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Jugendsünden (2)
Ein Statement von Uve Schmidt

An den Sozialismus muß man nicht glauben wie an eines der verheißenen Paradiese, und schon gar nicht muß man an das Gute im Menschen glauben, um sozialistische Zielsetzungen anzustreben, im Gegenteil. Das angebliche Churchill- Bonmot, wer als Twen kein Sozialist sei, habe kein Herz, wer nach dem Dreißigsten noch immer links stünde, habe keinen Verstand, korrumpiert freilich jede Lebensplanung, da man als Juso keine Karriere in der Finanzbranche machen könne und als Internationalist ein Armutsgelübde ablegen müßte. Natürlich war es nie ganz ungefährlich, sich als Linker zu bekennen und zu engagieren, und mein Hausarzt, ein passionierter Ski- und Sportwagenfahrer, hätte überhaupt keine Zeit für mehr Gemeinsinnigkeit als zwei anthroposophische Elternabende pro anno. Ich habe ihn nie gefragt, ob er als junger Mann vielleicht mal Krebsforscher werden wollte, was bis zur Stunde ebenso geringe Erfolge gezeitigt hat, wie die militanten oder parlamentarischen Bemühungen um eine klassenlose Gesellschaft und eine friedenstiftende Geldwirtschaft. Doch während der Kampf gegen den Krebs keine wissenschaftlichen Gegner hat und die Menschheit den Sieg über die gleichmachende Geißel verzweifelt ersehnt, hat der Sozialismus als Doktrin und Staatsform jede Menge Widersacher: Fanatische Feinde, coole Kontrahenten und jene indifferente Masse, der man ungern Gerechtigkeit und Gesundheit gönnt, von staatswegen aber gewähren, ja, förmlich zuteilen muß. So ist die Lage, und so lange jeder sozialistische Staatsversuch untergraben, ausgehungert oder totgerüstet wird, kann die Todesursache nicht inhärente Dysfunktion sein.

1968 standen die Volksdemokratien im Warschauer Pakt, die kommunistischen Diktaturen außerhalb dieses Ostblocks und diverse Dritte-Welt -Staaten einer erheblich verunsicherten kapitalistischen Welt gegenüber, welche in ihren ältesten Bezirken und geistigen Zentren weniger Furcht vor den Russen und anderen Roten empfand, als vor einem Atomkrieg. Und: Die entstalinisierte Sowjetunion und die siegreichen „Befreiungsbewegungen" in Asien und Afrika, das Modell Cuba und die Wahlerfolge der Eurokommunisten faszinierten nicht nur die Intellektuellen und die Sozialdemokraten, sondern auch größere Teile der Arbeiterschaft und des Landproletariats  in den romanischen Ländern sowie idealistische Teens und Twens in Nordamerika und Europa. Konkrete Veranlassung war das von den USA forcierte Wettrüsten und die aggressive Hegemonialpolitik Washingtons, wobei die in den kapitalistischen Ländern überfälligen sozialen Reformen und strukturellen Neuerungen gröblich vernachlässigt wurden zugunsten konservativistischer und konsumistischer Programme. Was wunder, daß die sich entwickelnde Außerparlamentarische Opposition (APO) gelassen bis freudig auf das Erscheinen des fünfzackigen Freiheitssternes reagierte (dito auf Hämmer & Ackergeräte), emotional auf Hakenkreuze und absolut allergisch auf das Dollarzeichen, sofern man’s nicht gebündelt besaß. Ergo gab es gute Gründe und Gruppierungen genug, sich links einzureihen, doch es kann heuer für gebildete und weltoffene Weggenossen nicht rückwirkend die Selbstentschuldigung gelten, man habe die deutsche Arbeiterklasse (?) falsch eingeschätzt und den Klassenfeind unterschätzt und deshalb viel Zeit verschwendet mit Experimenten, für welche die Verhältnisse medial, aber die Versuchsobjekte ungeeignet gewesen seien. Fakt ist, daß es keiner Herkunftsgeschichte wie der Dutschkes (u.v.a.) bedurfte, um einen westdeutschen Malocher von einem marxistischen Muschkoten der Ernteschlacht unterscheiden zu können: Entweder war man verblendet (d.h. nicht helle genug) oder einfach opportunistisch, d.h. man erhoffte sich Chancen, im Status Nascendi einer sich anbahnenden alternativen Weltrevolution eine Rolle zu spielen oder ein Positiönchen zu ergattern wie jene „unbelasteten" Deutschen, welche nach der Kapitulation den Besatzungsmächten als Hilfspolizei oder Notbürgermeister dienten in der Erwartung, ihre Loyalität und Leistungsbereitschaft langte für eine Karriere im Kalten Krieg.

