Glanz@Elend |
Geschichte |
|
|
Preisrätsel Verlage A-Z Medien & Literatur Museen & Kunst Mediadaten Impressum |
|||
|
Am Anfang zerpflückt Aly mit polemisch-scharfen Wortkaskaden das mythische Geraune jener Altachtundsechziger, zu denen er sich selber zählt (und woran er keinen Zweifel lässt), die sich heute ein Ferienhaus in der Toskana gönnen, mit der ihnen eigenen, selbstgerechten Hochnäsigkeit (allerdings grundlos) auf die DDR-Intelligenz hinunterschauen, die sie selber 1990 "abgewickelt" haben, um – endlich! – in den Genuss der seit langem ersehnten Pöstchen zu kommen: Die verspielten Wohlstandsrevoluzzer hatten ihre Umsturzphantasien nie zur Tat werden lassen. Jetzt profitierten sie vom Umsturz der Anderen. Die untergegangene DDR konfrontierte die Achtundsechziger – nicht zuletzt mit ihren marxologischen Formulierungen - an vergangene Zeiten, die sie für sich schon längst überwunden hatten. Die Westlinken waren angeekelt von diesem déjà-vu ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Die Ostdeutschen hielten den Spiegel parat, in dem sie [die Westlinken], falls sie nicht einfach wegsahen, vor allem eines erkennen mussten: den totalitären Charakter ihrer früheren Weltanschauung.
Aly mittendrin
Das hat natürlich mit dem pomadigen und unhistorischen 68er-Bashing eines Kai Diekmann nichts zu tun. Aly verurteilt die insurgenten Umtriebe an sich nicht – deutlich schildert er die drohenden Erstarrungen des restaurativen Geistes der Adenauer und Erhard-Zeit und erkennt sehr wohl die Notwendigkeit politischen und gesellschaftlichen Umdenkens. Was jedoch vehement bestritten wird, ist die epochale Veränderung, die im Nachhinein – und nicht ohne Zutun der Protagonisten (und der Gegner – man sieht das exemplarisch an Diekmann) – den Achtundsechzigern zugeschrieben wird. Diese Dekonstruktion wird auf drei Ebenen simultan vorgenommen: Erstens wird aufgezeigt, welche gesellschaftlichen und politischen Veränderungen seit der Grossen Koalition 1966 und erst recht mit der sozial-liberalen Koalition 1969 angestossen wurden (wobei der Fokus nicht auf die seinerzeit so vehement bekämpften "Notstandsgesetze" gerichtet bleibt). Desweiteren zeigt Aly die autoritären und antidemokratischen Strukturen innerhalb der revolutionären Gruppen (hauptsächlich deren Wortführer) auf und deren Immunität totalitärer Umtriebe (und Ideologien) gegenüber und zum dritten beschreibt er seine damaligen persönlichen Aktionen und analysiert diese lakonisch und unsentimental. Immer wieder flechtet Aly seine Handlungen, Motivationen, Denkrichtungen – und die damit einhergehenden Desillusionierungen ein (als er dann zweifacher Vater war, hiess es lapidar, Revolution könne man nicht mit Kindern machen). In dem Kapitel über den fahrlässig-verklärenden Maokult der Linken stellt er sich die Frage, die diese Generation – der Legende nach - ihren Eltern gestellt hatte: Warum habt ihr das nicht gewusst? Und da Aly Zeitzeuge ist, stellt er fest: Man konnte es wissen – problemlos. Und dabei rehabilitiert er bei dieser Gelegenheit den Politikwissenschaftler Jürgen Domes (der am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin lehrte – der Uni, an der auch Aly studierte), der schon sehr früh die Schrecken der Kulturrevolution benannte, als die Mehrzahl diese noch als emanzipatorischen Akt feierten (und Domes als Reaktionär denunzierten).
