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Wohl kaum ein Begriff wird im politischen Diskurs inzwischen derart strapaziert und instrumentalisiert wie der der Demokratie. Dabei scheint fast jeder eine andere Vorstellung davon zu haben, was Demokratie eigentlich bedeutet. Ist es eine Art Volksherrschaft, in der die Bürger plebiszitär über alle wichtigen Belange direkt entscheiden? Oder wird die Volksherrschaft besser anhand von Institutionen auf einer repräsentativen Ebene (Parlamente) indirekt vorgenommen? Einigen erscheint die Demokratie sogar als ein Exportprodukt, welches möglichst schnell allen Menschen Glück und Wohlstand bringen soll. Andererseits plagen skeptische Zeitgenossen Zweifel, ob und wie sie im Zeitalter (sogenannter) ökonomischer und politischer Globalisierung überhaupt noch funktionieren kann und nicht durch international agierende Unternehmen und/oder Organisationen unterhöhlt und zum Sub-System des Kapitalismus degradiert wird. Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht an der Universität in Göttingen, hat ein auf den ersten Blick kleines Büchlein über "Demokratie – Zumutungen und Versprechen" geschrieben. Man sollte jedoch vom Umfang des Buches nicht auf dessen Gehalt schliessen: Es hat es durchaus "in sich". Denn auf den 125 Seiten entwickelt Möllers 173 (nummerierte) Thesen. Der erste Satz ist jeweils fett gedruckt. Im weiteren Text werden dann die Thesen erläutert und manchmal in Form lexikalischer Verweise mit anderen Kapiteln verknüpft.
Das Versprechen Politisches Urteilsvermögen sei, so Möllers, keine Fähigkeit, die einfach mit Ausbildung oder Intellektualität zunehmen würde. Sie beträfe die elementare Fähigkeit, beurteilen zu können, was für das eigene Leben richtig und wichtig ist und was nicht. Ein wörtlich verstanden bedenklicher Ansatz, da Möllers auch betont, Demokratie verspreche kein gutes Leben. Richtigerweise wird ausgeführt, dass, wenn der Maßstab für das Urteilsvermögen die eigene Wohlfahrt wäre (die ja nicht nur ökonomisch zu verstehen sein muss), demokratische Entscheidungen letztlich nur aufgrund mehrheitlich getroffener Bedürfnisbefriedigungen getroffen würden. Den Einwand offensichtlich vorausahnend ergänzt Möllers dann ein bisschen sybillinisch: Die Sicht auf unsere eigenen Angelegenheiten ist aber ebenso intensiv wie verzerrt. Auf Argumente zugunsten von Ängsten und Vorurteilen zu verzichten ist für alle eine Versuchung unabhängig vom Bildungs- und Erfahrungsstand. Aus diesem Grund traut die Demokratie mit der gleichen Freiheit allen die gleiche Urteilskraft zu.
Bürgerferne als Vorteil? Das klassische Beispiel ist das des Ausbaus einer Strasse. Die Ablehnung der Massnahme durch die Anwohner des Wohngebietes X hat unmittelbar zur Folge, dass die Strasse anderswo, in Y oder Z, gebaut werden muss – und dort zu ähnlichen Reaktionen führt. Und im Grossen führt Möllers aus, dass der inzwischen sehr stark gewordene Einfluss des Bundesrates auf die Bundespolitik höchst problematisch ist, da er, der Bundesrat, hierfür schlichtweg nicht legitimiert ist: Er ist zu einem nichtöffentlichen Bundesgesetzgeber geworden, dessen Mitglieder für Landespolitik gewählt wurden. […] Er schafft weder in den Ländern noch im Bund mehr Demokratie, weil in ihm Herrschaft für eine Ebene von denen ausgeübt wird, die für eine andere Ebene gewählt wurden. (Diese Kritik ist keine grundlegende Systemkritik am Föderalismus.) Diskutierbar ist auch die Definition von Gleichheit. Demokratische Gleichheit wird strikt in Bezug auf die politische Freiheit der Individuen verstanden; sie darf nicht mit Gleichmacherei verwechselt werden. Das demokratische Versprechen der Gleichheit bezieht sich nur auf die Freiheit. Gleichheit bedeutet, so Möllers, eben nicht eine Nivellierung beispielsweise von pekuniären Mitteln, die dem Bürger zustehen. Wer mehr Gleichheit verlangt, stellt die Demokratie in Frage, weil er bereits vorgibt, was doch erst demokratisch entschieden werden soll. Die Gleichheit, so Möllers, frisst dann die Freiheit auf. Wir bleiben…unterschiedlich – auch in den Möglichkeiten, aus unserer demokratischen Freiheit etwas zu machen. Und wenn er auf eine Solidarität als Teil des demokratischen Versprechens hinweist, so ist damit nicht die Garantie eines bestimmten Lebensstandards gemeint, sondern nur - nur? - die Grundlagen, die es erlauben, Entscheidungen treffen zu können.
