Glanz@Elend |
Politik
- Terrorismus |
|
|
Preisrätsel Verlage A-Z Medien & Literatur Museen & Kunst Mediadaten Impressum |
|||
|
Vergleicht man Elters Punkte mit den Merkmalen des Terrorismus, wie sie Louise Richardson in "Was Terroristen wollen" formuliert hat, ergeben sich im für dieses Buch entscheidenden Punkt – der medialen "Vermarktung" des Terrors – deutliche Parallelen. Überraschend hierbei ist dann, dass Richardsons Charakteristikum der medialen Komponente deutlicher formuliert ist als bei Elter. Sie schreibt: "Zweck von Terrorismus ist nicht, den Feind zu besiegen, sondern eine Botschaft zu verkünden." Bei Elter klingt das ein bisschen nebulöser: Terroristische Gruppen setzen primär auf physische Gewalt (die aber gleichzeitig psychische Wirkungen intendiert) und spektakuläre Aktionen, welche die massenmediale Verbreitung sicherstellen, die Öffentlichkeit erreichen und einen langfristigen Schockeffekt herbeiführen sollen.
Dynamit und
Rotationsdruck Elter kommt in seiner Studie über die massenmediale Wirkung der RAF zum gleichen Urteil und belegt dies an vielen Beispielen. Seine Definition der "Propaganda der Tat" entlehnt er bei dem deutschen Anarchisten Johannes Most (nach einem interessanten Exkurs in die Anarchistenszene des ausgehenden 19./beginnenden 20. Jahrhunderts; auch die Geschichte des Terrorismus insgesamt von den politischen Morden in der Antike über die Assassinen bis zu dem Staatsterrorismus in der französischen Revolution wird kursorisch gestreift).
Als wichtigste
"Innovationen" für eine "Propaganda der Tat" macht Elter zwei neue
Erfindungen aus der damaligen Zeit aus: das Dynamit und der
Rotationsdruck. Terroristische Organisationen des 20. und 21.
Jahrhunderts haben – unbewusst oder bewusst – dies inzwischen
weiterentwickelt. Folgende Punkte sind dabei für Elter essentiell: Elter fächert die Geschichte der RAF chronologisch auf. Von den Studentenunruhen 1967, dem Tod Benno Ohnesorgs bis zu den ersten Anschlägen Anfang der 70er Jahre über Baader-Befreiung, die ja inzwischen fast einhellig als die "Geburt der RAF" bezeichnet wird, über die Gefangennahme von Baader, Meinhof, Raspe und Meins, den Hungerstreiks (speziell 1974; hierüber wird noch zu reden sein), den militanten Aktionen und Anschlägen, die fast ausschliesslich der Befreiung von Gefangenen dienten und in den "deutschen Herbst" 1977 mündeten. Das Kapitel über die dritte Generation der RAF bis zur Selbstauflösung 1998 fällt sowohl in Quantität als auch in Qualität ein bisschen ab, was u. a. daran liegen dürfte, dass die Taten grösstenteils weder aufgeklärt, geschweige denn die Verdächtigen inhaftiert sind und sichere Aussagen und Bewertungen hierüber nicht möglich sind. (Die Kapitel über die RAF in Kunst und Literatur hätte man besser weggelassen, da sie unvollständig und somit arg selektiv erscheinen.)
Die RAF dominiert in
den Medien Die Dominanz der RAF als Urheber des Terrors rührt vor allem daher, dass spätestens nach Inhaftierung des "harten Kerns" (der ersten Generation, also Baader, Meinhof, Ensslin et al.) verstärkt und noch effizienter agitiert werden konnte. Das klingt zunächst paradox, aber da die Anführer nicht mehr im Untergrund waren, und man sehr schnell ein konspiratives und vor allem effizientes (übrigens stark hierarchisches) Informationssystem implementiert hatte ("RAF-info"), war eine umfassendere und zeitnahe Agitation und Verbreitung von Kommuniques und Botschaften an die Sympathisantenszene und – wenn notwendig – die Öffentlichkeit möglich. Und auch das gefangeneninterne Kommunikationsnetz funktionierte prächtig – sowohl auf legalem als auch auf illegalem Weg. In beiden Fällen spielten einige Anwälte eine wichtige Rolle. Elter bemüht – leider!- hauptsächlich (den inzwischen verstorbenen) Klaus Croissant, der später strafrechtlich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde; andere, heute prominente ehemalige Anwälte wie Ströbele und Schily werden nur sehr kursorisch behandelt.
