschender Weise irgendeine Möglichkeit sich auftut, indem man halt einfach auch herum spielt. Und ich glaube, bei allem, was ich schreibe, aber vor allem bei der Lyrik, ist, glaube ich, dieser Aspekt des Spielens ein ganz wichtiger. Dieses Herumspielen mit Sprache. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist, dass ich mit Sprache herum spiele, ohne irgendein Ziel zu verfolgen. Also ich glaube, wenn ich mich hinsetzen würde mit dem Ziel – ich schreibe jetzt ein Gedicht – würde wahrscheinlich nichts rauskommen. Sondern ich spiele einfach irgendwie herum und dann passiert irgendwas und dann denke ich mir: Aha. – Und dann tut sich plötzlich irgendetwas auf und es funktioniert etwas.

Und ja, das mit Übersetzungen – also ich empfinde das Übersetzen einerseits als bereichernd fürs eigene Schreiben. Weil es mich irgendwie hinein führt in sprachliche Bereiche, wo ich sonst vielleicht nicht hingefunden hätte. Weil es mich ganz viel auch über meine eigene Sprache reflektieren lässt. Weil es mir Dinge aufzeigt, die mir sonst gar nicht auffallen würden. Gleichzeitig drücke ich mich aber auch vorm Übersetzen. Das tue ich deshalb, weil es zwischen Übersetzen und Schreiben irgendwo doch ein bisschen einen Interessenskonflikt gibt. Wenn ich an einer Übersetzung dran bin, dann lege ich quasi meine eigenen Texte auf die Seite. Das klingt jetzt vielleicht übertrieben, aber ja, ich opfere da ein bisschen was, also ich opfere da ein bisschen was vom eigenen Schreiben. Und andererseits, wenn aber Übersetzungen wirklich gelingen, wenn dann wirklich was rauskommt, was funktioniert, dann ist es auch wieder sehr schön. Und dann ist diese Übersetzung irgendwie auch mein Text, zu meinem Text geworden dann. Mit dem mexikanischen Autor Adolfo Ramírez war das insofern eine glückliche Zusammenarbeit, die auch weiter geht. Wir haben uns vor drei Jahren kennen gelernt, damals war er zum Festival Lateinamerikanischer Poesie geladen und ich war seine Übersetzerin. Und da sowohl er als auch ich unter anderem auch Spoken Word und Poetry Slam gemacht haben, war es dann auch naheliegend, auch hier in Wien in diese Richtung was zu machen. Und wir haben das dann eigentlich nicht so gemacht, dass zuerst die Übersetzung, dann das Original, oder zuerst das Original, dann die Übersetzung gelesen wird, sondern wir haben das als zweisprachige Teamtexte performt. Und das hat eigentlich sehr, sehr gut funktioniert. Wir haben uns heuer, als ich in Mexiko war, in Mexiko-Stadt für eine Lesung an der UNAM wiedervereinigt, sozusagen. Die UNAM ist die Universidad Autónoma, das ist die größte Universität Mexikos und dort haben wir vor Studierenden und Unterrichtenden der Germanistik vorgetragen, also wieder eine zweisprachige Lesung. Es ist auch – es ist noch nicht hundertprozentig fix, aber es ist angedacht – eine Buchpublikation zu machen, wir arbeiten gerade in diese Richtung und loten die verschiedenen Möglichkeiten aus.