Gute
Gründe schaffen keine demokratische Legitimation. - Das bedeutet aber nicht, dass "populistische Strömungen" keine Relevanz für die Demokratie hätten. Sie haben demokratische Bedeutung ohne demokratische Form. Diese Form, so ist Möllers' Axiom konstruiert, müssen sie allerdings in demokratische Verfahren überführen, denn Anspruch auf Legitimation in einer Demokratie hat nur der formalisierte demokratische Wille, wenn er unter den Bedingungen der Gleichheit und Freiheit artikuliert werden kann (interessanter Exkurs im Buch: Da die Zustimmung in einer Diktatur dem Herrscher bzw. System gegenüber nicht unter den Bedingungen der Gleichheit und Freiheit zustande kommt, ist sie - für Möllers - nicht legitimiert, auch wenn das System "populär" sein sollte).
Alles eine Frage der
Legitimation Wohl gemerkt: Der Mangel demokratischer Legitimation hat nichts damit zu tun, dass Organisation A in sich demokratisch organisiert ist. Die Diskrepanz für Möllers besteht darin, dass diese Legitimation nur von den Mitgliedern von A ausgeübt wurde und damit die Prinzipien der Gleichheit (= Partizipation aller) und Freiheit verletzt wurden. Zwar können und sollen NROs sehr wohl dazu beitragen, eine globale Problemwahrnehmung zu entwickeln und damit so etwas wie die zarte Knospe einer globalen demokratischen Identität erschaffen. Aber all diese Beiträge ersetzen nicht die Legitimation demokratischer Staaten (so lange – das führt Möllers in anderen Kapiteln aus – die Legitimation von föderalen Staatenbunden wie EU oder den Vereinten Nationen derart unstrukturiert und nebulös sind wie im Moment). Denn letztlich vertreten NROs mit ihren Anliegen nur bestimmte Spezialinteressen. Darin sind sie – bei allem guten politischen Willen – von multinationalen Konzernen nicht zu unterscheiden. Möllers sträubt sich gegen eine formalisierte Rechtsstellung von NROs in internationalen Organisationen. Im Ergebnis entstünde eine Art egalitärer Korporatismus. Eine eindeutige Absage an das Expertengespräch, in dem sich Fachleute über ein bestimmtes Problem austauschen und ohne egalitär Verfahren zur "richtigen" Lösung kommen. Äusserst skeptisch argumentiert Möllers demzufolge auch, wenn politische Entscheidungen im Gewand der Expertise daherkommen und Legitimation beanspruchen, wie dies beispielsweise bei OECD-Studien der Fall ist. Die Gefahren werden stupend analysiert: Die Welt der internationalen Ordnung besteht aus einer Fülle solcher öffentlichen und privaten Agenturen, die Programm entwickeln, Gesetze schreiben, die nur noch von Staaten übernommen werden müssen. Demokratische Staaten bauen Ordnungen nach, die ihnen von internationalen Organisationen vorgegeben wurden, ohne dass des zu erkennen wäre: von Bildungsstandards bis zu Kapitalmarktregeln. Hinter diesen Organisationen stehen wiederum andere, zumeist westliche Staaten, die ihre Modelle exportieren. Hier entsteht auf unsichtbarem Weg eine Art regulatorischer Monokultur. Und Möllers scheut in diesem Zusammenhang auch von postdemokratischen Weltentwürfen zu sprechen.
