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Fritz Stern hat vor gut
zwanzig Jahren in seinem Buch Dreams and Delusions den
Nationalsozialismus als Versuchung geschildert. Die Versuchung, so Stern, habe
darin bestanden, Hitler als Erlöser zu interpretieren. Über die Figur des
Führers wurde so an eine nationale Wiedergeburt geglaubt. Das in Weimar verloren
gegangene Zusammengehörigkeitsgefühl wurde zudem über die Rassenterminologie und
das Versprechen, eine neue Ordnung zu etablieren, reaktiviert. Für viele wurde
der Nationalsozialismus auf diese Weise zur Ersatzreligion mit einem Diktator an
der Spitze. Sein Untersuchungsgegenstand sind jene Intellektuellen, die sich von den so genannten »Versuchungen der Unfreiheit«, sprich Faschismus und Kommunismus, nicht haben verführen lassen. Dahrendorf beschränkt sich auf die zwischen 1900 und 1910 Geborenen – aus »informierter Willkür«, wie er sagt, die er damit begründet, dass rund 60 Prozent aller Akteure des Reichssicherheitshauptamtes – eine von Himmler gegründete zentrale Behörde der SS – in diesem Zeitraum geboren wurden. Ein weiterer Grund für Dahrendorfs Wahl dieser Kohorte ist die Tatsache, dass sie zur Zeit des Nationalsozialismus ein Alter erreicht hatte, das sie bevorzugt in entsprechende Positionen hätte bringen können. Alle waren zwischen Mitte 20 und Mitte 30: „Diese Menschen waren alt genug, um engagiert am Geschehen der Zeit teilzunehmen, aber noch nicht so gefestigt in ihren Positionen, um unversuchbar zu sein.“ Seine Ausgangsfrage lautet dementsprechend, welche charakterlichen Qualitäten jene Menschen aus seiner Elterngeneration aufwiesen, die für die Verbrechen und die Propaganda à la Hitler und Stalin unempfänglich waren. Entlang dieser Frage entwirft er eine Tugendlehre der Freiheit und nennt die öffentlichen Intellektuellen, die paradigmatisch für den liberalen Geist und die Freiheit einstehen »Erasmier«. Der Begriff ist zwar nicht seine Erfindung, wie er behauptet, weil er bereits zu Erasmus´ Zeiten im Umlauf war, und von Stefan Zweig und Friedrich Heer ebenfalls schon verwendet wurde, dennoch beschreibt er treffend eine Geisteshaltung, die sich an der Philosophie des Erasmus von Rotterdam orientiert und den »Doctor universalis« (Zweig) zum Gründungsvater der Societas Erasmiana, der Gemeinschaft der liberalen Geister kürt. Was für Zweig nicht nur zum Triumph, sondern auch zur Tragik des Erasmus gehörte – dauernde Abwägung und Neutralität – wird bei Dahrendorf zur Tugend. Mit dieser Tugend gehen ein weltoffener Humanismus, eine offene Kommunikation, die stete Erneuerung der Bildung, die Versöhnung von Gegensätzen, Verhandlung und Gesprächsbereitschaft einher. Zu ihr gehören aber auch der Disput, der Reformwille, der Einsatz für den Frieden und ein Leben als Spectateur Engagé, welcher zur Formung einer pluralistischen Gesellschaft und zum Zusammenhalt, zur »Ligatur« konträrer Lebensformen beitragen soll. Dahrendorf entwirft also, wenn man so will, eine Art republique des lettres im Miniformat. Denn alle Erasmier zeichnen sich als Genies nicht nur der Freiheit, sondern auch der Freundschaft aus. Das Triumvirat der Erasmier bilden Raymond Aron, Isaiah Berlin und Karl Popper. Sie standen in Dahrendorfs Augen ein für die Fähigkeit, sich nicht vom eigenen Kurs abbringen zu lassen.“ Sie waren bereit, „mit den Widersprüchen und Konflikten der menschlichen Welt zu leben“ und zeigten „die Disziplin des engagierten Beobachters, der sich nicht vereinnahmen lässt“. Eigen war ihnen des Weiteren „die leidenschaftliche Hingabe an die Vernunft als Instrument der Erkenntnis und des Handelns.“
Die
Liebe zur Freiheit und die Absage an den Dienst innerhalb einer Partei – das
waren nicht nur für Erasmus Kardinaltugenden der Freiheit. Auch für Dahrendorf
gehören sie zum Kern seiner Tugendlehre, die wohl weniger ein Portrait der
Kohorte 1900-1910 ist als vielmehr eine Explikation des eigenen, die Freiheit
und die Demokratie eindringlich verteidigenden, Denkens – eines Denkens, das
zweifellos auch dann noch Orientierungskraft besitzt, wenn die Zeiten ruhiger
sind als damals. Denn meines Erachtens ist die Lektüre Dahrendorfs schon immer
eine echte Bereicherung für all jene gewesen, denen Freiheit und Bildung noch
mehr bedeuten als all die Zahlenspielereien, mit denen sie heute nur allzu oft
verwechselt werden. |
Ralf Dahrendorf |
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