Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen & Lyrik
Blutige Ernte
Krimis, Thriller & Agenten
SF & Fantasy
Elfen, Orcs & fremde Welten
Quellen
Biographien, Briefe & Tagebücher
Geschichte
Epochen, Menschen & Phänomene
Politik
Theorie, Praxis & Debatten
Ideen
Philosophie & Religion
Kunst
Ausstellungen, Fotobücher & Bildbände
Tonträger
Hörbücher & O-Töne
Videos
Literatur in Bild & Ton
Literatur Live
Veranstaltungskalender
Zeitkritik
Kommentare, Glossen & Essays
Autoren
Porträts, Jahrestage & Nachrufe
Verlage
Nachrichten, Geschichten & Klatsch
Film
Neu im Kino
Klassiker-Archiv
Übersicht
Shakespeare Heute
Shakespeare Stücke
Goethes Werther,
Goethes Faust I,
Eckermann,
Schiller,
Schopenhauer,
Kant,
von Knigge,
Büchner,
Mallarmé,
Marx,
Nietzsche,
Kafka,
Schnitzler,
Kraus,
Mühsam,
Simmel,
Tucholsky
Die aktuellen Beiträge werden am
Monatsende in den jeweiligen Ressorts archiviert, und bleiben dort
abrufbar.
Wir empfehlen:



Andere
Seiten
Joe Bauers
Flaneursalon
Gregor Keuschnig
Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms
Virtuelle Texbaustelle
Alf Poier
Genie & Wahnsinn
Reiner Stachs
Franz Kafka
counterpunch
»We've
got all the right enemies.«
Riesensexmaschine
Nicht, was Sie denken?!
texxxt.de
Community für erotische Geschichten
Wen's interessiert
Rainald Goetz-Blog |

Der Preis des Friedens
Ein Statement von Uve Schmidt
Bekanntlich hat
alles seinen Preis, sogar die Kugelschreiber, welche uns die Vertreter
etablierter Parteien während der Wahlkampfzeit schenken, denn bezahlen tut
sie der Steuerzahler via Wahlkampfkostenerstattung, und weil wir die
wohlfeilen Schreibgeräte ihren Spendern nicht sonstwohin stecken,
sanktionieren wir das System. Der Preis des Friedens indes harrt noch seiner
fiskalischen Verwertung, denn was z.B. die Beschwichtigungsdiplomatie an
Reisekosten und extraordinären Gesprächsgebühren verschlingt, sollte dem
friedliebendsten aller grossen Völker (60 Jahre siegfreier Wehrdienst) eine
Friedenssteuer wert sein. Allein der Deutsche Buchhandel, ein
anspruchsvoller, aber immer weniger beanspruchter Markt, schmückt sich seit
1950 unbeeindruckt mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels, einer zwischen Nobelpreis und Platinbambi rangierenden
Auszeichnung für Männer des Wortes, worunter auch einige Frauen sind und
beredte Analphabeten sein könnten, denn die meisten Denker und Wortführer
des Altertums diktierten, was uns als ihre Weisheit überliefert wurde oder
ließen es gesagt sein, soll heißen, daß dieser Preis sich vor allem für
schwer verkäufliche Bücher rentiert oder für Autoren, die z.B. als
pensionierte Politiker erst am Beginn ihres Alterswerkes stehn. So weit ich
weiß, hat (noch) keiner der Geehrten als Staatschef, Militär, Partisan,
Wirtschaftsführer, Intendant, Bürgermeister, Chefredakteurin,
Hochschulrektor oder Kardinal einen Friedensvertrag unterschrieben, und da
die meisten nimmer leben oder schwächeln, können von ihnen auch keine
Friedenstaten per politischer Intervention erwartet werden. Der Gedanke, ein
echtes Naturkind zu küren, dem das Wunder der Versöhnung im Heiligen Land
gelang, der ewige Friede in Kaschmir und garantierte nationale Heimstätten
für Kurden, Basken, die Minderheiten im Goldenen Dreieck und die
ungezählten herumgeschubsten oder blutig verfolgten Ethnien in Afrika, ohne
weltweite geopolitische Verwerfungen auszulösen – diese Vorstellung findet
vermutlich weder in den Köpfen des Börsenvereins, noch sonstwo ihren Platz,
es sei denn im Kinder- & Jugendbuch, und deshalb könnte Joanne K. Rowling
die nächste Preisträgerin sein und damit die achte (8.) Frau unter 54
Männern. Insofern war es ideal (die Nominierung erfolgte ja vor dem
Kaukasuskonflikt!) und opportun, Anselm Kiefer den Preis angetragen zu
haben: Kiefer ist unter seinen Vorgängern der erste bildende Künstler von
Profession und mit einem bedeutenden Oeuvre gesegnet, er ist ein genialer
Konzeptor der künstlerischen Friedensforschung und ein weltberühmter
Fachmann deutscher Befindlichkeiten im historischen Zenit epochaler