Demokratie ist nicht
Herrschaftslosigkeit Das Erfrischende an diesem Buch ist unter anderem, dass Möllers die Demokratie nicht verklärt – im Gegenteil. Gerade die grössten Feinde der Demokratie würden diese idealisieren und hohe Erwartungen schüren, um dann die unter Umständen "kümmerlichen" Resultate gegen sie zu wenden. Möllers macht keinen Hehl aus Interessenkonflikten, die in demokratischen Gesellschaften auftreten. Etwa das Problem, dass die Entscheidung für Demokratie in gewissem Rahmen zunächst die Freiheit einzuschränken droht, etwa in dem sie zu Kooperationen mit der Gemeinschaft zwingt. Oder dass eine vollständige Demokratisierung der Gesellschaft die Demokratie zerstören würde und ein Widerspruch zwischen privat ausgeübter Herrschaft und demokratischer Ordnung anerkannt werden muss (er bleibt die Definition der Grenzen dieser privaten Herrschaft leider schuldig, obwohl er sehr wohl erkennt, dass zu viele Räume autoritärer Privatheit die demokratische Anerkennung behindern). Aber wenn ich den anderen brauche, um meine Selbstbestimmung zu verwirklichen, dann erweitert gemeinsames Handeln die Reichweite meiner Freiheit - so heisst es ein bisschen verzückt. Wichtig dabei: Demokratischer Wille ist…Resultat einer Verfahrensform gleicher Freiheit. Durch die demokratische Willensbildung werden Verfahren zum Ausdruck gebracht, nach denen sich eine Gemeinschaft organisiert (es gibt anfänglich gewisse Probleme bei Möllers dieses wir als Gemeinschaft zu definieren).
Repräsentativ vs.
"expressiv" Demokratien sind nicht repräsentativ, sondern expressiv, so lautet das Ergebnis. Beerdigt wird damit die These, demokratische Entscheidungen spiegelten das Bestehende einfach "nur" wider. Wir sollten aufhören zu glauben, der demokratische Wille repräsentiere etwas ausserhalb seiner selbst. Stattdessen sei er Ausdruck einer gemeinsamen Praxis und entsteht durch Institutionen, die wir für demokratische Politik eingerichtet haben. Es gibt nicht erst ein Volk - und dann seinen Willen. In einer Praxis schaffen wir einen Willen, dessen Autor – also uns – wir als Volk bezeichnen können. Das nennt Möllers in Anlehnung an einen Sprachgebrauch aus der Sprachphilosophie expressive Demokratie. Das "Expressive" der Demokratie ist – daran lässt Möllers' Emphase keinen Zweifel – ein prozessualer Akt, geschaffen in demokratischen (oft genug langwierigen) Verfahren (und übrigens ständiger Veränderung unterworfen, weshalb er nachhaltigen Entscheidungen kritisch gegenübersteht). Demokratischer Wille ist nicht der Spiegel etwas Äußerlichen. Zwar schreibt Möllers dezidiert gegen den ehemaligen Verfassungsrichter Böckenförde und sein Modell der repräsentativen Demokratie an, aber was genau mit dieser Expressivität gemeint ist, bleibt nebulös (in der Fussnote wird auf englischsprachige Literatur verwiesen).
Keine Angst vor der
Mehrheit? Viel später, wenn es um die demokratischen Grenzen der Demokratie geht, liest man verblüfft, dass die Angst vor der Tyrannei der Mehrheit…in der Demokratie unbegründet sei. Sie resultiere daraus, dass Gesellschaften mit totalitären Erfahrungen der Demokratie immer auch das Schlimmste zutrauen würden. Ein Seitenhieb auf die häufig historisch begründete Vorsicht, Macht in zu eindeutigen Mehrheiten zu konzentrieren. Nonchalant übergeht Möllers allerdings, dass dieser Ausdruck bereits im 19. Jahrhundert formuliert wurde. Für eine Demokratie im hier verstandenen Sinn, für Ordnungen, die demokratische Gleichheit durch Rechtsform sichern, ist diese Annahme [die Tyrannei der Mehrheit] aber weder systematisch plausibel noch empirisch belegbar. Demokratien schützen Rechte von Minderheiten besser als andere Ordnungen, so Möllers, der das damit begründet, dass aus Minderheiten Mehrheiten werden können. Schlüssig erscheint das nur zum Teil. Wenn es sich beispielsweise um ethnische oder religiöse Minderheiten handelt, deren Interessen verhandelt werden (zu dem vielleicht noch ohne Möglichkeiten der direkten Partizipation dieser Minderheiten – wozu Möllers jedoch progressive Vorschläge unterbreitet, die beispielsweise dahin gehen, steuerzahlenden Bürgern das Wahlrecht unabhängig von ihrer Nationalität zu verleihen und damit die Teilnahme nicht länger zu verwehren), dann ist mit einem Umschlag von der Minderheit zur Mehrheit nur in sehr langen Zeitläuften zu rechnen.
