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Magazin für Literatur und Zeitkritik
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Wir wunden Kinder

Ein Statement von Uve Schmidt

»Die Wehrmacht war ein Instrument der Politik, demgemäß war uns Soldaten im Wehrgesetz jede politische Betätigung ausdrücklich untersagt. In diesem Sinne prägte General Knochenhauer den Leitsatz: 'Unsere Politik ist der Gehorsam'.«
Nikolaus von Vormann (Aus SO BEGANN DER ZWEITE WELTKRIEG, 1988)

Der Mensch lebt in der Vergangenheit selbst dann noch, wenn er sie vergessen hat, denn er weiß: Da war doch noch was?! Auch Futurologen leben von der Vergangenheit und die Trendforschung ernährt sich nur pro forma von Vorhersagen, substantiell jedoch von abgekupferten Klassikern. Wenn in der Zeitung zahlende Privatpersonen ihrer längst Verstorbenen bzw. Gefallenen gedenken, wird nur selten deutlich, ob das Familientradition hat oder ein eitler Impetus die Annonce veranlasste. Wenn wir Geburtstage feiern, geht es ums Schenken und Einschenken – kein normaler Mensch über 35 kann ernstlich die Beurkundung seines fortschreitenden Alterns bejubeln, eher schon das unbeschadete Ausharren an einem Arbeitsplatz. Dennoch: So, wie persönliche und institutionelle Jubiläen unzählige Branchen beschäftigen und unser gesellschaftliches Leben täglich neue Formen und Dimensionen des Denk-an-mich-Marktes hervorbringt (z.B. die Plüschtierorgien an öffentlichen Kindersterbeplätzen) sorgen Gedenktage und Jubiläumsjahre für Medienfutter durch Zeitgeist(er)beschwörung, ein permanentes publizistisches und inszenatorisches Hochamt, an dem die Leichtindustrie und der Handel gewiß nicht gesunden, und weil „NS-Devotionalien“ – wie Schönhuber den rechten Ramsch nannte – auch ohne Hakenkreuze nicht gelitten werden, dürfte sich der Alleinvertretungsanspruch unseres Adlerwappens (60 Jahre BRD) nostalgisch nicht auszahlen. Cui bono?

„Das Supergedenkjahr hat begonnen. Wie steht die Wissenschaft von der Zeitgeschichte im Zeitalter der boomenden Erinnerungskultur da?“ fragt die FAZ (am 12.1.09) eingangs der Betrachtungen von Martin Sabrow (Potsdam), welchselbiger seinen Aufsatz folgendermaßen schließt: „Es herrscht heute Konsens über die identitätsstiftende Kraft eines Geschichtsbewußtseins, das die Opfer ins Zentrum stellt. Wie es zu diesem Boom gekommen ist, hat die Zeitgeschichte zu beschäftigen. Man darf die Zeitbedingtheit des heutigen Erinnerungsimperativs nicht verkennen: Wenn öffentliche Aufmerksamkeit für die Wissenschaft kein Wert an sich ist, muß ein Unterschied bleiben zwischen geschichtsanalytischer Erkenntnis und geschichtsmoralischem Bekenntnis.“ Alles klar, doch worüber die Rede ist, muß man wissen, denn in dem seitenhohen Zweispalter tauchen weder die Wörter Holocaust und Zweiter Weltkrieg auf, noch die Ziffern 1939 und 1945. Die hauptsächlichsten Hauptwörter sind Konsens und Aufarbeitung, alsdann Gedenkkultur und Gedenkstätten, ohne daß solche genannt werden oder gar deren Initiatoren, Träger und Pfleger (die bösen wie die guten), denn der FAZ und ihrem beauftragten Autor geht es nicht um Soldatenfriedhöfe und Kriegerdenkmäler, um Schlachtfelder und Nazireichsruinen, sondern um vormalige KZs, Mahnmale, zeitgeschichtliche Museen und Dauerausstellungen über die Schrecken des Dritten Reiches, welches ebenfalls unbenannt bleibt, vermutlich, weil Martin Sabrow in jeder Hinsicht korrekt sein möchte als Direktor des Zentrums für Zeitgeschichtliche Forschung. Es geht ums Prinzip Erinnern statt Vergessen (bzw. Verdrängen), denn „diesen gesellschaftlichen Konsens zu mißachten, kann zur Ächtung führen“.

