Glanz@Elend |
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Deutschlandplan (A) Zunächst fragt man sich: Müssen wir der Statistik zuliebe Arbeitsplätze schaffen, zumal ungeklärt ist, ob wachsende Arbeitslosenzahlen die Betroffenen ruhigstellen („Du bist nicht allein…“) oder radikalisieren. Solange in den caritativen Suppenküchen die Fleischeinlage, das Snackpacket und der Vitamindrink nicht gestrichen werden, wird keine Millionärsvilla angespuckt, nicht von deutschen Arbeitswilligen. Solange die Kampfschwimmer und Fassadenkletterer von GREENPEACE noch genug spektakuläre Hausaufgaben haben, interessiert sie die Vollbeschäftigung nicht die Bohne, im Gegenteil, und ein anderes partisanisches Potential von Format gibt es nicht im Abendland. Dennoch können wir die Arbeitsmarktlage nicht so einfach ignorieren wie die Billigbordellszene. Selbst wer derart desillusioniert ist, daß er trotz intakter Körperteile definitiv arbeitunfähig wurde, bezeichnet sich als arbeitsuchend und wird als Arbeitsuchender ausgehalten. Man merkt: Arbeit adelt nicht die Leistungsträger und die Ausgebeuteten, sondern den Dreiklang kapitalismuskritischer Elementarforderungen “Brot, Arbeit, Freiheit!“ in beliebiger Reihenfolge, wobei im Kriegsfalle die Arbeit durch Frieden ersetzt werden würde. Doch während Brot und Freiheit immer das Gerüchle anhaftet, daß wer nach ihnen verlangt sowohl verfressen, als auch pflichtvergessen sei, solange nicht Hungertod und/oder Henkersbeil drohen, gilt der Ruf nach Arbeit als durchaus ehrenwert und legitim; grundsätzlich sinnvoll ist er nicht. Seit Anbeginn der Mechanisierung von Landwirtschaft und Handwerk kennt man das Problem freigestellter Arbeitskräfte, Grund genug, die Erzeugung nicht lebensnotwendiger Güter zu rationalisieren. Wann immer seit der vorletzten Jahrhundertwende Staatsordnungen zwischen Peking und Istanbul, zwischen Moskau und Madrid grundlegend erschüttert wurden, standen nicht die Schreiber, Köche und Goldgießer im Regen, sondern die Handlanger und Diener, die Haremswächter und Gesellschafterinnen, die Stallburschen und die Zofen, kurz, alle volkswirtschaftlich irrelevanten Stützen der Standesgesellschaften, Millionen keineswegs unnützer, aber nunmehr verpönter oder verbotener, ergo entbehrbarer Betätigungen. Bedenkt man, daß noch 1949 jeder dritte Mittelstandshaushalt in der DDR (!) ein Hausmädchen, eine Aufwartung, eine Waschfrau, eine Flickschneiderin und irgendeine Art PrivatlehrerIn beschäftigte, welche weder als Statusfiguren, noch als Luxuspfleger dienten, sondern von vollbeschäftigten Eltern benötigt wurden, dann kann man hochrechnen, in welchem Ausmaße frühere Kulturen die Masse der Besitzlosen bei Kost, Logis und einem Sonntagsgroschen vor der Verelendung bewahrten. Und natürlich fraßen Kriege und mörderische Arbeitsbedingungen stündlich jede Menge Männer; heute erleben wir Staatsakte für verunfallte Rekruten und Pressekonferenzen für die verschreckten Konsumenten eines kontaminierten Kantinenessens. Deutschland verweichlicht, ein Zerfallsprozeß, dem die Gewaltkriminalität von Kindern und Jugendlichen sowie die konfektionellen Körperkulte barbarischer Prägung keineswegs entgegenwirken, sondern die höhnischen Kontrastbilder liefern, und so wie früher die Feierabendidylle für den Arbeitsfrieden warb, verarscht heute die Abwrackprämie unser Sozialprodukt. Während den Kreuzberger Ziegenzüchterenkeln die Berliner Republik als technologisches Schlaraffenland erscheint, dürfte den Deutschen dämmern, daß das Dilemma sich vor allem didaktischer Unaufrichtigkeit verdankt. Auf gut Doitsch: Arbeit ist für die Bevölkerungsmehrheit der einzige Gelderwerb; würden unsere Lebensbedürfnisse anderweitig befriedigt werden, wäre Arbeitslosigkeit kein Thema. Daß hier & heute gleichwohl Arbeitskräftemangel herrscht in fast allen Bereichen, also auch in Branchen und Betrieben, welche Leute entlassen, ist ein anderes Problem, doch keines, an dem der Vater und Verkündiger des Deutschlandplans seine helle Freude hätte, denn die noch zu erfindenden Arbeitsplätze würden den Arbeitslosen ja nicht zugeteilt wie Kinderzimmer