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Mann oder Frau?

Ein Statement von Uve Schmidt

Wenn das deutsche Wahlvolk lieber einen Mann an der Spitze der Bundesregierung hätte, könnten wir uns eine Personaldebatte schenken: Ein männlicher Megastar ist nicht in Sicht, und selbst Angelas Mundwinkel gefallen mir besser als Frank-Walters Flunsch. Natürlich herrscht kein definitiver Mangel an qualifizierten Anwärtern, wenn man abwarten kann, wie ein Amtsinhaber mit seinen Aufgaben wächst, wie aber führt man eine Genderwahl herbei, da sogenannter Konsens herrscht, daß es bereits eine chauvinistische Attacke sei, derartige Überlegungen laut und legal anzustellen? Natürlich gelten die gegen Frauen in Führungspositionen vorgebrachten Bedenken wegen gewisser geschlechtsspezifischer Risiken auch für den mächtigsten Posten im Staate, indes erscheint es mir fraglich, ob die Kanzlerschaft in unserer Demokratie eine derartige Machtfülle bietet, um unter dem Einfluß des Vollmonds oder einer diabolischen Kartenlegerin Deutschland ins Unglück zu stürzen. Andererseits stehen auch andere Alternativen an: Wann, fragt die Bundesvorsitzende der Obama-Fan-Clubs, wann küren die Deutschen endlich eine farbige, schwule und jüdische Persönlichkeit für allerhöchste Ämter? Weshalb ist das Bundeskanzleramt nicht komplett behindertengerecht ausgestattet? Selbstverständlich würde Westerwelle als Vizekanzler die Regierungsgeschäfte übernehmen können, wenn die Umstände es erforderten, aber wie selbstverständlich reagierte das internationale Protokoll auf eine männliche First Lady? Unsere Verfassung würde zwar die sexuelle Konfession schützen, aber den Urning nicht vor seinen liberalen Parteifreunden. In etwa betrifft das alle Angehörigen von Minderheiten und im Bedarfsfall alle biographisch Belasteten, de jure jedenfalls, und da richtige Mohren à la Dibaba keine nennenswerte Population bilden, wäre ein negrider Kanzlerkandidat nicht repräsentativ  für seinesgleichen und deren Rolle in der Deutschen Geschichte, sondern eine kapriziöse Ausnahme, und so wenig wie die Merkel von Uckermärkischen umwieselt wird, müßte im Bundeskanzleramt eine schwarze Schwarzenquote eingeführt werden. Gleichwohl „verstärken Exoten und Homosexuelle in öffentlichen Positionen die mentale Spießermission“ (Volker Beck, MdB), also das Anschwellen der Toleranzakte durch Gewöhnung und Anfreundung, solange sie – die Akte und die Homos – fein verteilt bleiben, hingegen stellte ein jüdischer Kanzler die Berliner Republik nicht bloß auf die Antisemitismusprobe, wobei es nebensächlich wäre, was für Wetterfronten die deutsche Nahostpolitik beeinflussen, ergäbe sich doch ein erstrangiges Sicherheitsproblem: Von der Gefährdung der Person selbst bis zur Gefährdung der nationalen Interessen durch die Person direkt oder indirekt, und natürlich können Kreisky und Sarkozy uns nicht ermuntern oder beruhigen, denn wir sind nicht Felix Austria oder Gott in Frankreich, sondern das Staatsvolk mit der allergrößten diesbezüglichen Arschkarte.