Selbstviktimisierung Gestoppt wurde dieser Exitus allerdings zunächst durch den Tod des hungerstreikenden Holger Meins. Elter widmet dieser Causa viel Raum. Erhellend dabei, wie er vorführt, dass terroristische Kommunikationsstrategie ohne jegliche Manipulation oder Beeinflussung allein durch Berichterstattung über einen bestimmten Sachverhalt aufgehen kann. Indem seriöse Presseorgane wie beispielsweise die "FAZ" oder die "Süddeutsche Zeitung" neben der gängigen, offiziellen Erklärung für den Hungertod von Meins eben auch über die Vorwürfe, die in Presse- oder Hungerstreikerklärungen der RAF erhoben wurden und durch Anwälte publiziert wurden, und kolportierten, man habe Meins absichtlich verhungern lassen, wurden diese Äusserungen – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – ein sehr effektives Mittel in der Aussenkommunikation der RAF. Die Medien wurden dabei zu den Transporteuren der Sichtweise der RAF, obwohl sie lediglich ihre Pflicht zur neutralen Berichterstattung erfüllten, zu der es natürlich keine Alternative gab. Aus dem blossen Übermittler wurde – ungewollt - ein Akteur. Der Ausweg aus diesem Dilemma wäre gewesen, wenn die Journalisten die tatsächlichen Begebenheiten aufgedeckt und so die Version der RAF entkräftet hätten, wie dies beispielsweise der "Spiegel" versuchte, der einen Gefängnisarzt interviewte. Mit dem Tod von Holger Meins hatte die RAF erstmals die Möglichkeit einen der ihren als Opfer zu stilisieren und ihre These von den "unmenschlichen Haftbedingungen" zu unterfüttern (schöner Kontrast: die Bücherlisten von Ulrike Meinhof [PDF; 2,11 MB]). Dieser Punkt der Selbstviktimisierung spielt, das beweist Elter eindrucksvoll, eine nicht unwesentliche Rolle in der Kommunikationsstrategie der RAF, obwohl sie sich hiermit von der "Propaganda der Tat" abwendete. Indem die Gefangenen sich selber stets als Opfer darstellten, hatte die Befreiung der einsitzenden Häftlinge für die im Untergrund lebenden Aktivisten oberste Priorität. Eine eventuell andere "Taktik", d. h. andere Ziele oder Strategien kamen gar nicht mehr infrage (zumal es an "Personal" mangelte). Die RAF wurde nur noch selbstreferentiell, was sie jedoch sehr gut verbarg. Einige Medien forcierten in der ohnehin schon aufgeheizten Stimmung die Tonlage noch. In dem die Bouleveardzeitungen "BZ" und "Bild"…auf ihre Weise einiges dafür taten, dass das Thema aktuell blieb, also "Bild" vom "süssen Leben hinter Gittern" [sprach], … die "BZ"… schon einige Wochen Artikel mit Formulierungen wie "Hungern als Hobby" veröffentlicht und die "Bild" mit dem Titel "Rache" aufmachte, der in Anlehnung an Äusserungen von Beerdigungsteilnehmern nahm, stimulierte "Bild" die Sympathisantenszene zusätzlich und leistete damit der Kommunikationsstrategie der RAF Vorschub. Denn genau dieses Gefühl der Rache oder – bei weniger aggressiven Zielgruppen – des Mitleids sollte durch die Rede von der "Vernichtungshaft" hervorgerufen werden. Elter spricht nicht nur hier vom symbiotischen Verhältnis zwischen der RAF und ihrem Gegner "Bild".