Gartenlaube für
gehobene Stände
Das alles ist gekonnt,
pointiert und wird durchaus auch argumentativ vorgetragen. Und weil Aly
(unter anderem) Zugriff zu den Bundesarchiven des Innen- und
Justizministeriums, des Kanzleramts und auch des Bundesamts für
Verfassungsschutz bekommen hat und hier aus dem Vollen schöpfen kann, gibt
es auch einige neue Erkenntnisse, insbesondere was interne Schreiben in den
Regierungsbehörden angeht.
Die Mythen der
heutigen Meinungsführer
Alys Polemiken wider diejenigen, die heute den aufgeklärten Meinungsführer abgeben, haben etwas Erfrischendes. Und auch manches heute noch lieb gewonnene Freund-/Feindbild wird attackiert. Etwa das vom "bösen" Kanzler Kiesinger, seines Zeichens NSDAP-Mitglied und daher gern genommen. Philipp Gassert zitierend zeigt er allerdings, dass Kiesinger sehr wohl ein reales Interesse und rudimentäres Verständnis für die Revoluzzer hegte und sich mit dem SDS treffen sollte (freilich unter der Bedingung der Gewaltlosigkeit, was dann flugs dafür herhalten musste, dass es nicht zur Begegnung kam). Kiesingers Empathie für die Aufständler war grösser als beispielsweise die der (scheinbar so liberalen) SPD-Koalitionäre Willy Brandt und Helmut Schmidt, die eher auf der Seite (des späteren Bundespräsidenten) Karl Carstens und des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger standen und eine harte, durchgreifende Hand forderten. Insgesamt war das politische Establishment weder auf die Vehemenz noch dem Zeitpunkt noch auf die Methoden der Achtundsechziger gefasst. Entsprechend fahrig fielen auch die Reaktionen aus.
Die Achtundsechziger
rannten offene Türen ein
Das Aufkommen der
Revolte sei durch das Verschweigen der Nazivergangenheit begünstigt worden?
Das Gegenteil ist richtig. Aly zählt –zig Gerichtsverfahren auf, die
Mitte/Ende der 60er Jahre aufgenommen wurden und die nationalsozialistischen
Verbrechen sukzessive thematisierten. Der Studentenprotest irrte auch
deshalb ins Besinnungslose ab, weil in der Öffentlichkeit und von Staats
wegen in den Schulen immer intensiver über den Mord an den Juden geredet und
informiert wurde. Aly geht sogar so weit zu behaupten, dass die
Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die akademische und politische Elite
dazu geführt hat, dass die "neue Linke" diese deshalb nicht zur Kenntnis
nehmen wollte.
Furios seziert Aly den
ethischen Rigorismus der Revolutionäre, die einseitige Fokussierung
auf den Vietnamkrieg mit der Folge der Ausblendung so vieler anderer
Stellvertreterkriege. Damit einher diagnostiziert er (das ist nicht
unbedingt originell) einen virulenten Antiamerikanismus (letztlich gespeist
aus unerwiderter Amerikaliebe), den er als gegenaufklärerischen
Ersatzprotest begreift und der in der "Gleichung" "USA – SA – SS"
eskaliert, und – später dann durch die Fokussierung auf die palästinensische
Befreiungsorganisationen wie die PLO - auch noch einen linken
Antisemitismus, den er (die DDR durchaus einbeziehend) als Form der
Schuldübertragung auf die Opfer der deutschen Rassen- und
Vernichtungspolitik interpretiert. Und das, obwohl er auch Zitate des
SDS bringt, die zwischen antizionistischer und antijüdischer Haltung
differenzieren wollen.
