Termine Autoren Literatur Blutige Ernte Quellen Politik Geschichte Philosophie Zeitkritik Sachbuch Bilderbuch Comics Filme Töne Preisrätsel |
|||||
Impressum І
Mediadaten
І
Letzte Aktualisierung:
30.09.2011, 08:13
Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
Anzeige ![]() Die menschliche Komödie als work in progress Ein großformatiger Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten, die es in sich haben. |
||||
Volk ohne Traum |
Unter Vollidioten Beginnend mit mir (*1939) ist jeder zweite meiner deutschen Altersgenossen der erfahrungsgesättigten Ansicht, man sei mehrheitlich von Vollidioten umgeben. Diese Einschätzung entspringt einem demoskopischen Generalverdacht, welcher sich freilich auf die Zahlenwerke der Wahlforscher und diverser Bundesinstitute stützen kann. Geht man davon aus, dass die von uns gering geschätzten Mitbürger über unsereins keine bessere Meinung haben, über unsere Verwendung jedoch konsequentere Vorstellungen hegen, als wir sie über ihresgleichen uns gestatten, dann verdankt sich Deutschlands florierender Fortbestand einem Widerspruch, der christlichen Bruderliebe in diabolo. Oder andersrum: Dass wir uns nicht gegenseitig ausrotten, bestätigt die eingangs behauptete Verformung, konkret den fortschreitenden Kretinismus, die Dekadenz und ein der Haustierliebe ähnelndes Demokratieverständnis; dass wir als Volkswirtschaft noch funktionieren, erklärt sich womöglich aus dem inzwischen hohen Anteil angelernter Zuwanderer und den vielen fingerfertigen Völkern außerhalb der EU, welche die deutschen Markenzeichen emsig hochhalten. Dass manche deutschen Gebrauchsgüter für den Binnenmarkt immer öfter, immer schneller ihre Sollbruchstellen erreichen, dass die deutschen Handwerker und Hausärzte im Deutschen Fernsehen bevorzugt als Comedy-Clowns und Schnulzenhelden auftreten, karikiert die Wirklichkeit, denn wir sind schon länger nimmer, was wir einst waren: Das Deutsche Reich, die Zierde des Welthandels, „das Land der Ideen“, die Bewahrer aller Sekundärtugenden, Volk der Bücher, Schulen, Kindergärten und Turnhallen, der großen und der tiefen Töne, der Museen und Pinakotheken, der Bibliotheken und Musentempel, der treuesten und tapfersten Hunde und der diversifiziertesten Küche Europas (letzteres eine Folge der deutschen Kleinstaaterei, unserer Agrikultur und einer breiten, genussfrohen Mittelschicht, mitnichten ein Triumph des Fernsehintendantenwillens) sowie die „besten Soldaten der Welt“. Letzteres hören die deutschen Militärhistoriker am liebsten aus dem Munde ehemaliger befehlsführender Feinde, ergo gibt es derlei rühmende Stimmen nicht zu knapp und keineswegs selbstvergessen. Wir hingegen finden uns (s.o.) immer beschissener, dannzumal, wenn wir erleben wie gut, wie toll, wie supi sich Leute finden, denen man die Blödheit nicht angesehen hat, und wider Erwarten fallen die meisten der neuen Frauen nicht durch Nasenringe auf, ein unterschätztes Risiko, denn in eine Gleichstellungsbeauftragte sollte man sich tunlichst nicht verlieben. Will sagen, dass auch der Geschlechterkrieg erst dann seine Schrecken verliert, wenn die Klügeren sich dumm stellen. Doch wie komme ich von unserem verblödenden Volkstum auf das deutsche Weibeswunder? Vermutlich, weil die Erde und die Welt, die Heimat und die Familie feminin sind, dito die Gesellschaft und die Nation, die Ehe und die Stadtbücherei, die Demokratie und die Hauptschule, die Firma, die Mafia und die Wehrmacht (o.s.