Glanz@Elend |
Volk ohne Traum
XXXIX |
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Belletristik
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Für mich begann alles mit einem Rock’n Roll-Konzert, das ich als 16 jähriger Heimschüler im Westberliner Rundbau am Zoo, einem Catcherzirkus hinter der Gedächtniskirche, an einem kühlen Abend besuchte. Es spielte eine No-Name-Band, die nur schnelle Kasse machen wollte, denn professionelle und prominente deutsche Rocker gab es noch nicht und die US-Stars dachten nicht daran, in Europa zu gastieren. Hingegen berichteten die Zeitungen laufend über Rockkonzerte, wo die Fetzen flogen, und über Krawalle, nachdem Rock’n Roll-Filme aus USA gezeigt worden waren. „Krawall“ stand natürlich immer für Sachschäden, die von Polizei und Presse übertrieben wurden, so auch nach jenem Abend, was fast zur Folge hatte, meine schüttere Schulkarriere abrupt zu beenden, denn natürlich hatte es einen Mordsrabatz gegeben und deshalb einen Großeinsatz der Polizei etc pp. mit vielen Verletzten und Festnahmen. Was die Musikfilme anging, handelte es sich um banale Romanzen begabter Dorfkapellen und Dorfschönheiten immergleicher Machart und trotz des Rock’n Roll völlig ungeeignet, soziale Gewalt zu säen oder weitertragende Funken zu schlagen, aber Anlaß genug, die Krawallbilanz der Nachbarstadtteile und der Metropolenkonkurrenz auszustechen sowie „die Görls“ zu beeindrucken, und deshalb wurden Werkzeuge mitgebracht, um das stabile Gestühl von Lichtspielhäusern, Filmtheatern und Schauburgen zu demontieren. Dies alles geschah im dramatischen Banne von Massenschlägereien in Klamaukfilmen, wo auf Heimatfilmniveau in Bierzelten und Hafenkneipen die Sitzmöbel zerkleinert und das Geschirr zerteppert wurde, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Bei der Begegnung mit der realen Staatsgewalt kam es freilich zu Blessuren, zumeist durch Wurfgeschosse, Stürze, interne Prügeleien und Kollisionen mit Kraftfahrzeugen, doch es brannten weder Autos, noch splitterten die Schaufensterscheiben von Bankfilialen und Juwelieren zufolge gezielter Attacken. Bis dahin gingen noch viele fette Jahre ins Land und bevor in Berlin der Bär los war am Kudamm und in Moabit, vor dem Schöneberger Rathaus und rund ums Amerikahaus, vor den BILD - Druckereien und an den Universitäten, also vor all den späteren brachialen Kraftproben mit der Dritten Gewalt fanden die Schwabinger Krawalle statt, drei tolle Sommertage an der Leopoldstrasse im Herzen Münchens, eine schwere Erschütterung der bundesdeutschen Ordnungspolitik, die kein Vorbeben angekündigt hatte, ein in der Geschichte der BRD bis dato beispielloses Ereignis, welches sich als spontaner unpolitischer Ungehorsam entzündet hatte, als ein paar Polizisten das auf den Boulevard drängende Publikum zweier Straßenmusikanten zerstreuen wollten und nach Hinzuziehung berittener Beamter von den Flaneuren (mehrheitlich Studiker) angegriffen wurden. Der Tumult wiederholte sich am nächsten Abend als Zusammenrottung versus Ordnungsmacht, es gab viele Verletzte, vor allem unter den jüngeren Polizisten. Am vierten Tag brachte BILD bundesweit Absichtserklärungen von Rockerbandenchefs aus Hamburg und dem Ruhrgebiet, welche eine Sternfahrt hunderter Biker nach München ankündigten und versprachen „den bayrischen Bullen den Arsch aufzureissen“. Tatsächlich passierte nichts dergleichen; das asoziale Element der Polizeifeindschaft blieb draussen vor. Als ich wenige Wochen nach diesen Ereignissen in Schwabing eintraf und zu bleiben beschloß, geschah es der Liebe wegen, nicht, weil ich Blut & Pulver gerochen hätte. Es herrschten Bierruhe und die Gaststättenordnung, doch nicht nur in den Köpfen von Politkern und Polizeioffizieren hatte ein neues Denken begonnen (dem zunächst die Position des Polizeipsychologen entsprang und damit ein erstes Präventionskonzept deutscher Stadtfriedenshüter), sondern auch und vor allem bei den anarchistischen Kellerkadern der heimlichen Räterepublik, die über Nacht erkannt hatten, wie geschwind und grübelfrei eine gemeinhin moderate und manierliche Menge akademischer und musischer Müßiggänger zu gewaltbereiten Manifestanten motiviert und mobilisiert werden könnte in absehbarer Zukunft: Die jungen bürgerlichen Gefühlslinken hatten endlich ihr Fronterlebnis gehabt! Gingen Teilnahme & Sieg im „Krieg der Knöpfe“ – den blutigen Straßencliquenkämpfen der späten 40er-Jahre – noch an meine Generation als pseudosoldatische Erfahrung derer, die den ganz großen und echten Krieg bewußt miterlebt hatten, so war es nun an den Twens und Teenagern, mit viel Vergnügen Bürgerkrieg zu spielen.
In der Tat kam es nur
zu Konfrontationen zwischen Demonstranten, Interventen, Blockierern,
Objektbesetzern etc. und der Staatsgewalt; lebensbedrohliche Gefechte
zwischen APO und Antikommunisten, Chaoten und Christdemokraten fanden selbst
als Saalschlachten nicht statt. Hingegen erlebten die Westdeutschen
(zumindest in den Medien) die unentwegten Beeinträchtigungen des
öffentlichen, halböffentlichen und nichtöffentlichen Lebens durch einen
neuen Typus des Friedensstörers: Der politisierte Poltergeist, herbeigerufen
von alten Sünden und neuen Verfehlungen, das nimmermüde Tag- und
Nachtgespenst des unberechenbaren Aktionismus zur Erregung allgemeinen und
individuellen Ärgers als humanster Form des gegen Autoritäten, Klüngel,
Branchen, Institutionen, Ideen und Sachen gerichteten Terrors, von den
Lausbübereien der Spaßguerilla bis zum Todeskampf der RAF. Als
Baader, Meinhof & Co sich entleibten, starben mit ihnen weder Legionen
Getreuer, noch waren die Toten von Stammheim die letzten Hauptschuldigen
gewesen. Indes, wer die aktiven 68er als verantwortungslose Urheber
irreversibler gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und schwerster
irreparabler Beschädigungen tradierter Sicherheitssysteme und sogenannter
sittlicher Fundamente anklagt, muß mindestens Mitwisser gewesen sein, und
natürlich wissen nicht nur Insider, daß der Lange Marsch durch die
Institutionen als größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in den modernen
Dienstleistungsannalen erfolgte, bis zur „Wiedervereinigung“ der
kostspieligste und fragwürdigste Integrationsversuch unserer Geschichte. Ein
Grund zum Feiern ist das nicht wirklich, aber eine prima Gelegenheit, sich
die Generalabsolution selbst zu erteilen. Versteht sich, daß die
Weihrauchschwenker und Blümchenstreuerinnen unsere Enkel sein könnten,
wenngleich die meinen nicht. |
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