Übersetzen ist sozusagen ein Teil meines Schreibens, den ich auch liebe und der auch wertvoll ist, wo ich aber auf der anderen Seite – was soll ich sagen, also das Wort Übersetzerin steht nicht auf meiner Visitenkarte. Ich war jetzt eben in Mexiko, unter anderem auf einem Festival, am Encuentro de Poetas de Zamora im Bundesstaat Michoacán und da waren über 40 – ich weiß nicht, 42 oder 43 – Autorinnen und Autoren geladen und von denen waren nur zwei nicht spanischer Muttersprache. Es war ein Brasilianer da und ich. Der Brasilianer aus Rio de Janeiro, der mir dann erklärt hat, dass er den Karneval wie die Pest hasst. Das fand ich irgendwie ganz lustig. Ich glaube, jeder der Rio de Janeiro hörte, hat gesagt: Ah, Karneval! – Und er hat gesagt: Och, hör auf mit diesem Karneval! – Er hat mir dann erklärt, dass er während dieser Zeit am liebsten gar nicht außer Haus geht. Auf jeden Fall waren außer uns beiden alle geladenen Autoren spanischsprachig, sowohl aus verschiedenen Teilen Mexikos, als auch aus Bolivien, aus Guatemala, aus Argentinien, aus Chile, Kolumbien, also wirklich von überall her. Und natürlich, wenn jemand so wie ich fließend Spanisch spricht und – Aha, du bist Poetin – also natürlich, selbst wenn ich nicht dazu sage, dass ich Übersetzungen mache, könnte ich dann gleich mit 40 Übersetzeraufträgen nach Hause kommen. Es ist ein bisschen schwierig manchmal, diese Abgrenzung. Ich könnte dann quasi nur noch übersetzen und ich muss sozusagen das eigene Schreiben verteidigen. Teilweise kommen dann auch Anfragen über facebook herein, also ich krieg echt sehr viele Anfragen, was das Übersetzen betrifft. Und am besten sollte man kein Geld dafür verlangen und auch noch einen Verlag finden, der das Ganze dann veröffentlicht. Man sollte das am besten alles machen.

Aber prinzipiell finde ich es etwas sehr Schönes, auch so international unterwegs zu sein. Verschiedene Kulturräume haben ja nicht nur andere Sprachen, sondern auch andere Ästhetiken. Man schreibt anders auf Spanisch. Poesie auf Spanisch zum Beispiel funktioniert einfach anders als auf Deutsch. Deswegen funktionieren auch Übersetzungen nicht immer so automatisch. Das kann schon auch inspirierend sein. Wobei Inspiration – Inspiration ist so ein großes Wort.

Inspirierend kann eigentlich fast alles sein. Man kann von fast allem, egal wo man beginnt, mit wenigen Schritten irgendwo ganz wo anders hingelangen. Es ist halt die Frage: Wie steigt man ein in einen Erzählstrom? Ich habe beim Schreiben schon verschiedene Sachen ausprobiert. Meistens habe ich ein Notizbuch bei mir und manchmal fallen mir Sachen ein – und ich bin irgendwo unterwegs, das kann in der U-Bahn sein, in der Straßenbahn, egal wo – und ich notiere mir das dann. Zum Beispiel einmal, das war damals, da habe ich gerade in Bukarest gelebt, da hatte ich ein Auslandsstipendium als Studentin, und da war irgendwie so ein Satz, der mir eingefallen ist: God is the mother of universe. – Und diesen Satz habe ich mit Bleistift auf ein Papier geschrieben und das Papier ist mir irgendwann runter gefallen und ich bin aus Versehen draufgestiegen, das heißt man sieht den Abdruck von einem Turnschuh. Und ich habe den Zettel aber trotzdem nicht weggeschmissen, sondern in eine Schachtel hinein getan. Und Jahre später habe ich in dieser Schachtel gekramt und finde diesen einen Satz – God is the mother of universe – und auf einmal habe ich dann einen Text geschrieben mit diesem Namen. Das ist ein Spoken-Word-Poem, das zirka zweieinhalb, drei Minuten lang ist, das ich dann auch teilweise mit Musikern, also mit elektronischer Musik umgesetzt habe. Und das war aber Jahre später. Also da war der eine Satz, ich meine, ich hätte sagen können: Iiih, der Zettel ist dreckig, der ist grausig, den schmeiß ich jetzt weg! – oder keine Ahnung, ich weiß nicht, das habe ich halt nicht gemacht. Aber Inspiration kann überall, jederzeit, irgendwoher kommen. Ja.