Nun, daß renommierte Historiker, Sachbuchautoren und Politiker dabei mehr riskieren als ein paar Rügen, erstaunt uns immer wieder, doch daß rechtsradikale Parteifunktionäre in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland (welches wesentlich größer ist als Österreich!) dermaßen geächtet sind, daß sie den Bürgersteig, den Stammtisch und die Barbierstube für sich allein haben, werden wir nicht erleben, wohl aber, daß man weltanschauliche Querköpfe à la Hohmann aus der Karriere kippt, wenn sie sich als unbelehrbar erweisen. Abgelehnt wird nicht die abweichende Ansicht, sondern der absehbare Ärger, die Anhaftung des Anstößigen und genau das ist der historische Selbstbetrug, den Sabrow sardonisch so einschätzt: “Die Erfolgsbilanz der Zeitgeschichte in der Gegenwartsgesellschaft könnte nicht glänzender sein.“ Gilt es diese kunstseidene Draperie zu feiern, einen Boom gar, das hieße einen Aufschwung im anstehenden Jahrmarktstrubel? Tatsächlich sind die Veranstaltungskalender, die Wallfahrtsbusse und Fernsehprogramme knallprall, und daß die Zeitzeugen immer seniler würden und die Filmdokumente uns immer vertrauter, muß nicht befürchtet werden: Schon sind die Enkel der Täter und Opfer nachgerückt, werden neue Bilder geborgen und endlose Prosaballaden geschrieben. Wem an dieser Arbeit liegt, der sollte zunächst die stationären Massenmorde von den ubiquitären Kriegshandlungen getrennt betrachten und beknirschen. Was immer das dann bewirkt, Trotz oder Trauer, es kann nur Eines gewollt sein:  Die sittliche Selbstverpflichtung, das ethische Erwachen im Geiste des Dekalogs und des demokratischen Dialogs mit der Jugend. Dabei scheint niemandem klar zu sein, daß auch heutzutage (d.h. nach 60 Jahren antifaschistischer Instruktion) jeder Bußgang und jedes Reuebekenntnis eine rein deutsch-nationale Übung wäre, ein demoskopischer Alleingang. Kein deutscher Staatsbürger nichtdeutscher Herkunft hat irgendetwas damit zu tun (er sei denn bei der SS gewesen), kein deutscher Angehöriger einer biologisch definierten Opfergruppe, fast keine Frauen (die hatten keinen Waffendienst), keine Linken, Freimaurer, oppositionelle Christen, keine Negriden und Mischlinge, keine unbelasteten Mitläufer, keine wehrunwürdigen oder wehruntauglichen Männer, keine Kinder unter 14 Jahren, keine Greise, keine Gespenster. Andererseits sind diese Personengruppen mehrheitlich diejenigen, welche im Falle einer militanten Rechtswende zumindest theoretisch Widerstand leisten müßten, ergo hic et nunc die Vor- und Nachbeter der verfassungskonformen Litanei, oder wer oder was?

Daß die Überversorgung mit Pietätsadressen und Partyanlässen das humanistische Gedächtnis erweitert und vertieft, glaube ich nicht, im Gegenteil. Wer wie ich die Heimatfronterfahrung  jahrelangen Fliegeralarms machte, die schlaflosen, furchterfüllten Nächte in den Luftschutzkellern und das höllische Finale als der Kindheit 1. Teil erlebte, war dann zwar traumatisiert, aber kein kleiner Pazifist. Wer in der warmen Frühlingssonne nach dem 8. Mai 1945 uneingeschränkt den Frieden und die Freiheit genießen konnte, verwirklichte seinen neuen Status keineswegs frohen Herzens und freien Hirnes: Die meisten Männer verfluchten Hitlers Versagen als Feldherr und Waffenmeister,  die Frauen verfluchten den „Führerfimmel“ ihrer Geschlechtsgenossinnen, persönliche Schuldgefühle hatten die wenigsten, Angst und Haßgefühle jedermann. Hatten die Nazis noch bis zum Ende erfolgreich Innenpolitik (jawoll!) machen können mit Idealisten und Leichenfledderern, Gottbegnadeten und Hohlköpfen, Fatalisten und Glücksrittern, Muckern und Menschenfressern, so standen in der Stunde Null nur die Konfidenten der Sieger zur Verfügung, politisch gesehen die besseren Deutschen, mitnichten verbesserte Menschen. Wer zum 70. Jahrestag des Zweiten Weltkriegs und seiner monströsen Nebenwirkungen gedenkt, sollte bedenken, daß der Kalte Krieg nicht allein den „Weltrevolutionsplänen“ Stalins geschuldet war, sondern ebenso den globalen Aspirationen der USA und ihrer Verbündeten, welche nicht daran dachten, ohne weiteres ihre Kolonien und sonstige auswärtigen Besitzungen in die Unabhängigkeit zu entlassen und es zu unterlassen, „die freie Welt“ mit Militärstützpunkten, Horchposten und Waffendepots zu überziehen. Nachdem Adolf Hitler im selbstentfachten Inferno verschmort war,  hätten seine Besieger nicht bloß die Beute verteilen dürfen, sondern ewigen Frieden geloben müssen; es unterblieb und die Sowjets gründeten den WELTFRIEDENSRAT, für welchen Picasso die Tauben spendierte. Unterdessen tobten die Stellvertreterkriege, an denen bis zur Intervention in Afghanistan keine russischen Soldaten beteiligt waren, die USA indes luden sich von einer Bluthochzeit zur nächsten ein, während sie die Volkswirtschaft den Zinkern, Zockern und Zecken überließen. Doch die wunden Kinder sollen getröstet sein: Der erste schwarze Weltweihnachtsmann der Milchstraße ist uns erschienen – Hallelujahr!
 

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