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Der Preis des Friedens
Ein Statement von Uve Schmidt

Bekanntlich hat alles seinen Preis, sogar die Kugelschreiber, welche uns die Vertreter etablierter Parteien während der Wahlkampfzeit schenken, denn bezahlen tut sie der Steuerzahler via Wahlkampfkostenerstattung, und weil wir die wohlfeilen Schreibgeräte ihren Spendern nicht sonstwohin stecken, sanktionieren wir das System. Der Preis des Friedens indes harrt noch seiner fiskalischen Verwertung, denn was z.B. die Beschwichtigungsdiplomatie an Reisekosten und extraordinären Gesprächsgebühren verschlingt, sollte dem friedliebendsten aller grossen Völker (60 Jahre siegfreier Wehrdienst) eine Friedenssteuer wert sein. Allein der Deutsche Buchhandel, ein anspruchsvoller, aber immer weniger beanspruchter Markt, schmückt sich seit 1950 unbeeindruckt mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, einer zwischen Nobelpreis und Platinbambi rangierenden Auszeichnung für Männer des Wortes, worunter auch einige Frauen sind  und beredte Analphabeten sein könnten, denn die meisten Denker und Wortführer des Altertums diktierten, was uns als ihre Weisheit überliefert wurde  oder ließen es gesagt sein, soll heißen, daß dieser Preis sich vor allem für schwer verkäufliche Bücher rentiert oder für Autoren, die z.B. als pensionierte Politiker erst am Beginn ihres Alterswerkes stehn. So weit ich weiß, hat  (noch) keiner der Geehrten als Staatschef, Militär, Partisan, Wirtschaftsführer, Intendant, Bürgermeister, Chefredakteurin, Hochschulrektor oder Kardinal einen Friedensvertrag unterschrieben, und da die meisten nimmer leben oder schwächeln, können von ihnen auch keine Friedenstaten per politischer Intervention erwartet werden. Der Gedanke, ein echtes Naturkind zu küren, dem das Wunder der Versöhnung im Heiligen Land gelang, der ewige Friede in Kaschmir und garantierte nationale Heimstätten für Kurden, Basken, die Minderheiten im  Goldenen Dreieck und die ungezählten herumgeschubsten oder blutig verfolgten Ethnien in Afrika, ohne weltweite geopolitische Verwerfungen auszulösen – diese Vorstellung findet vermutlich weder in den Köpfen des Börsenvereins, noch sonstwo ihren Platz, es sei denn im Kinder- & Jugendbuch, und deshalb könnte Joanne K. Rowling die nächste Preisträgerin sein und damit die achte (8.) Frau unter 54 Männern. Insofern war es ideal (die Nominierung erfolgte ja vor dem Kaukasuskonflikt!) und opportun, Anselm Kiefer den Preis angetragen zu haben: Kiefer ist unter seinen Vorgängern der erste bildende Künstler von Profession und mit einem bedeutenden Oeuvre gesegnet, er ist ein genialer Konzeptor der künstlerischen Friedensforschung und ein weltberühmter Fachmann deutscher Befindlichkeiten im historischen Zenit epochaler Entscheidungsschlachten (Wiesbaden, Moskau, Kabul, Washington), ein Genie, von dem wir hoffentlich mehr als Dankesworte und Sottisen hören; von der Laudatio erwarte ich keine Verbesserungsvorschläge für eine effiziente Friedenspolitik. Es liegt im Wesen suprapolitischer Literaturpreise, weil im Interesse ihrer Stifter, nicht in die Politik eingreifen zu wollen, ohne verhindern zu können, daß auf die Verleihungen politisch reagiert wurde und wird, in einigen Fällen äusserst heftig. Das ist gut so, obwohl der Prostest selten qualifiziert war und oft nur auf die TV-Kameras geschielt wurde, zumal die Frankfurter Paulskirche als Veranstaltungsstätte sich nicht nur den Festgästen empfiehlt, sondern Demonstranten ein sehr geeignetes Glacis bietet. Wer wissen will, was sich Stifter und Juroren ursprünglich dabei dachten, lese in den Statuten nach. Allein der Nobelpreis für Frieden (Oslo-Preis) gibt allzu oft Anlaß für Kritik und/oder Sarkasmus, denn Barmherzigkeit und korrekte Dienstauffassung, selbstloser Fleiß und Ehrlichkeit, Volksnähe und persönlicher Mut sind gewiß hochachtbare Tugenden, doch im Kampf um soziale Gerechtigkeit gilt nur Parteinahme, und wieviel moralisches Potential steckt schon in einer künftigen Heiligen oder in Politikern, die unter dem Druck des Big  Brother mal eben eine Waffenruhe unterzeichnen? Wir brauchen keinen neuen Kulturpreis im Namen  humanitärer Hochziele, aber wenn man partout einmal im Jahr die Paulskirche am Sonntag füllen möchte, weshalb nicht ab Samstagnacht bei Balalaikaklängen und georgischem Rotwein und ganz vielen Buchpreisen für Leute, welche sich namentlich verpflichten, für jeden Strafpunkt in Flensburg eine Stunde gemeinnütziger Arbeit zu verrichten, für jede Züchtigung der Hausfrau hundert Paar Schuhe zu putzen in der Moschee usw. usf.?? Natürlich besteht die Gefahr, daß plötzlich lauter Weich-Eier-Orden auftauchen, die sich niemand anheften mag, doch dem kann taktisch und psychologisch begegnet werden mit einem Kautschukschlagring am Hals- oder Hosenband. „Ein jeder kehre vor seiner Türe“, ist nicht das dümmste Motto für den Anfang…