Als ganz junges Ding war für mich Inspiration so rätselhaft, dass ich mir selber nicht getraut habe. Als ich angefangen habe zu lesen, also richtig zu lesen, so als Fünfzehnjährige, da kann ich sagen, waren zwei Autoren für mich wirklich prägend. Im Bereich der Prosa, wie für viele andere Leute auch, war das Hermann Hesse. Ich glaube, ich habe als Fünfzehnjährige vom Steppenwolf ganze Seiten auswendig können, so diese Dialoge zwischen Haller und Hermine, die mit der Dimension zu viel, und so weiter. Und im Bereich der Lyrik war es Erich Fried. Und ich kann mich erinnern, dass ich dann oft, wenn ich Gedichte geschrieben habe, dass mir das so rätselhaft erschien – ja, woher kommt denn das jetzt? – dass ich mich selbst des Plagiats verdächtigte. Und ein Freund von mir, der Willi Kuehs, der nach wie vor als Autor aktiv ist und mittlerweile an der Uni in Klagenfurt unterrichtet – also der war damals Germanistikstudent während ich noch Schülerin war. Und den habe ich dann manchmal gefragt: Du, glaubst du, ist das wirklich von mir, oder kann das sein, dass ich das irgendwo gelesen habe? – Und der hat mich dann manchmal auch geärgert und gesagt: Nein, nein, das ist nicht von Erich Fried, so gut ist es nicht. – Aber dieses Gefühl, als ob das irgendwie von außen herkommen würde, das hat mich lange nicht verlassen. Oder dieses: Ja, vielleicht habe ich es aus Versehen plagiiert, vielleicht habe ich es irgendwo gelesen. Also diese geheimnisvolle Inspiration. Ich glaube mittlerweile – ich weiß nicht, ob ich mir mehr vertraue in dem Punkt, oder ob ich einfach weniger darüber nachdenke, ich weiß nicht, ich glaube, ich habe mich in all den Jahren ein bisschen daran gewöhnt.

Ich habe auch Verschiedenes ausprobiert, auch was Methoden betrifft. Es gibt ein paar Texte in meinem Lyrikband Poetisiaka, die stammen aus der Serie „Die blinde Tastatur“. Das war zum Beispiel etwas, da habe ich dann einfach, ohne hinzuschauen was ich tue, blind auf die Tastatur eingehackt. Und wenn dann eine Seite voll war, dann habe ich mich auf die Suche nach Wörtern gemacht. Und man findet immer irgendwelche echten Wörter. Das habe ich mir dann sozusagen zur Pflicht erhoben, dass diese Wörter in den Gedichten auch tatsächlich drinnen sein müssen. Das war „Die blinde Tastatur der ersten Generation“. Und dann gab es Wörter, die so ähnlich klingen wie tatsächlich existierende Wörter. Und da habe ich es mir dann freigestellt, ob ich die dann irgendwie verwende, oder nicht. Und die Gedichte, die da rausgekommen sind, die waren irgendwie total crazy, also das waren so unerwartete Pointen, die da teilweise herausgekommen sind. Irgendwann habe ich dann wieder aufgehört damit, denn die deutsche Sprache hat halt nicht so viele drei-Buchstaben-Wörter und so viele Gedichte mit OPI oder OPA will man dann auch wieder nicht schreiben. Also das war zum Beispiel so ein vielleicht leicht dadaistisch angehauchtes Experiment. Solche Sachen können ganz spannend sein. Oder Montagetechnik. Es ist ganz lustig. Für mich ist dieses Element des Spiels irgendwie schon sehr, sehr wichtig.

