Leserbriefe zur Rezension

Eloquent oder illoquent?

Zur Sprache in Martin Mosebachs Roman "Der Mond und das Mädchen"

Von Albert Mues


Johann Stahuber schrieb uns am 25.11.2007
Thema: Albert Mues: Eloquent oder illoquent?

Offener Brief an Albrecht Mues

Ich möchte gern ein paar Sätze zu Ihrer Kritik an Martin Mosebachs Sprache anbringen. Das ist die Sorte Kritik, die einem fabulierfreudigen Menschen jede Lust an seinem Metier austreiben könnte (Entschuldigung: kann), diese Abgleichung an der Realität, die so unerbittlich wie souverän daherkommt. Mosebach muss sich von Ihnen abwatschen lassen wie ein Schüler, der zwar durchaus begabt ist, aber mit seiner Begabung doch ständig an dem vorbeischrammt, was gültig und möglich ist. Wittgensteins letzter Satz im Tractatus fällt einem ein: „Wovon man nicht reden kann, darüber sollte man schweigen“, salopp abgewandelt: „Was keine echte Information beinhaltet, sollte man dem Leser ersparen.“ Wittgenstein war schnell am Ende damit, was ich Ihnen bestimmt nicht eigens erzählen muss, der Sprache etwas vorschreiben zu wollen. Sie sollten aber mal einen bayerischen Mundartschriftsteller wie Kobell ausgiebig lesen, um demonstriert zu bekommen, welche Nuancen und Erweiterungen des Aussagbaren eine herangebildete Sprechtradition gerade in ihren ‚Unmöglichkeiten’ birgt.
Literatur ist nicht von einem blitzsauberen Ideal der Entsprechung her aufzuziehen, sie orientiert sich an gesprochener Sprache. Auch das ist Ihnen selbstverständlich nur allzu bekannt, doch wirkt Ihre Textkritik gerade so, ob wollte der frühe Wittgenstein den späten attackieren, das (spätere) Hinhorchen auf gegebenen Sprachgebrauch zwar nicht ablehnend, aber doch den (früheren) Gestus der unerbittlichen Abgleichung beibehaltend. Was sich dann etwa äußert in einer formalistischen Auslotung dessen, welche erzählerische Situativität gerade gegeben ist. Dass diese nicht sprachtechnisch von den Zuordnungen der nächsten textlichen Nachbarschaft herzuleiten ist, sondern höchste und feinste Variationsstufen enthalten kann, vielleicht über Seiten hinweg aufgebaut, vielleicht auch innerhalb eines Nebensatzes zum intuitiven Nachvollzug ‚plötzlich’ nahegelegt, kann freilich nur mit einem gewissen schwungvollen Sympathievorschuss für den Autor zugestanden, ja erlebt werden. Ohne diesen sehr natürlichen und von der Literatur (so sie denn charmant ausfallen will) auch vorausgesetzten Vorschuss geht es nicht, weder das Schreiben, noch das Rezensieren (so es denn fair ausfallen will). Ihre Kritik an Mosebach ist ein geradezu exemplarisches Lehrstück dazu. Sie haben kein Gefühl für Mosebachs Dichtung, wohl genauso wenig wie für die Peinlichkeit Ihrer Selbsteinführung mit dieser Szenerie im Tessin. Wenn ein Reich-Ranicki, erschöpft vom Tagesgeschäft und von allerlei Zudringlichkeiten, in eine gewisse enervierte Pose verfällt, wird man ihm das nachsehen, doch Ihre gereizte Ungeduld kommt fast wie ein Stilmittel daher.
Aber ein paar konkrete Entgegnungen zu Ihrer ‚faktiziösen’ Kritik.
"[...] durch das hintere Fenster sah es grün herein."(FAZ vom 22. 6. 2007; im Buch S. 10-15) "hinein"!, denn dieses "es" grünt doch außerhalb des Fensters. Unser Radler steht ja ebenfalls außerhalb, und zwar diesseits jener durch die beiden Fensterfronten gebildeten Wohnung, in die "es" hineinsieht.
Der Terminus „sah“ beschreibt in dem Zusammenhang keine Aktivität seitens des Grüns, sondern verweist auf gesprochene Sprache, und da wird es eben eher heißen „herein“. Selbst wenn der Beobachter außerhalb steht, wird er nicht mit dem Grün ‚mitgehen’, sondern sich selber als in der Wohnung stehend zum Bezugspunkt nehmen. Ihnen zufolge wäre wohl auch eine volkssprachlich Wendung wie „Das schaut mir aber grün aus“ problematisch.
Ein anderes Beispiel:
"Er war immer froh, wenn das Mädchen etwas Angenehmes erlebte." Was bringt dieses "immer"? Es fügt dem "froh" nichts hinzu: "Er war froh, wenn das Mädchen ..." sagt dasselbe. Der Autor traut seiner Wortwahl nicht und will sie deshalb künstlich, aber kraftlos verstärken.
Wer hat je festgelegt, dass „froh sein“ nicht auch ein jeweiliger Akt sein könnte, also auch „immer“ – was bedeutet: jedesmal, wenn die Gedanken darauf kommen – stattfinden kann?! Und ihre Mutmaßung, dass der Autor seine Wortwahl verstärken wolle, klingt fast komisch nach Deutsch Leistungskurs.
"Ohne sich zu fragen, was er eigentlich suchte [...]." Nein, "suche" oder "sucht"; denn er hält ja, wenn er sich fragt, sein ,nach etwas zu fragen' nicht für unwirklich.
Hier ist Ihrerseits der sprachliche Charakter des Satzes missverstanden. Die Sentenz „Ohne sich zu fragen“ weist nicht für sich auf etwas hin - so dass man etwa innehielte: ja, was? -, sondern steht in kompaktem Zusammenhang mit dem zweiten Teil. Außerdem ist auch jene doppelt gemoppelte Möglichkeitsform literarisch längst etabliert, und das mit einer gewissen Berechtigung. So wird nämlich dem Rechnung getragen, das der Wünschende (hier Suchende) sein Wünschen selber konjunktivistisch reflektiert.
Man könnte wohl jede ihrer Maßregelungen auseinanderfliegen lassen, diese drei Beispiele sind willkürlich gewählt.

Mit freundlichem Gruß
Johann Stahuber