Auf der Suche nach der Zeit

Für die Erforschung der Inneren Uhr gab es den Medizin-Nobelpreis. Am Sonntag schrauben wir dagegen wieder von außen an den Uhren, um sie auf die Winterzeit zu stellen. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann uns der soziale Jetlag einholt, meint Maximilian Moser. So nennen Chronobiologen wie er das Un-Verhältnis von der inneren zur äußeren Uhr des Menschen. Patricia Holland-Moritz hat sich in seinem Institut in Österreich auf die Suche nach der Zeit gemacht.

 

 

Prof. Dr. Maximilian Moser schreibt in seinem gleichnamigen Buch über den richtigen Umgang mit der Zeit. Betritt man sein Institut* im österreichischen Weiz, dann überkommt einen zuallererst einmal das Gefühl, dass es sich die Zeit hier ganz gemütlich gemacht hat. Hier wird sie nicht nur sinnvoll genutzt, man gibt sie auch den Dingen, die da gerade im Entstehen sind; man räumt sie den Ideen ein, die sich da gerade auf ihrem Weg zur Verwirklichung befinden.

Wie schafft man es tatsächlich, in einer Zeit wie dieser, völlig gegen den Trend an der eigenen inneren Uhr herumzuschrauben?

Bei der Suche nach dem Phänomen namens Zeit stoße ich hier auf die Auswirkungen dessen, was der Mensch aus seiner Zeit gemacht hat: Er hat sich mit Schichtdienst, Technik und einer 24/7-Erreichbarkeit in seiner eigenen Zeitverschiebung eingerichtet. Als Folge nimmt er die ganze Palette an Herz- und Kreislauferkrankungen in Kauf. Es sind viele Komponenten, die uns aus unserem natürlichen Rhythmus bringen. Da ist zum Beispiel das künstliche Licht. Wir halten uns fast ununterbrochen in Gebäuden auf. Das künstliche Licht ersetzt uns das natürliche, und im Gegensatz zu Sonne und Mond kennt es weder Aufgang noch Untergang. Wir schlafen durchschnittlich weniger als noch vor Jahrzehnten. Fernsehprogramme und Internet laufen rund um die Uhr. Das Wort „Sendeschluss“ wird nach Jahren der Verwahrlosung eines Tages aus dem Duden radiert werden. Die Nacht wird zum Arbeitstag, und der künstliche Wecker klingelt durchschnittlich drei Stunden vor dem natürlichen.

Nun ist es ganz sicher nicht Sinn der Übung – schon gar nicht für einen Wissenschaftler wie Maximilian Moser –, die technische Entwicklung aufhalten zu wollen. Mit „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ brachte Nietzsche auf den Punkt, worin eine große Chance zur Gesundung liegt. Aber wie schafft man es tatsächlich, in einer Zeit wie dieser, völlig gegen den Trend an der eigenen inneren Uhr herumzuschrauben? Sie gar wieder einzustellen? Und bestenfalls nach ihr zu leben?

 

Tag der offenen Tür im Human Research Institut
für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung. © Patricia Holland-Moritz

 

Es ist der Tag der Offenen Tür im Institut. Es ist der Tag für Professor Moser, für sein Team und für sein Thema. „Gesundheitskultur“ steht ganz oben auf der Agenda und damit die Frage nach den Möglichkeiten, Gesundheit tatsächlich zu kultivieren. Der Bürgermeister von Weiz und weitere Vertreter der Stadt sind gekommen. Und sie wollen Konkretes sehen, um zu erfahren, wie sich der Gedanke der Gesundheitskultivierung tatsächlich umsetzen ließe. Statt sich also im virtuellen Zeitfenster über Emails und Präsentationen zu verlieren, wählen die Gäste den direkten Weg ins Institut und dort an ein Messgerät, „ChronoCord“ genannt, das Herzschlagintervalle, Puls und viele andere Bio-Werte aufzeichnet und daraus schon mal mehr an Informationen über die Gesundheit und die persönlichen Rhythmen herausholt als jedes Arztgespräch es kann. Ein kleiner Kasten, der anzeigt, ob und wieweit der Körper sein Zeitgefühl verloren hat, aus der Balance geraten ist und seinem ursprünglichen Rhythmus hinterherhinkt.

Ich spüre, dass Zeit nicht vergeht, sondern in Rhythmen pulsiert, vom Herzschlag bis hin zum Wechsel von Tag und Nacht.

Ein Gesundheitsradar für die Bevölkerung schwebt dem Forscherteam vor, das zur Grundausstattung gehören soll für Altersheime, Schulen, Betriebe, Arztpraxen und Krankenhäuser. Ursprünglich für den Weltraum unter dem Namen „AustroMir-Projekt“ entwickelt, wurde das Messgerät bereits von einem österreichischen und vielen russischen Kosmonauten als Gesundheitsmesssystem angewandt.