In der Tat befanden wir uns nicht mehr mittemang der rauchenden Trümmer des letzten Deutschen Reiches, sondern in einem Studentencafe am Charlottenburger Steinplatz, in Schwabing oder an der Bockenheimer Warte zu Frankfurt am Main. Was wir erlebten, war der öffentliche Laborversuch, eine parlamentarisch verfasste Demokratie (wenngleich abhängig von ihren alliierten Stiftern) per pseudorevolutionärem Crashtest durchzuchecken und höchstwahrscheinlich steckten dahinter nicht Havannas 5. Kolonne und die jüdischen Eierköpfe der Frankfurter Schule, jedenfalls nicht in Form direkter Lenkung. Es gab überhaupt keine operativen Pläne aus geheimen Schubfächern, es hatte in Kalifornien geknallt und daraufhin überlegten die neophilen Bewohner des europäischen Echotals, wie man den radikalen Polit-Rock zwischen Elbe und Rhein tanzen könnte. Man war in unserem Falle eine lockere Großgruppe überwiegend männlicher, belesener und unternehmungslustiger Sinnsucher undogmatischer linker Positionierung, welche gleichsam über Nacht ein neues, offenes, irrlichterndes Betätigungsfeld fand. Angefangen hatte das Rumoren freilich nicht auf einem Campuspicknick in Berkeley oder beim Besuch des Kaisers von Persien in Westberlin vor 40 Jahren, sondern immer dann in der Geschichte der Neuzeit, wenn es den studierenden Eseln zu wohl wurde, sich aber keine geile Bewegung fand, der man sich anschließen oder, besser noch, voranstellen konnte. Tatsächlich gingen allen großen Volkserhebungen plus Systemveränderungen verzweifelte Hungerrevolten der Stadtarmen voraus, mitnichten das notorische Gemecker über den verachteten „Mensafraß“,  und wie die Annalen aufzeigen, veranstalteten Studenten öfters gewalttätigen Aufruhr, z.B. wegen der Erhöhung des Bierpreises oder der Schließung beliebter Freudenhäuser. Der sozialrevolutionäre Studiker indes ist eine reale Figur der altrussischen Szene, sein altdeutsches Pendant existierte nur auf historisierenden Wandbildern in diversen DDR- Hochschulen. Hingegen neigten unsere akademischen Jungs zu blutigen Ehrenhändeln und schnellen Entschlüssen, die Ersten zu sein, wenn das Vaterland rief, und dabei ging es nicht nur gegen äußere Feinde (z.B. viermal gegen Frankreich), sondern auch gegen die rote Gefahr in Bayern, im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland sowie gegen missliebige  Politiker, die sogen. Novemberverbrecher. Nur: Welcher Freikorpsmann, welcher Attentäter, welcher rechtsextreme Parteisoldat war denn damals als solcher Student? Und könnten wir, wenn von der Studentenrevolte die Rede ist, nicht auch sprechen von Schulschwänzerlegionen, blauroten Methusalems und umdeklarierten Werkstudenten, recte von Abbrechern und Aussteigern, welche zwar die Räumlichkeiten und Instrumentarien der Fakultäten nutzten „für den Kampf“, aber mittelfristig sich selbst suspendierten, um tätiger Teil einer supranationalen Sammlungsbewegung zu sein?

Wahr ist, daß das Gros der Achtundsechziger Abitur hatte, daß die führenden Männer mehr oder weniger Studenten waren und daß vergleichbare Personaldaten die obersten Führungsebenen der NSDAP und ihrer Gliederungen ebenso markierten wie die biografische Ähnlichkeit der beiden effektiven Führer beider Bewegungen. Und während der eine sich u.a. als Haupthemmnis jeglichen staatspolitischen Pragmatismus in Deutschland auswirkt, wirkt der andere in seiner Grunewaldvilla wie ein buddhaförmiger Hindenburg der Hoffnung. Wenn wir schon keine echte Volksvertretung haben, sondern nur ein Abstimmungs-Casino für Beamte und Lobbyisten, wäre es doch ein schönes und tröstliches Symbol, das höchste Amt im Staate künftig nur mit Personen zu besetzen, die es nach ganz oben geschafft haben ohne Abitur…
                                                                       

 


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