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Magazin für Literatur und Zeitkritik
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Wahllos in Mainhattan

Ein Statement von Uve Schmidt

Als ich noch ein kleiner Ossi war (1945-1957), beeindruckten mich  die Attraktionen des Westens nicht bloß vom Hörensagen, sondern als fassliche Wahrnehmung Westberlins, 90 km vor den Toren meiner Vaterstadt und Sippensitz der väterlichen Verwandtschaft, wo ich viele Wochenenden und ganze Ferienwochen verbrachte, um vor allem die Außenwerbung der Nachtlokale und Kinos, die Zeitungskioske und die Litfaßsäulen zu bestaunen, Verlockungen, denen ich leider nicht folgen durfte, ebenso wenig der dubiosen Aufforderung Nach den Wahlen bitte zahlen! eines mir noch wie einst vor Augen prangenden Plakates der Westberliner Opposition wenige Tage nach einer Kommunalwahl. Tatsächlich blieb der Reim haften, weil ich als Heranwachsender noch ahnungslos war, was da zu berappen wäre und weil ich nicht glauben mochte, dass regierende Parteien so blöd oder infam sein könnten, der Wählerschaft kommende Steuern und Preiserhöhungen etc. zu verschweigen. Zwar traute ich Politikern alle Unaufrichtigkeiten zu, vergleichbar der Taktik meiner Eltern, wenn sie meinem Alter gemäße Desinformationen mir als Aufklärung beibrachten und natürlich bevorzugte ich optimistische Vorhersagen, doch keine derart kurzbeinigen Lügen, welche unsere Lebenshaltungskosten betrafen und mithin meine unmittelbare Zukunft als Biertrinker.  Heute frage ich mich, ob Politik und Gesellschaft nicht völlig neu, aber sehr viel deutlicher definiert werden sollten, denn zwischen Staatsführungslehre und Kunst der Staatsführung besteht zwar ein erheblicher Unterschied, gleichwohl gelten in gängigen Wörterbüchern und Lexika beide Begriffe gleich, obwohl es weder eine Muse der Politik gibt, noch für Politologen eine Kanzlerklasse wie etwa die Stabführerschulung an  Konservatorien. Gewiss lernen wir vor der Glotze, wie man winkt und Ehrenkompanien abschreitet, aber nirgendwo, die Hydra der Hochfinanz im Alleinritt zu enthaupten. Und fürs Leben lernte unsereins nur, wie man durchkommt in Diktaturen, keineswegs, wie man sinnvoll umzugehen hat mit der geschenkten verfassungsmäßigen Freiheit. Vaterland, Muttersprache, Kindergarten – die Bindungen zwischen Individuen und Institutionen sind offensichtliche und fortbestehende, wenngleich die historischen Bezüge sich verändert haben, in der Familie wie im „richtigen“ Staatsbürgerleben, und deshalb krankt der gesamte Volkskörper an denselben Miseren: An Allergien und Ängsten, an Schulden und Schuldgefühlen, an Selbstüberschätzung und Selbstverleugnung.