an minderjährige Elternpaare – man/frau muß sich dafür als geeignet ausweisen, und bis es sooo weit is, werden jüngere und besser aufgestellte Bewerber in deren Genuß gelangen. Doch wie auch immer unser Aussenminister und Vizekanzler die wundersame Verwandlung leerer Henkelmänner in 4 Millionen Arbeitsplätzen bewirken will, muß uns nicht interessieren, denn erstmal verspricht er 1,5 Millionen in der Gesundheits- und Kreativwirtschaft. Mehrere hunderttausend Stellen will er (als Kanzler!) für Alten- und Krankenpflege bereitstellen, rund fünfhunderttausend Jobs sieht er bei Medien, Kultur und Design und davon glaubt die SPD etwas zu verstehen, seit sie (ab 1918) in deutschen Kommunen und Ländern auch an der Kulturpolitik gestaltenden Anteil hat. Die grosse Stunde der sozialdemokratischen Kulturstaatsweihe erfolgte, als Grass und Brandt die Volksbühne betraten, Arm in Arm. Seither gibt es auch für mäßig begabte Schriftsteller, Darsteller und bildende Künstler etliche soziale Errungenschaften, welche sich unstreitig dieser Gesinnungsgenossenschaft verdanken. Gedankt wurde es der SPD nur flüchtig, was einmal wieder beweist, daß die Arroganz der Intellektuellen und Creativen der Ignoranz gewerkschaftsferner Trittbrettfahrer in der organisierten Arbeitswelt keineswegs nachsteht. Glaubt Steinmeier, die seinerseits so benannte Kreativwirtschaft und das weite Feld der angewandten Künste aller Sparten böten sich den Arbeitslosen an wie die reichsdeutschen Autobahntrassen 1933 oder wie die DDR, wo man 1949 u.v.a. begann, eine volkseigene Schwerindustrie aus der Pampa zu stampfen? Oder träumen die Sozis von einer Renaissance der Heimindustrie, von Millionen Hartz IV–Familien, die Kronkorken sammeln, Kienäpfel vergolden und chinesische Raubkopien fälschen? Will der Staat künftig Auftraggeber jeden Schrottes sein oder was meint FWS mit dem Versprechen, unter ihm als Kanzler werde „Deutschland das Silicon Valley umweltschonender Industrieprodukte“? Meint er wirklich das ganze Vaterland, dann weiß ich nicht, wie er die deutschen und vorderasiatischen Couchpotatos sozialisieren will, die Angeschlagenen und die Kaputten, die Illegalen und die Kriminellen, die Suchtkranken und die Minderbegabten, die Karnickelmütter und die Kampfhundeherrchen, d.h. die nationalökonomisch Nullwertigen, diesen stetig steigenden Bodensatz unserer nicht undurchsichtigen Sozialpyramide. Wer dabei an „Arbeitslager“ denkt, sollte wissen, daß alle Einrichtungen dieser Art weltweit für ihre inhumanen Betreiber nur produktiv sein konnten, wenn die Mehrheit der Insassen geistig und gesellschaftlich gesund blieb. Andererseits wimmelt es längstens von Möchtegerns und von selbstverwirklichten Creativen, die nichts oder zu wenig verkaufen, und täglich melden sich mehr und mehr Heranwachsende, die echt „keine Ahnung“ und keinerlei Talente haben, um in der sogenannten Kreativwirtschaft oder in deren Freiräumen zu reüssieren. Bleibt die Alten- und Krankenpflege, seit Jahrzehnten eine Domäne vornehmlich koreanischer und polnischer Frauen. Wollen wir diesen gottgesandten Geschöpfen das Brot nehmen? Eher ließe ich mich von einer indischen Transe wickeln, als von meiner arbeitslosen Tochter oder einem umgeschulten Webseitendesigner (56). Im Ernst, Herr Kanzlerkandidat: Ich glaube Ihnen aufs Wort, daß Sie wollen und wünschen, was sie uns versprechen. Wie immer die Wahl zum Deutschen Bundestag ausgeht – es würde mich freuen, wenn Ihr Arbeitstitel Deutschlandplan zu einem paraparlamentarischen Jahrhundertprojekt gediehe als Schulung der Nation unter unser aller Mitwirkung als Pflicht und Liebesdienst an Deutschland. Damit meine ich u.a. unverschleierte und unbeschnittene deutsche Frauen, deutsche Zuverlässigkeit, deutsche Getränke und deutschsprachiges Liedgut, wie Hoffman von Fallersleben es in der 2. Strophe des Deutschlandlieds sinngemäß besang. Von deutschen Parteien, deutscher Coolness und einer kosmopolitischen Kreativwirtschaft war keine rühmende Rede…
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Abendlanddämmerung |
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