Bedenkt man, daß die US-Amerikaner den Zweiten Weltkrieg mitgewonnen haben u.a. dank grosser Kontingente farbiger GI’s, welche auch beim Barras Bürger dritter Klasse blieben bis in die 60er Jahre, dann muß man sich nicht wundern, weshalb Obama als solcher (Afroamerikaner, aber kein 100%er Inländer!) als politische Figurine erst so spät erkoren wurde. Wahrscheinlich dachten die demokratischen Drahtzieher, daß ein Schwarzer ohne Sklavengene und prägende Rassismuserfahrungen weißer fühlt als seine dunklen Schwiegereltern. Natürlich wurden bei seiner Nominierung auch die Dritte Welt und die offiziell antirassistischen europäischen Nationen ins Auge gefaßt, doch eine unausgesprochene Abbitte bei Onkel Toms Großfamilie war es gewiß auch, by the way. Daß unsere kolonialistischen Todsünden in Afrika auf diesem Wege (Canossa, we can!) gesühnt gehören, darf nur denken, wer sich Roberto Blanco als ersten Ehrenbürger Deutschlands vorstellt. Tatsächlich wird selten des beste Mann, die beste Frau gewählt, sondern eine geeignete Person, d.h. das mehrheitsfähigste Schlitzohr mit möglichst gewinnendem Gesichtsschädel, und de facto waren bis auf Adenauer und Erhard alle folgenden Kanzler fotogene Männer mit Sex-Appeal, die auch von jüngeren Frauen gewählt wurden. Es wäre ungalant, über die Anziehungskraft Angela Merkels im Hinblick auf die männliche Wählerschaft zu spekulieren; auf Stimmberechtigte, denen Style und Schönheit schnuppe sind, kann die amtierende Kanzlerin nur vertrauenserweckend wirken als getreuliches Abbild ihrer bemerkenswerten Lebensgeschichte, einer Karriere wie im Volksmärchenbuch. Während ein Roma oder eine Sinti als BundeskanzlerIn erst infrage käme, nachdem der erste ziganische Generalmusikdirektor der Erde seine Memoiren verfasst hat (dito die erste ziganische Kreisschulrätin, Medizinprofessorin oder Generalstaatsanwältin) oder einfach nur ein ganzer Jahrgang Nomaden das Abitur oder den Facharbeiterbrief gemacht hat, bleiben nicht wenige ehrgeizige Talente völlig chancenlos, sofern ihnen das Innenministerium nicht frühzeitig zu einer neuen Identität verhülfe. Zwar sind sie meisten weiblichen Pornostars kinderlos geblieben und die wenigen Enkel deutscher RAF-Prominenz bislang nicht durch staatsmännisches Profil aufgefallen, doch es gibt weiterhin deutsche Herrscherhäuser und Kindeskinder von Nazigrößen, wozu die ähnlich kompromittierte Generalskaste nicht rechnet, desgleichen der Nachwuchs von Kriegshelden des WK II, zumeist Personen, die ihre seinerzeit berühmten Ahnen nie kennen lernten. Es konnte „d’r Kloine vom Rommel“ zwar Oberbürgermeister von Stuttgart werden, aber in einer unserer größeren Metropolen hätte ein ortsansässiger Generalfeldmarschallssohn keine stadtväterliche Perspektive gehabt, und die zahlreich überlebenden Ritterkreuzträger vermochten zwar ihre Söhne zu protegieren, doch deren Wahlkämpfe nur durchs Fernbleiben zu fördern.  Beim Hochadel liegen die Dinge anders: Schwarze Schafe werden nur von der Boulevardpresse geschätzt, geachtete und erfolgreiche Fürstensprosse machen es nicht unter dem Schloss Bellevue als avisiertem Amtssitz: So kann man jederzeit mit der regierenden aristokratischen Mischpoke tafeln, muß aber nicht jeden Strauchritter empfangen. Natürlich wurde in 60 Jahren Bundesrepublik diskret erwogen, unbelastete Hoheiten oder international renommierte Nobelpreisträger (Wissenschaftler!!!) ins höchste Amt zu lotsen, wenn die Parteien sich nicht arrangieren konnten oder die Öffentlichkeit nach einem überparteilichen Hausherrn rief, doch stets obsiegte das Proporzdenken. Die Kanzlerin verdankt sich letztlich Alice Schwarzer, d.h. der politischen Gelegenheit zufolge einer personalen Verlegenheit. Bevor Merkel mit dem Wahlverlierer Stoiber frühstückte, hatte sie mit der EMMA-Chefin genachtmahlt. Seither führt sie mit eiserner Hand und trotz vieler Versprecher hat sie sich noch nie verplappert.

Es waren unsere dümmsten Parlamentarier und Politiker nicht, die ihre Ämter abgeben mußten ohne Aussicht auf Rehabilitierung wegen verbalen Vertuns; zumeist stolperten sie über Worte zur Reflektion des Dritten Reiches, in aller Unschuld, aber im Radar des Zentralrats. Als neulich ruchbar  wurde, daß die Datschenbesitzerin Merkel sich das alte Kopfsteinpflaster ihres Zuweges asphaltieren ließ (auf eigene Veranlassung und Kosten), assoziierte ich sofort Stolpersteine und die Überlegung, daß dieses Stück Feldstrasse womöglich ein Abschnitt des jüdischen Leidensweges gewesen sein könnte, was theoretisch ja nicht auszuschließen ist, falls sich vor Ort Zeugen der Deportierung oder eines Todesmarsches fänden, oder ärger noch, daß das Pflastermaterial aus einem antiken jüdischen Friedhof stammt. Wir erkennen: Das politische Überleben unserer Politiker hängt nicht allein von den Leibwachen ab, es ist in der Bundesrepublik Deutschland gefährdeter als anderswo. Und der Bürger lernt, daß seine gewählten, sehr gut bezahlten und versicherten Volksvertreter es nicht nötig haben, silbrige Löffel zu stehlen aus der Kanzleramtsküche oder geheime Kanzlertortenrezepte an die Vereinigten Emirate zu verticken. Auch die in den obersten Etagen der deutschen Politik grassierende Lockerung der sexuellen Sitten legt dem Wahlvolk den Verdacht nahe, daß unsere Obrigkeiten sich beim Regieren und sonstigen politischen Tagewerken keinen libidinösen Zwang mehr antun, was erheblich gesünder ist als asexuelle Herrschsucht. Und wenn wir genau hinschauen, werden wir feststellen, daß die Herren und Damen täglich gar nicht anders können, als ihre Arbeitszeit bei Friseuren, Masseuren, Hand- und Fußpflegerinnen, bei Maßschneidern und Zahnärzten und anderen Medizinern, Wahrsagern, Ernährungsberatern, Fitnesstrainern, Sprachlehrern, Innenarchitekten, Barkeepern und Journalisten zu verbringen, ungeachtet aller anderen Erledigungen, die man/frau nicht delegieren oder schwänzen, bzw. sein lassen könnte. Sie können schon deshalb nicht, weil sie all das brauchen, um in der ihnen verbleibenden Zeit Politik zu machen, selbst wenn ihnen der Job von Assistenten und Praktikantinnen erleichtert wird. Da in solch einem Arbeitsalltag derzeit der wirtschaftliche Weltuntergang geschaukelt werden muß nach alter Hausmuttermanier, dünkt mich die nordostelbische Physikerin – herausgetreten aus dem langen Schatten der unbekannten Trümmerfrau – nachgerade eine Lichtgestalt am Anfang des Tunnels…
 

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