Und wir leben ja in einer Gesellschaft, in der das Wort Spiel fast einen negativen Beigeschmack hat. Spiel, das ist das Gegenteil von Ernst. Aber wenn man einem kleinen Kind zuschaut, das spielt – in Wirklichkeit ist dieses Kind dabei, sein Gehirn zu formatieren und zu lernen und alles das. Auch im Schulsystem zum Beispiel setzt sich das erst schön langsam wieder durch, dass Kinder ja, wenn sie spielend lernen, viel besser lernen, als wenn man ihnen Druck macht und wenn man ihnen Angst macht. Unter anderem habe ich ja auch mehr als zehn Jahre Erfahrung als Nachhilfelehrerin. Und da sehe ich dann diese Kinder, die völlig verängstigt und verkrampft zu mir kommen und sich überhaupt nicht konzentrieren können und man muss die einmal von ihrer Angst runter bringen. Ruhig, da passiert dir nichts, und es ist auch kein Problem, und man darf Fehler machen. Da gibt es ja diesen schönen Spruch: Aus Fehlern wird man klug, drum ist einer nicht genug. Und dann, wenn die Kinder sich entspannen und anfangen zu lachen und so, dann kann man auch wieder mit ihnen arbeiten. Die sind ja teilweise komplett kaputt gemacht von diesem System, in das man sie da hineinzwängt und das eigentlich völlig kontraproduktiv ist. Ein System, das meint, wenn du spielst, bist du faul. Spielen ist böse oder so, also diese Vorstellung gibt es da irgendwie immer noch in vielen Köpfen.

Und wenn ich da jetzt an die Literatur denke, da muss ich jetzt an die liebe Ilse Kilic denken, die hat doch tatsächlich einmal ein Gedicht geschrieben – ich weiß jetzt den Wortlaut nicht – also: Plädoyer für jedes misslungene Gedicht. Sozusagen. Auch ein Gedicht hat das Recht, zu misslingen. Ich kann dann gerne das korrekte Zitat heraussuchen, ich habe es eh irgendwo auch auf einem Blog, ich habe ja auch einen Schreib-Blog  und da habe ich das auch einmal thematisiert.

Ich lege ein Wort ein für jedes Gedicht, das nicht glückt

Ich trinke Wasser, das Millionen Jahre alt ist.
Es war inzwischen Wolke oder Regen
oder befeuchtete die Lippe einer Großmutter,
brachte die Badewanne eines Babys zum Überlaufen,
wusch Kalk aus dem Felsen und fror einen Teich zu,
auf dem ich als Kind das erste Mal auf Schlittschuhen stand,
kann ja sein.
Ein bisschen bin ich da, wo ich bin.

Dann lese ich einen Text über Kriterien eines geglückten Gedichts.
Gleich stelle ich meine Haare auf, ja ich kann das,
ich lege die Stirne in Falten,
ich lege ein Wort ein für jedes Gedicht, das nicht glückt.
Ich brauche den Ort für das Stottern, Stolpern und Straucheln,
für den unmelodischen Schrei und auch für das große Bemühen.
Ich lege ein Wort ein für jedes Gedicht.

Es gibt kein Gelingen ohne Misslingen.
Ich bin jetzt da wo ich bin.
Ein bisschen bin ich. Auch selbst.

 

