Große Lyrikerin mit positivem Weltbild
Die Dichterin Else Lasker-Schüler war die einzige Frau, die von Kurt Pinthus 1919 in seine expressionistische Lyriksammlung "Menschheitsdämmerung" aufgenommen wurde. Schon im Alter von vier Jahren soll sie Bücher gelesen und geschrieben haben.
Else Lasker-Schüler muss in einem so liebevollen und warmherzigen Elternhaus groß geworden sein, dass die Kindheit in ihrer Dichtung immer gleichbedeutend blieb mit einem paradiesischen Zustand. Als sie mit 25 Jahren den Arzt Jonathan Berthold Lasker heiratete, erwartete sie sich vielleicht ein ebenso glückliches Eheleben. "Aber ich fiel ins Haus und verletzte mir die Knie, die bluten seitdem", schrieb sie später über ihre kurze Zeit als Arztgattin. Mit 30 bekam sie ihren Sohn Paul, dessen Vater sie nie preisgab. Sie lebte nun ein Bohèmeleben in Berlin, das um die Jahrhundertwende ein aufregendes Künstlerdasein bot.
Judith Kuckart ist eine der heutigen Schriftstellerinnen, die vom Mut Lasker-Schülers fasziniert ist: "Sie gilt als Bohemienne, ungewöhnlich zwar, aber absolut unpolitisch, eine originelle Blüte ohne originäre Momente, sagen manche, eine jüdische Dichterin, eine ältliche Randerscheinung des Expressionismus?"
Gedichte gegen gesellschaftliche Konventionen
Else Lasker-Schüler gab sich und ihren Künstlerfreunden fantasievolle Namen, bei denen sie aus den Mythen der ganzen Welt schöpfte. Ihr zweiter Ehemann, den sie Herwarth Walden taufte, Franz Marc, Georg Trakl, Karl Kraus, Gottfried Benn - sie waren tatsächlich alle jünger als sie.
Man könnte sie, die sich Tino von Bagdad oder Prinz Jussuf von Theben nannte und gern in Pluderhosen und bunten Verkleidungen daherkam, als Hippie oder Punk avant la lettre beschreiben, aber das wäre doch zu kurz gegriffen. Nach unserem heutigen Verständnis war ihr selbstbewusster Kampf für die freie Entfaltung des Selbst, gegen jede gesellschaftliche Konvention, keineswegs unpolitisch. Sie trat auch für die Versöhnung von Judentum und Christentum ein.
Else Lasker Schüler: Expressionistin mit positivem Weltbild
"Was ich an ihr bewundere", schwärmt die Schriftstellerin Kerstin Preiwuß, "ist die Energie, die sie aus sich selbst herauszog, die Fähigkeit, sich eigene ganze Welten zu erfinden, und die Autarkie, zu tun und zu gestalten, was und wie sie es wollte."
Doch das 20. Jahrhundert brachte Krieg und Verfolgung. Die exzentrische Dichterin wurde von vielen angefeindet und verarmte zusehends, übernachtete manchmal auf Parkbänken und ernährte sich von Nüssen - und war doch immer hilfsbereit und voller überbordender Anteilnahme für ihre Freunde. Ob sie tatsächlich so viele Liebschaften hatte, wie ihre Lyrik das suggeriert, bleibt dahingestellt. Das Schwärmen gehörte zu ihrem positiven Weltbild.
Die rechtsnationale Presse bescheinigte ihr indessen "Gehirnerweichung", und 1933 floh sie nach Zürich. Von dort konnte sie mehrfach nach Palästina reisen, dank großzügiger Helfer, und 1939 blieb ihr nach dem Kriegsausbruch die Rückreise versperrt. Sie starb 1945 in Jerusalem. Nicht ein einziges Tondokument ist von Else Lasker-Schülers Stimme erhalten. Eine, die sie noch kennenlernen durfte in Israel, sagt über sie: "Sie wird heute oft rezitiert von Schauspielerinnen, und die sprechen ganz verhalten ihre Gedichte. Das ist aber ganz verkehrt, denn sie war eine Expressionistin und hat deutlich und laut gesagt, was sie meinte."
