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Zum 5-jährigen Bestehen ist ein großformatiger Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten erschienen, die es in sich haben:

Die menschliche Komödie als work in progress »Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
Mit Texten von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam und den besten Essays und Artikeln unserer Internet-Ausgabe.
Inhalt als PDF-Datei
Dazu erscheint als Erstveröffentlichung das interaktive Schauspiel »Dein Wille geschehe« von Christian Suhr & Herbert Debes
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Wir Weihnachtsmänner

Ein Statement von Uve Schmidt

Wiedermal sind wir davongekommen, stellt man in Rechnung, dass der November jener Monat ist, welcher zumindest in Mitteleuropa die meisten Freitodopfer fordert, alle Jahre wieder ohne besonderes Aufsehen als saisonales Risiko wie die Badeunfälle im Sommer und die Stubenbrände in den Wochen vom 1. Advent an bis in den Januar hinein, wobei nicht selten Adventskerzen und Lichterbäume den Suicid oder einen Mord „verdunkeln“ sollen, wodurch oft Unbeteiligte zu Tode kommen, also unsereiner theoretisch gefährdet ist, wenn er bei lebensmüden Leuten einen Hausbesuch macht, etwa als überraschender Weihnachtsmann, d.h. wir leben in aller Unschuld gefährlich sowieso, aber von den ersten Herbstnebeln an bis zum Aschermittwoch ganz gewiss, solange Selbstmörder Glück haben als solche. Was wäre gewesen, wenn Robert Enke (32) sich einem maroden Zug entgegengestellt hätte, den ein nervenschwacher Lokführer steuerte, womöglich über einen beeinträchtigten Streckenabschnitt, Faktoren, die Enke nicht kennen konnte und nicht befürchten mußte, also wenn es demzufolge eine Entgleisung gegeben hätte mit vielen toten und schwerverletzten Reisenden – hätte DER SPIEGEL dann geschrieben: „Sein Suicid ließ die Deutschen erstarren; alle bewegte nur eine Frage: Warum?“  Diese Frage ist das saudumme Stereotyp (wie) in allen spektakulären Trauerfällen der neueren Neuzeit und sie war diesmal überflüssig, denn bereits die ersten Eilmeldungen von Enkes Selbsttötung  lieferten das Stichwort Depressionen. Doch wer sind „die Deutschen“?  Ich gestehe, von Robert Enke zuvor nie gehört zu haben, ebensowenig meine Lebensgefährtin, ein deprimierter EINTRACHT - Fan. Natürlich war HANNOVER 96 uns ein Begriff als Fußballsportverein, der kein europäischer Kultklub ist, und als ergrauter BILDbetrachter war mir  die Deisler - Story noch gegenwärtig und deshalb die Tragödie von Himmelreich (sic) durchaus der Beachtung und des Nachdenkens wert; mehr nicht, bei allem Respekt. Als dann jedoch in Höchstgeschwindigkeit sich Extrameldungen und Sondersendungen auf allen staatseigenen Kanälen gleichsam jagten und förmlich ballten, durften wir uns verdutzt die Augen reiben, und dann die Mahnwachen, der Trauermarsch in der Landeshauptstadt, schließlich das große Gedenken im Niedersachsenstadion und unsere wichtigsten illustrierten Journale mit würdevollen Covers. Oh, Haupt voll Stolz und Wunden! Ältere Zeitgenossen könnten sich an die ersten Kriegshelden des WK II auf der BERLINER ILLUSTRIRTEN erinnern, natürlich feldgrau in fotograu, aber nicht weniger viril und viktoriös. Wollte man (die Heimatgemeinde, der Club, der DFB oder die Deutsche Gesellschaft für Gemütsleiden) Robert Enke ein ehrendes Angedenken widmen, so würde es sicherlich nicht nur einer Torhüterlegende gelten, sondern einem komplexen Musterfall, dessen Würdigung nur richtig und gerecht wäre, wenn die Wörter Freitod und Depression nicht fehlten, meinetwegen gemildert als Lebensflucht und Schwermut, doch wenn ich die rossblütigen Niedersachsen realistisch einschätze, werden sie den Denkmalsgedanken noch lange überschlafen. Was mich noch lange wach halten wird, sind indes keine Schlafstörungen, sondern anhaltende Verstörungen meiner vaterländischen Grundseele durch falsche Fanale.