Ilse Kilic

                Quelle: Vom Glück(en) der Gedichte
Erstveröffentlichung: zeitzoo / halbjahr 2016

Ich habe auch ein paar Workshops für Kreatives Schreiben gemacht. Und der allererste Workshop, den ich gemacht habe, der hat mich total erstaunt. Ich hatte ihn eigentlich für Anfänger, für Schreibanfänger konzipiert. Ich hab an Leute gedacht, die gerne schreiben würden, aber nicht ganz wissen, wie sie anfangen sollen. Und ich war dann total überrascht, dass ich dann eine Gruppe von Leuten vor mir sitzen hatte, oder im Raum hatte, die alle bereits publiziert hatten, in Literaturzeitschriften oder Anthologien, die alle bereits Lesungen absolviert hatten. Also es ist schon einmal eine völlig andere Gruppe gekommen, als ich eigentlich erwartet hatte. Und dann war das Hauptthema irgendwie Schreibblockaden. Es kam dieses Stichwort „Die Angst vor dem leeren Blatt“. Und ich habe den Leuten dann eine Übung gegeben, die ich mir nicht selber ausgedacht habe, sondern ich habe sie aus einem Buch – könnte ich auch nachschauen, welches das war – und die Übung ist ganz einfach, es heißt einfach: Schreiben Sie einen schlechten Text. Die Leute waren empört: Was, dafür kommen wir hierher, dass du uns sagst, wir sollen einen schlechten Text schreiben?!? – Und ich habe sie dann einmal ein bisschen überredet, der Übung eine Chance zu geben und es zumindest einmal zu probieren. Und das war dann wirklich lustig, also wie dann einer nach dem anderen zu lachen begonnen hat und das plötzlich irrsinnig produktiv war. Ja, zum ersten haben sie einmal ihren Perfektionismus ausgezogen und wegschmeißen können. Und zum zweiten: Man kann ja nicht darüber nachdenken, was ein schlechter Text ist, wenn man nicht gleichzeitig auch darüber nachdenkt, was ein guter Text ist, das geht ja Hand in Hand. Und plötzlich hat sich diese verkrampfte Atmosphäre total gelockert und auf einmal war eine total produktive Heiterkeit da. Und da sind dann auch ganz schöne Sachen entstanden. Und ich glaube, das ist es, was es ausmacht, man steht sich oft selbst im Weg, also ich glaube, für Inspiration muss man einfach offen sein. Und ich glaube, gerade so eine gelassene Heiterkeit ist vielleicht die beste geistige Haltung um zu schreiben, also für mich zumindest ist es das. Es gibt sicher Menschen, die ganz andere Zugänge haben. Aber für mich ist es das auf jeden Fall – da bin ich dann offen, da sind die Antennen irgendwie offen. Ja.

Ich glaube, ich bin jetzt sehr hin und her gesprungen zwischen verschiedenen Themen, hoffentlich ist das jetzt nicht zu chaotisch für die Leute, die das lesen werden.

Natürlich ist es etwas anderes, ob ich ein Gedicht schreibe, oder ob ich einen Roman schreibe. Und ich arbeite auch jetzt an einem Roman. Und, wie soll ich sagen – die ersten zwei Romane, die ich veröffentlicht habe, also mein erster Roman, Fall in die Nacht, da war sowieso die Frage: Ist das überhaupt ein Roman? Was ist das für eine Textsorte? – Es war dann ein befreundeter Germanist, der gemeint hat: Ja, das ist ein Roman. Weil der Text nicht sehr umfangreich ist, aber trotzdem, von der Struktur her. Für mich war es einfach nur mein Text. Und auch bei Bukuríe, dem Roman der 2019 im Februar im Verlag Wortreich herausgekommen ist, war das so, dass ich eigentlich anfing zu schreiben und dann erst mir die Frage gestellt habe: Ja wohin geht das alles? – Im Fall von Bukuríe war es so – also da muss ich jetzt etwas dazu sagen, also Bukuríe ist der Name einer der Protagonistinnen. Die Bukuríe ist eine obdachlose Straßenzeitungsverkäuferin in den Straßen von Wien, die aber so etwas wie eine Weisheitslehrerin ist, wenn man so will. Und dann gibt es zwei Protagonisten, Rita, eine Romni mit rumänischem Migrationshintergrund aus Ottakring und den Pablo, einen Wiener mit chilenischem Migrationshintergrund aus Simmering. Und die beiden sind schon lange ein Paar. Und Rita hilft der obdachlosen Bukuríe und in weiterer Hinsicht dreht sich das um und Bukuríe wird zur Helferin, so entwickelt sich die Geschichte. Und im Endeffekt, wie ist das entstanden? – Es waren eigentlich zuerst diese Monologe der Bukuríe da und dann habe ich nicht gewusst, was mache ich damit? Und zuallererst habe ich eigentlich daran gedacht – ich weiß nicht, vielleicht kennst du Der Prophet von Khalil Gibran – das ist ein libanesischer Autor und in diesem Buch von ihm, da gibt es ein Einleitungskapitel, „Der Prophet kommt an“, dann verschiedene Kapitel, die aus Reden zu verschiedenen Themen bestehen, und dann gibt es ein Abschlusskapitel, „Der Prophet reist wieder ab“. Auf ähnliche Weise wollte ich meinen Roman aufbauen, das war die Idee, die mir gekommen ist, nachdem ich schon zwanzig Seiten Text hatte. Und dann sind aber plötzlich diese Figuren dagewesen und haben eine Eigendynamik entwickelt und die Handlung ist viel komplexer geworden. Also eigentlich habe ich sehr unstrukturiert geschrieben.