Der schwere Stand der
Widerständler Eine angebliche "Errungenschaft" der Achtundsechziger nach der anderen wird entlarvt, relativiert und – meistens – als mythische Überhöhung präsentiert. Aly polemisiert und argumentiert gegen das Märchen der Aufklärungsrhetorik im Bezug auf die NS-Vergangenheit. Die sich so politisch gebenden Revolutionäre waren in Wirklichkeit blind nicht nur der Vergangenheit gegenüber, weil sie beispielsweise den Nationalsozialismus zum Faschismus verdünnten und die sozialrevolutionäre Dynamik des Nationalsozialismus nicht wahrnehmen wollten, sondern auch taub, was die Möglichkeiten und Chancen in der aktuellen Politik der sozial-liberalen Koalition betraf. Ihr Kampf spielte sich in den Puddingbergen des Schlaraffenlandes ab. Die Mehrheit war aus gut-bürgerlichem Elternhaus (wie seinerzeit durchgeführte Umfragen zeigen). Von den damals rund 280.000 Studenten waren in den besten Zeiten ca. 2.500 im SDS organisiert. Aus eigener Anschauung beschreibt Aly bereits 1969 die beginnende Institutionalisierung der "Revolution" und der Revoluzzer – entweder band man sich in bestehende Strukturen ein oder implementierte eine Hierarchie inklusive Bürokratie.
Der
kalkuliert-provokante Vergleich Im letzten Drittel, den Leser gut vorbereitend und entsprechend in Stimmung versetzt (auch mit einer Kapitelüberschrift wie Kraft durch Freude, Lust durch Aktion; den Buchtitel nicht zu vergessen!), holt Aly zur ultimativen Gegenüberstellung aus (und er scheut sich nicht, Hannah Arendts "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" als Kronzeugin anzurufen). Kurz gesagt: Die deutschen Achtundsechziger [knüpften] an den Aktionismus ihrer Dreiunddreissiger-Väter an. Die Dreiunddreissiger sind für Aly diejenigen, die im nationalsozialistischen Studentenbund ab Ende der 20er Jahre die NS-Ideologie eines Baldur von Schirach nicht nur mittrugen, sondern in das Land tragen sollten. Sie sind die Eltern der Achtundsechziger; es sind – so Aly – die zwischen 1910 und 1922 geborenen. Zwar heisst es am Anfang, dass der Blick auf die Schnittmenge…nicht auf die Gleichsetzung von Rot und Braun [ziele] (die Kritiker Alys lassen diesen Einschub gerne weg), aber es geht ihm sehr wohl darum, die Ähnlichkeiten der Mobilisierungstechnik, des politischen Utopismus und des antibürgerlichen Impetus herauszuarbeiten. Seitenlang zitiert Aly zu diesem Zweck aus Schirachs Propaganda, um schon in der Sprache Verwandtschaften, ja Übereinstimmungen festzustellen. Hier wie dort sprach man von der "Bewegung", hier wie dort ist die Feindfigur der Spiesser. Und auch wenn die "LTI"-Attitüde ein bisschen grosspurig daherkommt - die Parallelen sind natürlich sichtbar. Auch was die (gemeinsamen) Feindbilder angeht, z. B. die "Scheiss-Liberalen". Auch die Achtundsechziger denunzierten die vorsichtigen, differenziert argumentierenden Pragmatiker als "zerstreute Kompromissmenschen". Und sicherlich hat Aly recht, wenn er den Revolutionären eine Geschichtsvergessenheit oder, besser noch, Ignoranz unterstellt. Denn, so eine gelungene Sentenz, wo der Irrsinn regiert, sind Differenzierungen überflüssig. (Und so richtig hat sich das ja immer noch nicht geändert.) Aber Aly schiesst in toto über das Ziel hinaus. Wenn er die Forderungen nach einer umfassenden Hochschulreform durch den nationalsozialistischen Studentenbund mit den Forderungen der Studentenrevoluzzer von Achtundsechzig gleichsetzt (wobei er die Differenzen sehr wohl erwähnt) oder die Parole "Einen Finger kann man brechen - fünf Finger sind eine Faust" analog zu Unsere Ehre heisst Treue setzt und somit den SS-Wahlspruch nur leicht paraphrasiert – in diesen Momenten ist Aly von seinen eigenen Thesen offensichtlich derart überwältigt, dass er in blosse Rabulistik abgleitet. Und wenn er gar konstatiert, dem nationalrevolutionären Schwung sei es, wie den Achtundsechzigern, darum gegangen, die "Erbärmlichkeit alter ergrauter, erfahrener Männer" zu überwinden und diese (nazistische) Formulierung im rustikalen "Trau keinem über dreissig" übernommen sieht, so irrt er eindeutig, denn dieser Spruch wird Jack Weinberg zugeschrieben, der ihn bereits Mitte der 60er Jahre in Berkeley/USA prägte (so Wolfgang Kraushaar Achtundsechzig – Eine Bilanz; Aly zitiert übrigens aus etlichen anderen Kraushaar-Büchern).