Man stelle sich vor, Hans Magnus Enzensberger (80) hätte sich eine Woche vor seinem Geburtstag entleibt, weil er die zu erwartenden Elogen recte die Verkennung seiner poetarischen Lebensleistung befürchtete und deshalb in einem blutgezeichneten Appell die deutsche Jugend zum Widerstand gegen unsere verlogene Wachstumsgesellschaft aufgerufen. Wieviele Fackelträger hätten wohl unsere nächtlichen Metropolen und Universitätsstädtchen spontan belebt? Wenn ich (s.o.) die Bestürzung der Deutschen bestritt, weil nur eine Minderheit der Deutschen Enke überhaupt gekannt habe, mag man ermessen, wieviel Prozent  von 81 Millionen etwas von Enzensberger je gehört bzw. gelesen haben. Das Ergebnis (das Echo) wäre blamabel ausgefallen, selbst wenn der Vergleich mit Enzensberger ehestens Sepp Maier zustünde und Quitten nicht mit Edelbirnen aufzuwiegen sind; die Tatsache, dass nur wenige Frauen sich wirklich für Fußball interessieren, aber fast alle Frauen lesen, punktet leider nicht. Angenommen, HME (80) hätte seinen Bekanntheitsgrad richtig eingeschätzt, dito seine Beliebtheit, er hätte die Veröffentlichung seines Abschiedsbriefes sichergestellt gehabt und ihm gewogene Medien hätten die Trauer und das Vermächtnis in Aktionen umgesetzt – was hätte das bewirken können, solange nicht Millionen Deutsche nur darauf lauern, unter der Führung eines frisch entseelten Nationalheiligen des Kulturbetriebs ( wozu auch der Sport gezählt wird!) eine missliebige Behörde abzufackeln, ein Getto auszuräuchern oder straßenweise Luxusläden o.ä. zu verwüsten? Dass die stummen Marschierer in Hannover nur Robert Enke im Kopf hatten, ist wahrscheinlicher, als dass sie über die Härtegrade einer depressiven Erkrankung grübelten, über Leistungsdruck bei Arbeitslosigkeit und Antriebsschwäche im Ein - € - Job. Es genügt vollauf, dass die überwiegend jungen und jüngeren Hannoveraner samt Freundinnen (die, weil alle Hochdeutsch sprechen dort, anderswo als altklug gelten) einen Grund hatten, um mehr oder weniger erschüttert ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl todernsten Ausdruck zu geben. Was derweil die Sender daraus machten, erfolgte im öffentlich-rechtlichen Auftrag, bewährte sich mit meisterhafter Routine quasi in Lebensgröße des traurigen Toten und erzeugte beim Zuschauer das Gefühl, hinter dieser tragischen Personalie müsse viel mehr stecken als eine betroffene Witwe und ein peinlich berührter Verein, denn für nahe liegende Verdächtigungen und Spekulationen blieb kein Raum, keine Ritze: Alles lag offen bei der Kripo, die keine Sekunde Öffentlichkeitsarbeit vertrödelte. Wir, das Fernsehpublikum, waren tagelang auf dem Laufenden, und erst in der offiziellen Abschiedsstunde erlöste mich beim letzten großen Akt im Stadion die von den telegensten der zahllosen Texttafeln und Spruchbändern verkündete Aschenbahnbrödelbotschaft „Helden sterben nie, Legenden leben ewig!“ oder „Robert lebt in uns!“ Es war halt wieder nichts gewesen und nichts geworden mit dem alkoholfreien Volkshelden, dem Märtyrer des Konkurrenzkampfes, dem Halt – Dein –Tor – Saubermann als künftiger Patron säkularen Nothelfertums. Vom flachen Lande der Spökenkieker und Werwölfe (Lug by Löns!)  hätte man das durchaus erwarten können, doch es obsiegte die alldeutsche Haupt- und Mittelschuljugend mit ihren Hindenburglichtern und Plüschherzen, ihrer grottenschlechten Albumlyrik und der Meinungsfreiheit, jeden Scheiß nachzubeten, für den BILD (auf S.1.) mittlerweile beinahe zu intellektuell und/oder fast zu schöngeistig ist, also nimmer alleinverantwortlich für unseren geistigen Niedergang.

Deutschland, einig Weihnachtsland! Seit der große Strohstern über die Futterkrippe kam und die morgenländischen Gesandten mit ihren glitzernden Geburtstagsgaben die armen Eltern (das Vieh gehörte ihnen nicht) eher in Schwulitäten brachten, als ihnen zu Wohlstand verhalfen, hat sich mit Christi Ankunft nicht nur die sogenannte Frohe Botschaft ausgebreitet, sondern ein globaler Markt für religiöse Fälschungen aufgetan, beginnend mit der alttestamentarischen Vorgeschichte, erweitert und modernisiert durch die Herkunfts- und Wirkungsgeschichte des Jesus of Nazareth, gipfelnd in der Errichtung einer mit Reliquien und Legenden hökernden Stellvertreterkirche in Rom, sich fortsetzend mit der Massenproduktion orientalischen Firlefanzes als Christbaumschmuck- und Weihnachtsgeschenkartikelkultur sowie der Etablierung heidnischer Fress- und Saufsitten als Weihnachtsfestbräuche. Ich bin sicher, dass Robert der Schmerzensmann alle Voraussetzungen erfüllt als erste  erfolgreiche Ikone der neuen deutschen Antiheldenverehrung.  Das Letzteres - die Anhimmelung eines Gescheiterten- den Mangel an echten Helden voraussetzt, versteht sich leider nicht von selbst. Frohe Festtage und Prosit Neujahr…
 

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