Symbiose zwischen
"Bild" und RAF? Dennoch ist der Begriff der Symbiose problematisch; vielleicht wäre es besser gewesen, von einer Interdependenz (bzw. Konterdependenz) zu sprechen. Eine Symbiose impliziert ein irgendwie bestehendes Verhältnis, gar so etwas wie ein stillschweigendes Übereinkommen. Es ist schon deshalb etwas ungenau, weil die Abhängigkeiten auf beiden Seiten doch unterschiedlich waren. Während die "Bild"-Zeitung die Berichterstattung über den Terrorismus nicht zwingend brauchte (sie hätte leicht andere Themen finden können bzw. hat sie ja auch gefunden, wenn es entsprechend wenig über die RAF zu berichten gab), war die RAF dagegen stark auf eine entsprechende Berichterstattung – und sei sie auch noch so polarisierend oder negativ – angewiesen. Daher war die RAF sehr viel stärker von "Bild" abhängig als umgekehrt. Das Dilemma der RAF bestand darin, dass die Medien (und nicht nur die Springer-Medien) Teil des "Establishments" war, was man ja bekämpfte. Der Begriff Symbiose ist auch ungenau, weil der Springer-Konzern direkt selbst zum Gegenstand der intellektuellen Auseinandersetzung und auch des RAF-Terrorismus wurde, also "Partei" war. Immerhin streift Elter die unumstössliche Tatsache, dass – auch hier wieder insbesondere die Springer-Presse – der RAF-Terrorismus als Hebel verwendet wurde, um die ungeliebte sozial-liberale Regierung im Bund zu desavouieren. Das RAF-Phänomen [sei] von einigen demokratischen Politikern in unverantwortlicher Form zu politischen Zwecken instrumentalisiert worden (namentlich nennt Elter nur den späteren Innenminister Friedrich Zimmermann). Durch eine hysterische Darstellung der Bedrohungslage sah sich die Regierung zu Massnahmen veranlasst, die ihrer Intention ("Mehr Demokratie wagen" – Willy Brandt) eigentlich widersprach. Dies nur, um nicht als "schwach" oder auf dem "linken Auge" blind diskreditiert zu werden. In dem der "Spiegel" den letzten Brief von Holger Meins abdruckte, trug er bedeutend zur Märtyrisierung Meins' gerade in einer bestimmten Masse der Unentschlossenen bei. Elter zitiert aus einem (erst nach Meins' Tod bekanntgewordenen) Brief Baaders [PDF; 1,58 MB] "Es werden Typen dabei [bei den Hungerstreiks] kaputtgehen". Eine Strategie der Führungsriege der RAF wird allerdings negiert: Dass die RAF während des Hungerstreiks bewusst auf den Tod von Mitgliedern setzte, um damit einen Mitleids- oder Solidarisierungseffekt zu erzielen, lässt sich daraus aber nicht direkt ableiten. Beweise für einen Befehl, "sich zu Tode zu hungern", existieren nicht.
Und es gibt den Beweis Elter insinuiert, dass die Behörden Meins' Tod nicht mit allen Mitteln verhindert hätten. Vielleicht gab und gibt es hierfür tatsächlich Indizien [PDF; 291 kb], aber wenn beispielsweise andere Gefangene, die zwangsernährt wurden, gegen das Personal Strafanzeigen ob dieser Massnahmen erstatteten [PDF; 655 kb], kann man vielleicht verstehen, warum aus der Situation heraus Pflichten laxer gehandhabt wurden. Der Tod Meins' und die mediale Darstellung dieses Ereignisses wurde von den Behörden und der Politik hinsichtlich der Dynamik auf die Sympathisantenszene völlig unterschätzt. In der Betrachtung der nachfolgenden Ereignisse, die Elter versteht, packend zu rekapitulieren, wird deutlich, wie die Medien (bzw. die politischen Entscheidungsträger) aus ihren Fehlern lernten. So weigerte man sich beispielsweise bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, die Forderung der Terroristen zu erfüllen, die Livebilder von der Botschaft permanent zu senden. Im Fall des entführten Hanns-Martin Schleyer strahlte man das erste Entführervideo nicht aus. Auch die weiteren Videos und Bilder wurden nur sehr selektiv in der Öffentlichkeit gezeigt. Elter zeigt hier exemplarisch, wie die RAF gelegentlich in der Einschätzung ihrer Inszenierungen auch scheiterte bzw. einen für sie kontraproduktiven Effekt erzielte. Aus dem medialen "Volksgerichtshof", mit dem man Schleyer den "Prozess" machen wollte, wurde nichts, weil der rhetorisch überlegene Schleyer sich nicht zu verräterischen Aussagen hinreissen liess, im Gegenteil: In seinen Äusserungen entlarvte er vielmehr die Strategie der Terroristen als unmenschlich und sinnlos (Kronzeuge hierfür ist neben - dem auch von Elter als unzuverlässig eingestuften – Peter-Jürgen Boock vor allem Silke Maier-Witt).