Dissens statt Konsens Denn ein Dissens, über den entschieden wurde, schafft mehr Legitimation als ein Konsens, über den nicht entschieden wurde. Wie kaum sonst im Buch schimmert hier das diskursive Element der Demokratie durch (über die Funktion und Ausgestaltung von Medien findet man enttäuschend wenig im Buch). Indem Möllers beschreibt, wie implizite Konsense unter Umständen schnelle Problemlösungen anbieten, jedoch durch die Aussparung bewusster Entscheidungsfindung keine Legitimation beanspruchen können, und als Beispiel die arg "konsensuelle" Art der deutschen Europapolitik heranzieht, wird seine Intention deutlich: Es mag gute Gründe und noch bessere Interessen für die europäische Integration geben, aber wir hatten mangels demokratischer Auseinandersetzung nie Gelegenheit, sie kennenzulernen. So bleibt die europäische Integration in Deutschland eine Art Naturereignis und die Zustimmung zu ihr ein auf die Dauer eher zufälliger Umstand, auf den man erst vertrauen könnte, wenn sich eine Gegenansicht artikuliert hätte. Wer also von vornherein mit dem Konsens statt mit dem Willen zur politischen Konfliktaustragung ins Rennen geht, "verrät" den demokratischen Prozess. Diese These ist nicht neu und wird beispielsweise von Ralf Dahrendorf verfochten. Möllers versäumt es leider, die Differenz zwischen Konsens und Kompromiss genauer herauszuarbeiten. Die Negation eines prä-konsensuellen Diskurses hat mit der Akzeptanz von Kompromissen nichts zu tun. Ausdrücklich verwehrt sich Möllers daher gegen das so schnell gebrauchte Attribut "faul" im Zusammenhang mit Kompromissen. Dies würde bedeuten, es gäbe…so etwas wie eine "reine" politische Entscheidung. Und letztlich folgt das Bedürfnis nach einer kompromisslosen demokratischen Entscheidung…der autoritären Fiktion eines reinen politischen Willens.
Imperative Verpflichtung
oder Distanz?
Aber weiter: Möllers bricht sowohl eine Lanze für eine gewisse Distanz zur Welt des Parlaments als Teil einer Arbeitsteilung (durch die Gewaltenaufteilung) und auch Bürokratie ist für ihn mehr als nur eine negative praktische Folge idealer Anforderungen an demokratische Verwaltungen, sondern als Preis für Selbstbestimmung anzusehen, weil Verwaltungen Beteiligte anhören, niemanden diskriminieren und ihr Tun so dokumentieren, dass es nachvollziehbar und kontrollierbar ist (transparent wird diese Argumentation, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man Verwaltung immer dann fordert, wenn sie eigenen Interessen dienen soll – und als "bürokratisch" ablehnt, wenn sie diesen zuwider läuft). Und auch der Mut zur Wahrheit, ein Stück Resistenz gegen Populismus ist unter Umständen notwendig, in dem beschränkte Handlungsmöglichkeiten offen zu benennen sind und einfach zuzugestehen, dass nach manchen Ereignissen nichts getan werden kann . All diese Argumentationen, eine Art Plädoyer für einen politischen Weitblick der demokratisch legitimierten Organe, losgelöst von Partikularinteressen, sind gewiss vernünftig. Aber ist Demokratie nach Vernunftgründen praktizierbar? Möllers bezweifelt das (Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Vernunft [bleibt] schwach und kann von der Entscheidungslogik demokratischer Politik einfach überwuchert werden.) Damit stellt er aber unter Umständen auch das Primat der Urteilsfähigkeit des Bürgers wieder infrage. Denn wenn die Entscheidungslogik demokratischer Politik dann doch populistischen Maximen folgt – obwohl vielleicht wider besseres Wissen -, dann liegt der "Fehler" nicht ausschliesslich beim Mandatsträger, sondern mindestens genau so beim Bürger. Wenn sich aber die Mandatsträger – wie oben beschrieben, der Welt ein Stück entrücken sollen, treffen sie vielleicht weniger "populistische" Entscheidungen – verlieren jedoch unter Umständen ihre Mehrheit. Den Mandatsträger für die Dauer seines Mandates unter Umständen in einen höheren gesellschaftlichen Rang zu befördern, würde letztlich den Gleichheitsgrundsatz infrage stellen (in der Praxis gibt ja beispielsweise sehr wohl die Immunität).