ä.), die Partei, die Gewerkschaft, die Handelskammer und die Bank. Männlich sind der Gesangsverein, der Kegelklub und der Elternbeirat, welchletzterer insofern befremdet, weil die meisten Väter sich vor diesem Gremium drücken und nicht nur deshalb die Kinderaufzucht vom Stillen bis zur Stillsitzordnung den Müttern obliegt und zu allermeist bis zur Schwiegermütterlichkeit andauert. Was aus Kindern einmal wird, lastet überwiegend auf den Schultern ihrer Gebärerinnen, schon deshalb, weil die meisten alleinerziehenden Elternteile ledige Frauen sind, weil meistens Frauen (auch Großmütter, Hortnerinnen u.a.) die meiste Zeit mit Kindern verbringen, welche sehr wohl Väter haben, aber keine präsenten männlichen Bezugspersonen zu passenden Tageszeiten. Die oben aufgeführten Hauptwörter grammatikalischer Weiblichkeit erlangten ihr Geschlecht nicht bei der vorletzten DUDEN- Redaktionskonferenz, sondern im Laufe patriarchalisch geprägter Zeitalter, dennoch verbinden sie qua Nutzanwendung ihren inhaltlichen Gebrauch durch Mehrheiten der weiblichen Bevölkerung. So haben wir eben nicht nur jede Menge Frauen in politischen Spitzenämtern, sondern auch jede Menge Frauen auf Demos, Wahlveranstaltungen, Parteitagen und Politkränzchen in sich mehrender Mehrzahl. Ob Alice Schwarzer und ihr EMMA-Team geschlossen und geheim nur Frauen wählen, spielt dabei keine Rolle; es langt, wenn die weiblichen Stimmberechtigten die ausreichende Repräsentanz von Wahlen überhaupt ermöglichen. Diesbezüglich müssen sich die deutschen Männer also keine Sorgen machen, hinsichtlich unserer Kinder ebensowenig, denn was aus den Halbstarken von heute werden kann oder werden sollte, ist kaum noch planbar: „Seit gestern wird die alte Welt ohne Gott neu aufgestellt!“ (Majakowski, 1923). Womit ich nicht an ein Comeback der Oktoberrevolution denke, sondern an die seit Ende des Kalten Krieges (d.h. nach Implosion der Sowjetmacht) sich durchsetzende wirtschaftsimperalistische Neuverteilung der Anbauflächen und Viehweiden, der Schürf- und Bohrrechte, der Trassen, Seewege und Frachthäfen, supranationale Einschnitte, deren verheerende Folgen die Völkergemeinschaft ärger und dauerhafter bedrohen als ein atomwaffenfreier dritter Weltkrieg rund um die USA, den man in Hollywood schon längst mehrmals gewonnen hat. Um was also lohnte sich das bürgerliche Dasein in Freiheit und Frieden, wenn es sich als brisanter Hohlkörper erweist, der Wohlstand für alle als Falle? Die einzige ideologische Anmaßung predigt der weltweit agierende Islamismus, die einzigen Interessen aller Länder der Erde gelten den natürlichen Rohstoffressourcen und deren gerechter Verteilung, bzw. Vergütung. Und selbstredend wäre man erleichtert, wenn ab sofort die verdammten Geldgeschäfte gesittet geregelt würden. Die politische Öffentlichkeit – weitreichend via Fernsehen und Internet hergestellt – lässt niemanden über die Folgen verfehlter Politik im Unklaren. Man sieht die Hungernden und die Havarierten, die Kriegsschauplätze und die revoltierenden Massen, vernichtete Lebensmittel und verendete Viehherden, Flüchtlingsströme und Blechlawinen, Spitäler voller Seuchenopfer und die Tummelplätze der Superreichen und Schönen. Man guckt Politmagazine, Talkshows, Bundestagsdebatten, Politiker im Kreuzverhör und enthüllende Dokumentationen, systemkritische Spielfilme und politisches Kabarett. Es werden permanent in unseren seriösen und skandalösen Medien findige Finger in offene oder schlecht verheilte Wunden gelegt, um anzuklagen, nachzuhaken und zu warnen. Klar, dass uns derlei Offenheit und Anwaltschaft beeindruckt, begeistert und vor allem ruhigstellt; 90% des politisch motivierten Rumors in aller Welt beruht(e) auf Falschmeldungen und Gerüchten, Verleumdungen und Hetze in Staaten ohne Meinungs- und Medienfreiheit. Unsere Brandstifter, Plünderer und Steineschmeißer sind keine Ultrapatrioten, keine religiösen Fanatiker und keine hyperaktiven Volksfreunde, sondern der Schrecken und die Schande ihrer älteren Verwandten, arbeitenden Nachbarn und moderaten Kumpels. Wer aber würfe hierzulande den ersten Stein, nachdem er das Glashaus seiner kleinbürgerlichen Transparenz verlassen hat, um die Panoramascheibe eines Oberberghofs bei Gstaad oder Vaduz zu zerteppern? Schon brennen keine Edelkarossen mehr in Berlin, aber abgefahrene Mittelklassewagen. Noch schafft es die NPD in Mitteldeutschland landtagsfein zu sein und dabei dürfte es bleiben, denn die