Und jetzt bin ich an meinem dritten Roman dran und jetzt habe ich das erste Mal wirklich, bevor ich angefangen habe zu schreiben, einen Plot geschrieben. Nur bin ich jetzt an einem Punkt, wo ich gerade anfange den Plot zu ändern. Also ich weiß nicht, ganz so funktioniert es dann halt doch wieder nicht. Ich meine, mir fällt ein Zitat ein von T.C.Boyle, der gesagt hat, er würde nichts langweiliger finden als bereits zu wissen, wie eine Geschichte ausgeht, wenn er beginnt, sie zu schreiben. Das würde ihn so sehr langweilen, dass er das niemals abschließen würde. Also da ist auf der einen Seite T.C.Boyle. Auf der anderen Seite hat es mich zum Beispiel sehr fasziniert ein Interview mit J.K.Rowling zu lesen, der Harry Potter Autorin, die zum Beispiel gemeint hat, sie hätte, bevor sie überhaupt angefangen hat zu schreiben, nicht nur den Ablauf der Geschichte im Kopf gehabt, sie hat wirklich von jedem einzelnen Kapitel bereits einen Plan gehabt, absolut detailliert durchgeplottet. Und dann erst hat sie angefangen zu schreiben. Und da habe ich mir gedacht: Wow! – Also einerseits beeindruckt es mich. Aber andererseits bin ich vielleicht doch ein bisschen näher bei T.C.Boyle. Ja, ich meine, schreiben ist halt auch ein Abenteuer. All die Leute, die sagen, ein Roman muss völlig durchgeplottet sein, bevor man ihn beginnt, die haben dann oft so diesen Anspruch: Ja, das ist professionell und alles andere ist unprofessionell. Andererseits, wer will T.C.Boyle einen unprofessionellen Autor schimpfen? Ich glaube, dass beide Wege funktionieren können. Aber ich glaube schon, dass irgendwie, wenn man schon einen Plan hat, wenn man beginnt, wenn man weiß, was man tut, dass man sich schon viel an Schweiß und Tränen ersparen kann. Wenn man einfach drauflos schreibt, dann riskiert man, dass man dann irgendwann wieder umschreibt und ändert. Das ist dann schon viel Extraarbeit.

Bei mir ist die Prosa auch sehr viel später gekommen. Ich habe viele Jahre lang eigentlich nur Gedichte geschrieben. Also wie gesagt, ich habe meine ersten Gedichte mit zwölf, dreizehn geschrieben und ich glaube, die Prosa ist erst so zehn Jahre später dazugekommen. Und am Anfang waren es Kurzgeschichten. Und dann, ich glaube ich war dann fünfundzwanzig, oder sechsundzwanzig, als dann Fall in die Nacht erschienen ist, also der erste längere Prosatext. Aber die Lyrik ist schon die Wurzel, irgendwie, die Wurzel meines Schreibens. Und wo das Ganze mich hinbringt? – Keine Ahnung. Jetzt fällt mir ein Zitat ein: „Wo alles hinführen wird. Ins Grab.“ Aber ich weiß nicht, von wem ich das jetzt habe. Charles Bukowski? Ich glaube so endet ein Gedicht von ihm. Auch ein Autor, den ich sehr früh entdeckt habe und wo ich dann total baff war. Ich glaube, ich war fünfzehn und ich war in einer Buchhandlung und ich finde diesen Band von Charles Bukowski und schlage ihn einfach irgendwo auf und plötzlich habe ich ein Gedicht übers Scheißen vor mir. Und ich habe mir gedacht: Was, darüber kann man schreiben? – Also das war irgendwie auch so ein Wow.