Als Lenin über „linken Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus“  schrieb, dachte er nicht zwingend an Mumps, Masern und Keuchhusten, er meinte frühe und einmalige Übergangserscheinungen im Leben einer Partei bzw. eines Staates. Wenn ich an Deutschland denke, tröstet mich vor allem unsere Homogenität mit Völkern, denen wir nicht im mindesten ähneln, aber gleichen als Unvollendete der Schöpfung.  Die auffälligste Gemeinsamkeit aller in Blutsverbänden organisierten Menschen scheint mir der Umgang mit der Wahrheit, richtiger, ihr Verhältnis zur Wirklichkeit auch dann, wenn sie auf derselben Zivilisationsstufe leben, konkret, wenn alle mit elektrisch erhitztem keimfreien Wasser kochen: Man/frau lügt wie gedruckt. Wohl wissen wir mittlerweile, dass etwa 55% aller sogenannten sachdienlichen Angaben auf irrigen Erinnerungen beruhen sowie auf den falschen Wahrnehmungen defekter oder vernachlässigter Sinnesorgane, was schlimm genug, aber nicht erlogen ist, und wir müssen täglich zur Kenntnis nehmen, dass gegensätzliche wissenschaftliche Auffassungen geeignet sind, unstreitige Fakten für oder wider die friedliche Koexistenz von Staaten, Konfessionen und Ernährungsweisen etc. sträflich zu manipulieren, ohne dass je einem modernen Geschichtsfälscher, Wirtschaftsguru oder Wunderheiler die Geschäftsbefugnisse entzogen worden wären auf Dauer & Deibelbleibaus, nicht zu reden von den diversen Päpsten und Experten, welche kraft ihrer Sonderstellung bei mächtigen Medien eine Mordsreichweite haben oder kraft ihrer Biographie die moralische Immunität, über gut & arg zu befinden, auch mittels der Verdrängung  oder Verdrehung ihnen unangenehmer Wirklichkeiten und das ist die eigentliche Crux, denn dem wachsenden Ansehen nackter Autokraten können auch keine kreischenden Kinderchöre den Garaus machen, während wir uns daran gewöhnen, es billigend in Kauf zu nehmen aus blanker Furcht oder bequemer Opportunität, aus Schadenfreude oder Habgier die Unwahrheit zu verbreiten, zu bekräftigen und anzuerkennen, wenn die Lage es erfordert bzw. als vorteilhaft  erscheinen lässt. Indes  ist weder das freie und geheime Wahlrecht noch die Pressefreiheit ein zwingender Grund, windige Eminenzen und falsche Päpste zu respektieren, was gleichwohl die Liebhaber des Wahren, Schönen & Guten tun, denn nichts fürchtet unser Bildungsbürgertum mehr als seine Deklassierung durch sichtbares Zurückfallen hinter den Spitzenreitern des sozialen Mittelfeldes, eine Peinlichkeit, die man nur riskiert, solange man/frau regelkonform mitradelt. Steigt ab, Leute!

Nachdem nun soundsoviele Snobs, Seinlasser und Sektierer ihre Stimme verschmäht oder verschenkt haben, langt es wiedermal nicht, die Demokratiemüdigkeit – das Klarwort für Politikverdrossenheit – als Schlag ins Wahlkontor einzubringen. Ich leugne nicht, öfter aus reiner  Bequemlichkeit ferngeblieben zu sein, diesmal aber aus Hausfriedensliebe nicht, doch in meiner Umgebung  (betuchte Rentner, die viel reisen und deshalb vorab wählen) wurde aus dem republikanischen Votantenherz kein mörderisches Geheimnis gemacht, was wiederum kein Kunststück ist, weil es weder eine NSDAP „mit menschlichem Antlitz“ gibt, noch votierbare Volksentscheidbefürworter und selbstverständlich  darf niemand mitkommen in die sogenannte Wahlkabine. Wir wussten, wer was gewählt hat, biss 18h jedenfalls; hernach wollte wieder niemand verantworten, was in Hoppenheim am Hindukusch kreuzweise in die Kisten kam. Das Doppelkopfkränzchen meiner Tante Else behauptet sogar, die Urnen seien überhaupt nicht versiegelt, sondern nur mit Bratwurstpappe abgedeckt gewesen und in den ihnen nahe stehenden Seniorenheimen hätten sowieso die Zivis die ihnen passenden Parteien angekreuzt, und aus Wahlhelferkreisen wissen wir, dass die von den Parteien nach den Stimmbezirksverhältnissen entsandten Auszähler bereits lange vor Schluss der Wahllokale alkoholisiert waren. (So geht es wirklich nicht!) In der Tat gibt es nur drei Großgruppen von Stimmbürgern: Die Stammwähler, die Systemiker und die Spontis, in toto lauter Lottospieler, mehrheitlich keine Süchtigen, aber Abergläubische. Nein, berauschend ist unsere Demokratie wirklich nicht und das Schlaraffenland keine deutsche Staatsidee, der „Hans im Glück“ jedoch die deprimierende Volksmärchenvorlage des historisch etwa gleichaltrigen deutschen Michel, freilich  kein Selbstporträt, sondern die nette Version ausländischer Deutschlandkarikaturen. Sozial, auch nach der Wahl zu sein, versprach DIE LINKE. Ideal  gereimt, aber konkret angedacht sind nur die ebenerdigen Bedürfnisse der Cindys aus Marzahn und der Kevins vom Hasenbergl, d.h. die Expropriation unverschämter Reichtümer für den Fall, dass demnächst die ganze Exportweltmeistermuckibude zusammenbricht. Dass dann das Prekariat und die Plutokraten überleben werden, verdankt sich ihrer Skrupellosigkeit und besagt nichts über die demographischen Größen im Gesamtvergleich und niemand weiß, ob der Rote Halbmond dann die medizinische Notversorgung in gewissen Ballungsgebieten übernimmt; bevor wir unsere Hunde und Katzen verzehren, dürfte man sich eher etwas Kannibalismus gestatten.