Voraussetzungen für eine Nationale Opposition sind längstens perdu, müssen aber weiterhin beschrien werden, denn der Popanz wird gebraucht, weil zehntausende von wissenschaftlichen, pädagogischen, publizistischen, referentiellen, polizeilichen und geheimdienstlichen Jobs gerechtfertigt sein wollen und die jüdischen Institutionen bewacht werden müssen. Gleichwohl fühlen wir uns bedrängt und bedroht, vernachlässigt und verunsichert, auch betrogen und benutzt, wenngleich nicht von Adolf Hitler. Oder von Nazieltern, Nazilehrern, Neonazis. Es ist einfach so, dass jegliche Opposition im Lande nur gelitten wird, wenn sie a) als nicht regierende etablierte Partei im Parlament sitzt, b) als außerparlamentarische Opposition das demokratische Protestpotential verkörpert oder c) eine notorische Meckerecke ohne parteipolitische Ambitionen bildet; Verbote drohen jederzeit. Gewiss gibt es ein Nationales Lager außerhalb der Rechtsparteien und eine Rote Front außerhalb der Linken, von diversen erzkonservativen, nationalrevolutionären, ultramarxistischen und anarchistischen Gruppen und Logen nicht zu reden; sie alle genießen in Deutschland den kleinsten Freiraum innerhalb der freien weißen Welt. Die weltanschauliche Weiterbildung hat darunter nicht gelitten; es gibt das Internet als eine subversive, omnipräsente Möglichkeit der Radikalisierung wie der Selbstdenunzierung, nichts für alte Herren, die gerne Briefe schreiben. Die diesbezügliche Strenge unserer Behörden und Instanzen hat im Auftragsrahmen der Verfassungsschutztätigkeiten kein Klima der „nackten Angst“ geschaffen (abgesehen von klinischen Fällen und kriminalistischen Entgleisungen), aber unsere Artigkeit, unser vorauseilender Gehorsam im Verbund mit aufgeregter Besorgtheit alleweil stellt den gesunden staatsbürgerlichen Hausverstand zunehmend infrage. Die vielbewitzelte “politische Korrektheit“ betreibt nicht nur Sprachregelung und nonverbale Umgangsformung, sie ist die Erziehungsheimordnung der Neoliberalen, der Pazifisten und Rassenleugner, der Verhaltenskodex des Angsthäschens, die werktägliche Sonntagspredigt zur Anpassung, Enthaltung und Unterwerfung, die quietschfidele Ermunterung zu ungenierter Heuchelei und intellektueller Kasteiung, ja, zur Selbstentmannung des Vollidioten*.
Sinnlich und geistig erstarren
sollen wir natürlich auch nicht, umgotteswillen! Die Meinungsfreiheit als fast
uneingeschränktes Grundrecht wird offeriert wie ein handelsübliches
Beschwerderecht und eine leutselige Bundeskanzlerin im Seniorenclub könnte das
bestätigen, gradso, als ließe sich unsere Verfassung bei Nichtgefallen oder
diverser Mängel wegen einfach umtauschen, unsere tolle Republik als „Lieferant“
(Dr. Rösler). So gehört und gesehen könnte die Allparteienphrase „Man muss die
Menschen abholen, wo sie sind!“ glatt von Gestapo-Müller stammen. Sollten wir
versehentlich in uns gehen, würden wir freilich erkennen, auch ohne unser
unterschriftliches Einverständnis freiwillige Mitarbeiter einer staatstragenden
Einrichtung zu sein, welche von Anbeginn mit uns rechnen konnte, denn
Einschüchterung und Bestrafung, Bestechung und Erpressung sind uralte
Lenkungstechniken aller sozialen Systeme, ergo üblich und lässlich in
Elternhäusern jeder Gesittung und Größenordnung, unter Verwandten, Nachbarn und
Kollegen, in Pfarrgemeinden und Jugendorganisationen, Vereinen und Verbänden,
Firmenfamilien und Betriebsgefolgschaften. Entschuldigt ist damit nichts und
niemand, doch auch um falsche Hoffnungen ärmer zu werden, tut weh. Andererseits
könnte diese Erkenntnis helfen, die Vollidioten zu „verstehen“ (Dr. Wowereit);
ihre natürliche Gewissenlosigkeit enthebt sie nämlich auch der
Selbstverantwortung und neben derlei Zeitgenossen steht man ungünstig auf dem
Angelsteg, wenn die Hurrikane elbwärts ziehn…
*) Glückwunsch & Glückauf
an Eckhard Henscheid, den literarischen Vater der Vollidioten, der letzthin 70
wurde! |
Alle Statements auf einen Blick: |
|||
|
|||||