Als französische Agenten in den 1950er Jahren in Deutschland Bomben zündeten
Jürgen Heimbachs überzeugender Politroman „Die Rote Hand“
Von Martin Gaiser
Babylon Berlin hat ja nun beinahe jeden auf irgendeine Weise erreicht, es gibt also ein großes Interesse an geschichtlichen Stoffen, gerade auch bezogen auf deutsche Themen und Ereignisse. Klar, Volker Kutscher ist mit seiner vielbändigen Reihe um Gereon Rath mittlerweile uneinholbar auf der Bestsellerpiste, doch so neu ist das Genre des historischen Krimis nicht, bereits in den Jahren 2004 bis 2006 hat der unter seinem Pseudonym Virginia Doyle schreibende Hamburger Robert Brack seine famose Sankt-Pauli-Trilogie um den Polizisten Heinrich Hansen veröffentlicht. Ebenfalls eine Krimitrilogie hat Jürgen Heimbach vorgelegt, die in den Jahren 2012 bis 2016 bei Pendragon erschienen ist und den Frankfurter Hauptkommissar Paul Koch in den Jahren 1946 bis 1950 begleitet. Wozu diese Vorrede? Nun, sie führt auf den neuen Roman von Jürgen Heimbach zu, Die Rote Hand, erschienen im Verlag Weissbooks.
Der 1961 in Koblenz geborene Heimbach, der als Redakteur für 3sat arbeitet, hat sich einen historisch verbürgten Fall als Material für seinen sehr unterhaltsamen und sehr gut lesbaren Roman genommen. Zitat aus dem Pressetext des Verlages: „Die Frankfurter Rundschau vom 9. März 1959 berichtete über das Attentat auf den Waffenhändler Georg Puchert in Frankfurt am Main in der Guillolettstraße am 3. März: Angeblich gehört der Täter einer Mörderorganisation an, deren Name aus einem schlechten Kriminalroman stammen könnte: „Die Rote Hand“.“ Das Opfer hat offenbar Geschäfte mit der algerischen Befreiungsfront FLN und deren militärischem Arm, der ALN gemacht. Algerien war zu diesem Zeitpunkt eine französische Kolonie, die Befreiungsbewegung und die Bestrebungen, Unabhängigkeit zu erreichen, waren für Frankreich eine massive Provokation und Bedrohung (ein Trauma, das bis heute in Frankreich nicht wirklich aufgearbeitet und bewältigt ist). Somit musste jeder, der den Rebellen half, zum Beispiel eben mit dem Verkauf von Waffen, ein Feind sein, der sich gegen den französischen Staat stellt.
Einer, der einige Jahre in Algerien gelebt und gekämpft hat, ist Arnolt Streich, ein Soldat, der nach seiner Zeit in der Wehrmacht zur Fremdenlegion ging, wo er Einsätze in Indochina und eben in Algerien hatte. Nun ist er zurück in Deutschland, genauer in Frankfurt und hat bei Bommel, einem feisten Kapitalisten, einen Job auf einem heruntergekommenen Garagen- und Gewerbehof als Aufpasser und Nachtwächter. Auf diesem Gelände hat er auch eine kleine schäbige Bude, in der er raucht und die wehmütigen Chansons von Edith Piaf hört. Ab und an geht er zu Ali, der im Krieg einen Arm verloren und deshalb von der Stadt eine Lizenz zum Betrieb eines Wasserhäuschens erhalten hat, einer Art Kiosk oder Trinkhalle. Dort trinkt er ein paar Biere, kauft seine Lieblingszigaretten, wirft einen Blick in die Zeitungen und lauscht den Gesprächen der anderen Gäste. Er selbst bleibt im Zwielicht, beteiligt sich kaum, will für sich bleiben.
Doch so ganz gelingt ihm das nicht, denn schon bald bemerkt er ein sich immer wieder in seiner Nähe aufhaltendes, auffälliges Auto, einen Citroën DS. Streich kennt sich aus mit Beobachtungen, mit brenzligen Situationen, doch Heimbach hat seine Hauptfigur nicht zu einem eindimensionalen Kampfproleten oder zu einem mit allen Wassern gewaschenen smarten Agenten geformt. Nein, Arnolt Streich ist nicht mehr so sehr in Form, er hat Wettschulden, ist einsam und ohne Ziel. Ab und zu besucht er einen alten Kameraden, der mittlerweile in einem Hinterhof einen Boxclub betreibt und einmal im Monat putzt er sich raus und geht zu einer Prostituierten. Das sind seine Wege, ist sein Radius. Bis auf ein paar freche Kinder, die verbotenerweise auf dem Hof spielen, den er bewachten muss, und dabei immer wieder ein Mädchen beschimpfen und bedrohen, passiert nicht viel. Doch dann sprechen ihn zwei Männer an, Franzosen, die wissen, wer er ist und was er zu verbergen sucht. Sie machen ihm ein Angebot, das er nach kurzem Überlegen und Zögern annimmt: er soll den Standort eines Autos ausfindig machen – und dann beschleunigen sich die Dinge. Eine Autobombe hat den Besitzer des Autos und dessen Geliebte getötet, Streich wird von der Polizei vernommen, kann sich aber noch bedeckt halten. Als am Tatort eine Zeichnung auftaucht und diese statt eines Fotos des Verdächtigen in der Zeitung erscheint, erinnert sich Streich wieder an das Mädchen, dem er ein paar Mal gegen die anderen Kinder geholfen hatte; sie hat immer gezeichnet und das erzählen eben jene Kinder auch der Polizei, die nun nach dem Mädchen sucht.
Doch nicht nur sie – als Lidia plötzlich bei Streich auftaucht, der am Tatort hoch brisante Unterlagen gefunden hat, weiß er, dass er und das Mädchen in Gefahr sind. Und auf einmal liest man einen astreinen Krimi mit allen Ingredienzen des Genres, Heimbach packt alles rein und bleibt doch immer ganz nah an seinen Figuren und der Topografie. Überhaupt sind ihm die Beschreibungen von Orten, Gebäuden, Strassen, Interieurs, Kleidung sehr gut gelungen, der Roman atmet geradezu die Zeit, in der er spielt, ohne jemals gefühlig oder nostalgisch zu werden. Bemerkenswert ist auch, dass relativ spät im Buch eine Figur, die bis dahin nur als Eckensteher an Alis Wasserhäuschen präsent war, in den Vordergrund tritt, die zudem vielleicht auch ein wenig mit dem Autor selbst zu tun hat: den Journalisten Broich, der wegen des Krieges ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hat und der mit Streich einen gefährlichen Deal eingeht.
Die Rote Hand ist ein auf vielen Ebenen überzeugendes Buch. Es zeigt eine wenig bekannte Episode der noch jungen BRD, es wagt sich auf das schwierige Terrain der Fremdenlegion, deren Hohelied Heimbach nicht singt, die er aber auch nicht dem Klischee von der unmoralischen Söldnertruppe überlassen will (das achtseitige Nachwort ist sehr erhellend und bietet reichlich Hintergründe). Durch seine kurzen Kapitel und seine knappen und treffenden Beschreibungen hat das Buch das Zeug dazu, eine klasse Vorlage für einen Film zu sein. Womit wir wieder bei Babylon Berlin sind, allerdings wäre das eher eine Indieproduktion, Charly Hübner als Arnolt Streich wäre eine glänzende Besetzung.
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