 

© Franz Viehböck

 

Der „Heartman“ alias ChronoCord ® misst die Herzratenvariabilität und wird witzigerweise als „halb so groß wie eine Zigarettenschachtel“ beschrieben. Für diese Innovation Interessenten zu finden, ist Professor Mosers Anliegen an diesem Tag. Und was hat das alles mit meiner Suche nach der Zeit zu tun?

Alles, was die geordneten Rhythmen durcheinanderwirft, kann als Rhythmusräuber bezeichnet werden: Nacht- und Schichtarbeit, Zeitzonenflüge, Zeitstress, …

Ich lausche der Diskussion und höre in mich hinein, schaue aus dem Fenster auf die Sonne, die sich an diesem Maiabend allmählich von Gelb in Orange verfärbt und spüre, dass Zeit nicht vergeht, sondern in Rhythmen pulsiert, vom Herzschlag bis hin zum Wechsel von Tag und Nacht. „Seit Milliarden von Jahren tanzen Lebewesen im Rhythmus von Licht und Dunkel“, sagt Professor Moser.** „Alles, was die geordneten Rhythmen durcheinanderwirft, kann als Rhythmusräuber bezeichnet werden: Nacht- und Schichtarbeit, Zeitzonenflüge, Zeitstress, wenn ich immer hinter meinen Zeitvorgaben herhinke.“ Und die selbstverursachte Zeitumstellung zwischen Sommerzeit und Winterzeit? „Ein kleiner Jetlag“, erklärt Moser, „von dem wir wissen, dass nicht nur keine Energie eingespart wird, sondern sogar die Unfallzahlen und Herzinfarkte in den Tagen um die Zeitumstellung herum deutlich zunehmen.“*** Wie einfach wäre es, denke ich, der Zeit ihre Zeit zu geben?, und schaue dabei auf die Uhr, denn die letzten beiden Stunden sind geradezu verflogen.

Ich werde nicht zum Zug hetzen, denn in Graz wartet schließlich nur ein Hotelzimmer auf mich. Ich werde noch bleiben, werde mit den Kollegen im Institut sitzen, ein wenig reden und vor allem aber zuhören, dabei einen Happen essen und in Ruhe genießen, wie sich all das neu erworbene Wissen um die Zeit und um ihre heilende Wirkung in mir setzt wie der Satz im Kaffee, wenn man ihm Zeit lässt…

 

* Human Research Institut für Gesundheitstechnologie und Präventionsforschung

** Zitat aus einem Interview mit der Zeitschrift Naturarzt.

*** Zitat aus „Vom richtigen Umgang mit der Zeit“.


Das Buch 

Natürliche Rhythmusgeber wie Sonnenlicht, Nahrung und Schlaf sind maßgeblich für unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit, ja für unsere gesamte Entwicklung. Doch im Alltag kommen wir oftmals aus dem Takt. Jede menschliche Zelle besitzt eigene innere Uhren, die durch die Anforderungen des modernen Lebens immer häufiger falsch gehen. Um dies zu ändern, gibt der Chronobiologe Maximilian Moser Tipps und Übungen an die Hand, mit denen Sie Ihr Leben gesünder gestalten können. 

 

„Vom richtigen Umgang mit der Zeit“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage. 

 

Patricia Holland-Moritz

Patricia Holland-Moritz

Patricia Holland-Moritz ist Programmkoordinatorin bei Allegria. Sie ist überzeugt davon, dass es nicht schaden kann, den einen oder anderen spirituellen Gedanken im Leben zuzulassen und hin und wieder den Blick auf die eigene innere Uhr zu wagen.

Foto: © Michaela Philipzen

Maximilian Moser

Maximilian Moser

Univ.-Prof. Dr. Maximilian Moser, 1956 in Klagenfurt geboren, studierte an der Universität Graz Biologie und Medizin. Heute ist er als Chronobiologe an der Medizinischen Universität Graz tätig. Er leitet das Human Research Institut in Weiz, Österreich. In seiner langjährigen Forschungslaufbahn entwickelte er u.a. aus der Weltraummedizin neue Methoden zur Messung des vegetativen Nervensystems. Über von ihm geleitete Projekte haben internationale Medien, darunter der ORF, das ZDF, Nano, aber auch das Time Magazine und die London Times, berichtet. Seine Bücher wie „Das Geheimnis der Zirbe“ und „Die sanfte Medizin der Bäume“ sind erfolgreiche Longseller.
www.rhythm.at

Foto: © Martin Steinthaler - tinefoto.com

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