Oder ein anderer Autor, der mich ebenfalls auch in diesem prägenden frühen Alter irgendwie sehr angesprochen hat, war Jim Morrison. Da gibt es ja diese drei Bände, im Berliner Karin Kramer Verlag erschienen, hat mich auch sehr fasziniert.

Und gerade als junger Mensch – oft ist ja das dann so ein Zufall, worüber man halt stolpert. Ich denke mir, vielleicht, wenn ich in jungen Jahren ganz andere Dinge entdeckt hätte, wer weiß, vielleicht hätte sich mein ganzes Schreiben, meine ganze Persönlichkeit völlig anders entwickelt.

Literatur hat so gesehen schon eine sehr prägende Wirkung. Ich kann mich erinnern, ich war dreizehn Jahre alt und da hab ich im Gymnasium ein Referat halten müssen, es musste jeder Schüler ein Referat halten und wir durften uns die Themen nicht aussuchen, sondern man bekam die vom Professor und mir hat der Professor von Goethe Die Leiden des jungen Werther gegeben. Ich habe dieses Referat sehr oft gehalten, weil ich habe dann die Schule gewechselt und ich habe das mindestens in drei verschiedenen Schulen gehalten und ich habe das dann auch noch an Freunde weiter gegeben, die das dann ihrerseits gehalten haben, also dieses Referat hat eine Erfolgsgeschichte gehabt. Ich habe mich damals mit Zigaretten bezahlen lassen, aber egal. Auf jeden Fall habe ich mich dann auch so in diesem Alter – das ist halt das Alter, wo man sich das erste Mal verliebt und so und ich habe mich unglücklich verliebt und habe mich da irrsinnig hinein gesteigert. Und eigentlich erst zwanzig Jahre später ist mir dann irgendwann der Gedanke gekommen, ob es nicht einen Zusammenhang mit diesem Buch gab. Ob mich dieses Buch nicht eigentlich negativ beeinflusst hat, mich in diese unglückliche Verliebtheit viel mehr hinein zu steigern, als ich es sonst gemacht hätte. Ich bin diesem Jungen wirklich sehr, sehr lange nachgehangen. Und der Werther hat ja, als er erschienen ist, tatsächlich eine regelrechte Selbstmordmode ausgelöst. Also man sieht eigentlich, Literatur hat auch eine gewisse Art von Verantwortung. Ich finde es jedenfalls nicht gut, dreizehnjährigen Mädchen so etwas als Pflichtlektüre aufs Aug zu drücken. Ich fände es besser, man lässt die jungen Leute selbst entscheiden, was sie lesen oder worüber sie referieren wollen oder so. Ich habe es ja einmal erlebt, da ist eine Nachbarin zu mir gekommen, ein damals sechzehnjähriges Mädchen: Sie braucht Hilfe in Deutsch, ob ich ihr helfen kann? – Ja, ja, kein Problem, sie soll zu mir kommen. – Und dann kam sie zu mir und dann stellte sich heraus, sie schrieb ein Referat über mein Buch, über Fall in die Nacht, mein erstes Buch. Das fand ich dann irgendwie ganz lustig. Aber ich würde nicht wollen – ich meine, vielleicht sollte ich das testamentarisch festhalten – sollte mir jemals irgendein Werk gelingen, das so eine Relevanz hätte, dass man es für den Schulunterricht in Betracht zieht, dann möchte ich das bitte verbieten, dass das jemals Pflichtlektüre wird. Ich bin ein absoluter Gegner von Pflichtlektüre, die Schüler sollen selber das finden, was zu ihnen passt und was ihnen gut tut. Literatur soll gut tun, ist das ein gutes Schlusswort?

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