Wann immer Else und ich uns die Live-Übertragung des HR daheim vor dem Bildschirm anschauten, saß in der ersten Reihe der protokollarisch platzierten Personen, also inmitten bejahrter Herren erster Garnitur (Preisträger, Laudator, Landesvater, Stiftungsrat etc.) eine elegante Dame mit Modellhut, unstreitig die aparteste Erscheinung im Saal, um die 40, sehr souverän und vermutlich einem ihrer Nachbarn angetraut. Aber wem? Wir tauften sie Irene, des Friedens wegen. Wenn sie applaudierte, geschah dies ohne erkennbare Gemütsbewegung, aber atmosphärisch angemessen. Die Idee, daß ein hoher Funktionär des Literaturkommerz seine Ehefrau veranlasst, ihr Outfit dem Heimatland (z.B. Türkei) oder der Heimatregion (z.B. Bodensee) des Preisträgers anzuverwandeln, trauten wir dem Börsenvereinshumor nicht zu, doch daß der ganze Friedenspreisrummel als quasi Staatsakt sich vollendend uns alle Buchmesseherbste wieder über den Kopfputz der schönen Unbekannten rätseln und beckmessern lässt, fördert den Verdacht, daß Irene irgendwann als junger Blaustrumpf mitgenommen wurde in die Friedenspreiskirche und seitdem immer weiter vorgerückt ist, bis sie in der Mitte des Stirngestühls ankam, wo sie seither sitzt recte thront, und wann immer chez Irene das Gespräch auf den Zeitgeist kommt, auf die Verprollung der Rennbahnmode und die Verleihung des obsoleten Friedenspreises unseres aussterbenden Buchhandels an Hadayatullah Hübsch oder Evelyn Hecht–Galinski (um mal etwas tiefer in die deutsche Taubentransportkiste zu greifen), dann seufzte Irene sehr leise und bestimmt und die Herren beschlossen flugs die Nachnominierung von Gesine Schwan, des Dalai Lama oder eines noch zu ermittelnden uigurischen Naturlyrikers – Friede seiner Flasche! Sollten diesmal ein paar prominente Börsianer beschädigt werden und Irene nicht dabeigewesen sein, schreiben wir’s der Vorsehung gut…
                                                                       

 


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