Leserbriefe zur Rezension

Angstfrei philosophieren

Martha Nussbaum legt Amerika auf die Couch und macht Therapievorschläge

Von Christophe Fricker


Götz R. Winkler schrieb uns am 26.03.2019
Thema: Christophe Fricker: Angstfrei philosophieren

Guten Tag,

Ihren Kommentar zu M. Nussbaum, die ich sehr schätze, möchte ich wie folgt ergänzen:

1) Beim Positivismus unterscheidet man 2 Typen: P1 wähnt sich im Besitz der absoluten Wahrheit, hält Kritik für dumm, weil sie seinen formal-logischen Ansätzen nicht, folgt. P1 missioniert und tötet notfalls (physisch oder gesellschaftlich)  P2 hält es mit der Offenheit: jede "Wahrheit" ist vorläufig. P2 will nicht missionieren, sondern sich im Gespräch austauschen, lernen. (Nebenbei ein Grundprinzip auch der Wissenschaft, in deren Namen P1 häufig spricht) Eigenschaften von P2: Vertrauen, Toleranz, Mut.  M. Nussbaum zählt zweifellos zum Typ P2. Aber sie scheint, wenn ich Ihre Analyse lese, P1 auszublenden

2) Es gibt in der Philosophie einen zunehmend fruchtlosen Zweig: die Analytische Philosophie. Sie analysiert das Problem solange, bis sie nach den Gesetzen der formalen Logik eine eindeutige Lösung gefunden hat. Eine Sackgasse zum Beispiel in der Analytischen Sprachphilosophie: "Ulysses" von James Joyce, von vielen als der Jahrhundertroman bezeichnet, hätte nach den Gesetzen der Analytische Philosophie nie geschrieben werden dürfen

3) Camouflage: P1 versteckt seine Absichten in bewussten Sinnverdrehungen, rühmt Offenheit, Entwicklung. P1 füllt das Gefäß eines Begriffes wie "Freiheit" oder "Gespräch" mit einem neuen, mit seinem autoritären Inhalt.
Das, in der Tat, ist gefährlich, wenn der P1 auch noch ein sympathisches Charisma vor sich herträgt. Darauf muss P2 aufgrund seiner Offenheit zunächst hereinfallen

MfG  Winkler