So stellt sich die
Frage: Warum ausgerechnet dieser Vergleich? Warum nicht eine Konfrontation
zu den kommunistischen Strassenkämpfern der Weimarer Republik oder – später
- den Stalinisten und Maoisten dieser Welt? Warum diese dann doch fast
billige, dem Autor nicht angemessene, Provokation? Dient sie letztlich nur,
um in der Fülle der Epitaphe auf die Achtundsechziger Gehör zu finden?
Die Achtundsechziger
waren keine homogene Gruppe Aly will aber zuviel. Indem er die "Bewegung" als deutsches Phänomen isoliert betrachtet und die simultanen Entwicklungen beispielsweise in Frankreich – und vor allem die Ursprünge in den USA - kleinredet oder gar verschweigt (in Frankreich flüchtete de Gaulle immerhin für einige Tage aus Paris ob der Unruhen), betreibt er noch einmal das Geschäft derer, die er so vehement angreift: Er postuliert eine Singularität, obwohl es eigentlich um eine internationale Szene handelte (freilich mit historisch bedingten unterschiedlichen Voraussetzungen). Aber auch die Franzosen rangen mit ihren Vätern; der Algerienkrieg war gerade zu Ende und die Kollaboration mit den Nationalsozialisten war noch weitgehend tabuisiert. Die Achtundsechziger erscheinen bei Aly im Rückblick als fast homogene Einheit, was sie nie waren. Und auch die gesellschaftspsychologischen Deutungen sind manchmal arg holzschnittartig. Das liegt hauptsächlich daran, dass aufgrund der dann doch persönlichen Erinnerungen, die im Buch immer wieder einfliessen, ein halbwegs neutraler Blick nicht immer gewahrt bleibt. Seriöse Forschungen zeigen auf, dass es selbst in der Hochzeit der Achtundsechziger nur rund 10.000 "Aktivisten" gab. Da wird ein wenig nachlässig mit den unterschiedlichen Generationsbegriffen jongliert und Generationslagerung und Generationseinheit gelegentlich vermischt, zumal er den Generationenabstand mit zwölf Jahren reichlich kurz bemisst.
Die unterschätzte
sozial-liberale Koalition und die verpassten Möglichkeiten
Ob die Achtundsechziger die alte deutsche Angst vor den Unwägbarkeiten der Freiheit fortführten oder gar eine Flucht aus der komplexen Welt in Form eines Rückzugs in Landkommunen, Ordensburgen und verschworenen Guerillagruppen betrieben? Überhöht Aly da nicht in seiner Erregung die Achtundsechziger sozusagen durch die Hintertür? Schliesslich ist eine Dämonisierung ab einer gewissen Dimension auch Ausdruck einer Wertschätzung. Gregor Keuschnig Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Wenn dabei Begriffe oder Sätze in Anführungszeichen gesetzt sind, so sind dies selbst wieder Zitate von Götz Aly, die er wiedergibt.
Sie können den Artikel
hier diskutieren:
Begleitschreiben |
Götz
Aly |
|
Glanz@Elend
|