Opulenz – leider nicht bei
der Hauptargumentationslinie Leider gibt es auch mitunter ärgerliche Widersprüche, wie beispielsweise die Ausführungen zu Volksentscheiden. Am Anfang steht Möllers diesen skeptisch gegenüber: Die Beantwortung einer Frage mit ja oder nein in einer Volksabstimmung zwingt zu klären, wer demokratisch legitimiert ist, solche Fragen an alle zu stellen. Und anders als Parlamente oder Volksversammlungen haben Volksabstimmungen keinen institutionellen Ort, an dem die demokratische Willensbildung verstetigt werden kann. Letztlich wird durch die Dichotomie ja/nein die Möglichkeit von nuancierter Auseinandersetzung und Kompromissbildung ausgeschlossen. Dann irgendwann die These, Referenden könnten für bedeutende völkerrechtliche Verpflichtungen, etwa für die Vertiefung der EU oder den Beitritt der Welthandelsorganisation geboten sein, um demokratische Legitimation in aussenpolitischen Fragen zu generieren (warum das Argument gegen "ja/nein"-Entscheidungen jetzt nicht mehr gilt, bleibt offen). Und gegen Ende des Buches dann eine endgültige Wende: die Abneigung gegen Volksabstimmungen sei überholt, und sie könnten das Bewusstsein für die Bedeutung demokratischer Politik heben. Da hätte man sich mehr Stringenz gewünscht. Vehement wird der Autor, wenn er auf die Ignoranz und Diskreditierung grosser Teile der Intellektuellen hinsichtlich der deutschen Demokratietradition hinweist. Man lese, so echauffiert sich Möllers, auf einem staatlich finanzierten Denkmal des Künstlers Hans Haacke Zitate von Rosa Luxemburg. Die erste frei gewählte Nationalversammlung in einem demokratischen Deutschland bezeichnete sie als "überlebtes Erbstück bürgerlicher Revolutionen" und "Hülse ohne Inhalt". Autoritäre Gegner der Weimarer Republik hätten dieser parlamentsfeindlichen Bewertung sicher zugestimmt. Immerhin demonstriert dieser öffentlich finanzierte antiparlamentarische Sozialkitsch unsere demokratischen Traditionslosigkeit besonders deutlich. Die Fülle der Phänomene, die Möllers kommentiert, ist beachtlich. Ob der Bundespräsident jetzt vom Volk gewählt werden soll oder nicht, ist sicherlich interessant, ist jedoch weniger in dem Sinne weniger relevant, weil man sich eigentlich nähere Ausführungen der Hauptargumentationsstränge von Möllers' Denkgebäude gewünscht hätte. Im Laufe des Buches bekommt man immer mehr das Gefühl, der Autor möchte lieber noch den ein oder anderen Nebenschauplatz kommentieren. Im selbstironisierenden Vorwort beschreibt Möllers zwar die Diskrepanz zwischen dem Wunsch, wie dieses Buch sich entwickeln sollte – und dem tatsächlichen Resultat, aber das ist ein bisschen fishing for compliments. Dennoch ist "Demokratie – Zumutungen und Versprechen" ein sehr lehrreiches, im Grossen und Ganzen leicht (aber nicht seicht) geschriebenes Buch; fast eine Art Vademecum. Es ist höchst anregend - auch und vor allem dort, wo man mit den Ansichten des Autors nicht übereinstimmt und/oder die eigenen Standpunkte plötzlich ins Wanken geraten. Dabei ist es auf eine beruhigende Weise bar jedem hohlen Pathosgerede sonntäglich gestimmter Politiker oder Verbandsfunktionäre. Das Buch könnte die notwendige und wichtige Debatte um unsere Demokratie befördern. Unabdingbar hierzu wäre es allerdings, dass sich einige Medien wieder mehr auf ihren Aufklärungsauftrag konzentrieren und solche – im Detail durchaus kontroversen und auch unangenehmen Thesen – aufnehmen, einer breiten Öffentlichkeit vorstellen und diskutieren. Also fast genau das Gegenteil dessen, was im Moment geschieht. Gregor Keuschnig Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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