Entscheidungsschlachten (Wiesbaden, Moskau, Kabul, Washington), ein Genie,
von dem wir hoffentlich mehr als Dankesworte und Sottisen hören; von der
Laudatio erwarte ich keine Verbesserungsvorschläge für eine effiziente
Friedenspolitik. Es liegt im Wesen suprapolitischer Literaturpreise, weil im
Interesse ihrer Stifter, nicht in die Politik eingreifen zu wollen, ohne
verhindern zu können, daß auf die Verleihungen politisch reagiert wurde und
wird, in einigen Fällen äusserst heftig. Das ist gut so, obwohl der Prostest
selten qualifiziert war und oft nur auf die TV-Kameras geschielt wurde,
zumal die Frankfurter Paulskirche als Veranstaltungsstätte sich nicht nur
den Festgästen empfiehlt, sondern Demonstranten ein sehr geeignetes Glacis
bietet. Wer wissen will, was sich Stifter und Juroren ursprünglich dabei
dachten, lese in den Statuten nach. Allein der Nobelpreis für Frieden
(Oslo-Preis) gibt allzu oft Anlaß für Kritik und/oder Sarkasmus, denn
Barmherzigkeit und korrekte Dienstauffassung, selbstloser Fleiß und
Ehrlichkeit, Volksnähe und persönlicher Mut sind gewiß hochachtbare
Tugenden, doch im Kampf um soziale Gerechtigkeit gilt nur Parteinahme, und
wieviel moralisches Potential steckt schon in einer künftigen Heiligen oder
in Politikern, die unter dem Druck des Big Brother mal eben eine Waffenruhe
unterzeichnen? Wir brauchen keinen neuen Kulturpreis im Namen humanitärer
Hochziele, aber wenn man partout einmal im Jahr die Paulskirche am Sonntag
füllen möchte, weshalb nicht ab Samstagnacht bei Balalaikaklängen und
georgischem Rotwein und ganz vielen Buchpreisen für Leute, welche sich
namentlich verpflichten, für jeden Strafpunkt in Flensburg eine Stunde
gemeinnütziger Arbeit zu verrichten, für jede Züchtigung der Hausfrau
hundert Paar Schuhe zu putzen in der Moschee usw. usf.?? Natürlich besteht
die Gefahr, daß plötzlich lauter Weich-Eier-Orden auftauchen, die sich
niemand anheften mag, doch dem kann taktisch und psychologisch begegnet
werden mit einem Kautschukschlagring am Hals- oder Hosenband. „Ein jeder
kehre vor seiner Türe“, ist nicht das dümmste Motto für den Anfang…
Wann immer Else und ich uns die Live-Übertragung des HR daheim vor dem
Bildschirm anschauten, saß in der ersten Reihe der protokollarisch
platzierten Personen, also inmitten bejahrter Herren erster Garnitur
(Preisträger, Laudator, Landesvater, Stiftungsrat etc.) eine elegante Dame
mit Modellhut, unstreitig die aparteste Erscheinung im Saal, um die 40, sehr
souverän und vermutlich einem ihrer Nachbarn angetraut. Aber wem? Wir
tauften sie Irene, des Friedens wegen. Wenn sie applaudierte, geschah dies
ohne erkennbare Gemütsbewegung, aber atmosphärisch angemessen. Die Idee, daß
ein hoher Funktionär des Literaturkommerz seine Ehefrau veranlasst, ihr
Outfit dem Heimatland (z.B. Türkei) oder der Heimatregion (z.B. Bodensee)
des Preisträgers anzuverwandeln, trauten wir dem Börsenvereinshumor nicht
zu, doch daß der ganze Friedenspreisrummel als quasi Staatsakt sich
vollendend uns alle Buchmesseherbste wieder über den Kopfputz der schönen
Unbekannten rätseln und beckmessern lässt, fördert den Verdacht, daß Irene
irgendwann als junger Blaustrumpf mitgenommen wurde in die
Friedenspreiskirche und seitdem immer weiter vorgerückt ist, bis sie in der
Mitte des Stirngestühls ankam, wo sie seither sitzt recte thront, und wann
immer chez Irene das Gespräch auf den Zeitgeist kommt, auf die Verprollung
der Rennbahnmode und die Verleihung des obsoleten Friedenspreises unseres
aussterbenden Buchhandels an Hadayatullah Hübsch oder Evelyn Hecht–Galinski
(um mal etwas tiefer in die deutsche Taubentransportkiste zu greifen), dann
seufzte Irene sehr leise und bestimmt und die Herren beschlossen flugs die
Nachnominierung von Gesine Schwan, des Dalai Lama oder eines noch zu
ermittelnden uigurischen Naturlyrikers – Friede seiner Flasche! Sollten
diesmal ein paar prominente Börsianer beschädigt werden und Irene nicht
dabeigewesen sein, schreiben wir’s der Vorsehung gut…
|
|