Das
Verschwinden der Deutungshoheit:
Schleyer - der geschundene Mensch Es wäre überhaupt ein falscher Eindruck zu suggerieren, dass Elter die Kommunikationsstrategien der RAF als Erfolgsgeschichte darstellen wollte. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Er zeigt aber akribisch und anschaulich, wie die RAF die mediale "Vermarktung" ihrer "Aktionen" nicht nur stattfinden lassen wollte, sondern aktiv versucht hat, ihre Darstellung zu beeinflussen und für sich zu nutzen. Das Buch strotzt nur vor Details. Etwa aus der Anfangsphase, die Bekennerschreiben zu den Anschlägen immer erst einige Tage später zu veröffentlichen (Elter gibt einen genauen Einblick, wann wer warum über die Aktionen informiert wurde; mal wurden die Nachrichtenagenturen direkt informiert – mal zog man die indirekte Kommunikation vor). Zunächst war somit der Anschlag in den Medien, wurde ausgiebig diskutiert und als dann das Interesse nachzulassen drohte, wurde die Selbstbezichtigung "nachgeschoben" – und schon war die RAF wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Oder die vermeindliche Internationalisierung, mit anderen Terrorgruppen in Europa und auch im Nahen Osten, mit der die RAF sich schmückte, die letztlich aber nur mehr oder weniger behauptet wurde, um eine Vernetzung vorzutäuschen, die es so nicht gab (und nur einmal gab es dann tatsächlich diese "Globalisierung" – als 1977 der Ferienflieger "Landshut" von palästinensischen Terroristen als flankierende Massnahme zur Schleyer Entführung entführt wurde).
Viele Exkurse Elter zeigt, dass es in dem Alarmismus von damals und heute durchaus Parallelen gibt und warnt ausdrücklich davor. Er lehnt die auch bereits damals von führenden Politikern häufig benutzte Kriegsmetaphorik definitiv ab, da sie die Terroristen in politische Kategorien katapultiert. Warum er allerdings dann trotzdem selber Münklers Modell des "asymmetrischen Krieges" bei der Charakterisierung u. a. des aktuellen Terrorismus herbeizitiert, bleib unklar und ist leider inkonsequent. Auch das es am Ende bei bisschen Begriffsverwirrung zwischen Erklärungsterrorismus und Handlungsterrorismus gibt, vermag den insgesamt sehr positiven Eindruck des Buches nicht zu trüben. Daher soll es hier darum gehen, den "Mythos RAF"…weiter zu dekonstruieren und den Aspekt ihrer Kommunikationsstrategien und damit letztlich auch ihre mediale Wirkung zu thematisieren. Diesem Anspruch wird Andreas Elter was die Darstellung der Kommunikationsstrategien der RAF (mindestens der ersten und zweiten "Generation") angeht, sehr gut gerecht. Und natürlich wird dadurch indirekt ein "Mythos" entzaubert, der ja immer dann gerne entsteht, wenn sich Halbwissen und Wunschdenken vermengen und die Fakten leidlich ignoriert werden. Obwohl es nicht das Ziel der Studie war, hätte man sich mehr Widmung zur Entwicklung einer "medialen Deeskalationsstrategie" gewünscht - und zwar von allen Diskursteilnehmern, um nicht letztlich direkt oder indirekt das Geschäft der Terroristen zu betreiben. Trotzdem ist "Propaganda der Tat" ein aufklärerisches Buch und hilft, Strukturen zu erkennen und zu durchschauen. Gregor Keuschnig Sie können den Beitrag hier kommentieren: Begleitschreiben
Alle kursiv gedruckten
Passagen sind Zitate aus: |
Andreas Elter |
|
Glanz@Elend
|