Eine Gesellschaft, die unter den Voraussetzungen sanktionierten Lugs & Trugs zusammenlebt  und  -arbeitet, erreicht ihre Selbstauflösung dann, wenn die partikularen Interessen der Wahlberechtigten als lobbyistische Kleinparteien sich formieren, wie es diesmal geschah als putzige Verhöhnung des Gemeinsinns, ein Zerrbild des Pluralismus und letztes Schweifwedeln jener politischen Promenadenmischung altgriechischen Rufnamens, der wir buchstäblich alles zu verdanken haben, denn „ die deutsche Demokratie entfesselt nur zum kleinsten Teil unsere Kräfte, indes bewirkt sie die Entfesselung von Faulheiten, von Müdigkeiten und notorischen Schwächen“, wie Friedrich Nietzsche meinte. Was Nietzsche über Deutschland und die Deutschen geschrieben hat, sollte die deutschen Demokraten trösten; ich verkneife es mir. Was die hellsten Köpfe anderer Nationen über die Demokratie dachten, könnte ihrer Herkunft geschuldet sein, sofern sie Aristokraten oder Pfeffersacksöhne waren, doch ihre Ansichten treffen sich mit den Einschätzungen kluger Kinder kleiner Leute, die zum Zeitpunkt ihrer Demokratiekritik weder geadelt, noch reich geworden waren und selbstverständlich sind unsere größeren Geister gegenwärtig ähnlicher Auffassung, doch sie publizieren es nicht, denn „die Demokratie setzt die Wahl durch die biedere Mehrheit an die Stelle der Ernennung durch die bestechliche Minderheit“  (G.B.Shaw).

Wer A sagt, muss nicht B sagen, denn das Sprichwort zeigt nur die Folge auf; weitere Schritte ergeben sich auch ohne unsere Billigung der Konsequenzen. Als Hans-im-Glück mit leeren Händen vor seiner alten Mutter stand, hatte er den reichen Lohn für lange Jahre treuer Dienste im Tausch gegen immer geringerwertigere Güter bis zum vollen Verlust vertan, weil seine Einfalt, sein fehlendes Wissen und seine mangelnde Erfahrung ihn glauben ließen, jede objektive Wertminderung bedeute eine subjektive Wertsteigerung und schließlich gar die solide Existenzsicherung auf Lebzeit, um endlich heimgekehrt als gesunder Mann das glückliche Wiedersehen quasi als Hauptgewinn zu preisen. So ist uns nach 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland, nach Wirtschaftswunder, Wiedervereinigung und diversen Weltmeisterwürden immerhin die alte, unverschleierte Dame Demokratie geblieben, eine ledige Lehrerin, die keine Kakerlake erschlagen könnte, geschweige einen Handtaschenräuber beißen. Deutschlandpläne??? Ppphh!!

 

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