Garten ist immer auch der Garten des anderen

Zeig mir deinen Garten und ich sag dir, wer du bist! Der Roman „Garten, Baby!“ von Christine Zureich handelt von einer Gruppe Nachbarn, die sich der Pflege ihres Gemeinschaftsgartens widmen. Wie schwierig es sein kann, die unterschiedlichen Garten- und Weltauffassungen auf einer begrenzten Fläche unterzubringen, schildert die Autorin für uns anhand der Frühlingshäcks aus der Drübkestraße.

Wenn Gärtnern für den Einzelnen Selbstverwirklichung ist, werden in einem Gemeinschaftsgarten die unterschiedlichsten Selbst- und Weltbilder ins Beet gepflanzt.

Als ich noch in der Großstadt wohnte, begann ich aus Sehnsucht nach mehr Grün und aus Lust, etwas mit den eignen Händen zu schaffen (und sie dabei dreckig zu machen) mit dem Gemeinschaftsgärtnern. Wir hatten – wie Doro, Rob, Fred, Lore Dittrich und die anderen Protagonisten in meinem Roman „Garten, Baby!“ – ein bisschen Fläche vor unserem Mietshaus, dazu ein paar Quadratmeter im Hinterhof. Ein echter Luxus in der Stadt. Dennoch nicht annähernd genug Platz für unsere völlig unterschiedlichen Auffassungen davon, wie ein Garten auszusehen hat und wie er zu bestellen ist. Wenn Gärtnern für den Einzelnen Selbstverwirklichung ist, werden in einem Gemeinschaftsgarten die unterschiedlichsten Selbst- und Weltbilder ins Beet gepflanzt. Der eine hat übers Internet Samen für seltene Vintage-Tomaten besorgt, die andere eine Palette Stiefmütterchen aus dem Baumarkt. Gemüse oder Rasen. Ordnung oder Anarchie. Garten, das ist immer auch der Garten des anderen. Ganz schnell kann aus dem kleinen Paradies auf Erden umkämpftes Terrain werden.

In unserem Frankfurter Garten gab es gelegentliche Sommergewitter, kurze Perioden eisigen Schweigens und doch wurde jedes Jahr ein schönes Grün daraus – wenn auch nie eindeutig Kräuterwildnis oder Englischer Garten. Jeder, der an unserem Haus vorbeiging, konnte auf einen Blick sehen: Hier waren sehr unterschiedliche Gärtner am Werk! Aber immerhin: wir pflanzten, gossen und brachten etwas zum Wachsen. Grünzeug, natürlich, aber auch Verbindung zwischen uns. Verbundenheit. Im echten Leben, wie im Roman, finden Freundschaften in Beeten das ideale Substrat. Wobei die Saat nicht immer aufgeht. Nicht zwischen allen Gärtnern wächst Freundschaft, Verbindung aber auf jeden Fall. Und das ist schon viel besser als Vereinzelung. Ja so ist das: Wir glauben gerne, dass wir einen Garten kultivieren. Dabei kultiviert der Garten klammheimlich uns.

Wie schwierig es sein kann, die unterschiedlichsten Garten- und Weltauffassungen auf einer sehr begrenzten Fläche unterzubringen, davon erzählt mein Roman „Garten, Baby!“ Die Bewohner des Mietshauses in der fiktiven Drübkestraße, zu dem der Garten gehört, könnten gegensätzlicher kaum sein. Wie ein Blick auf ihre Garten-Häcks fürs kommende Frühjahr zeigt …

Doros Häck

Doro, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, ist Anfang Dreißig. Die Übersetzerin von Schwedenkrimis lebt mit ihrem Freund Rob im Dachgeschoss, und verlässt die Drübkestraße selten; sie findet genügend Glück und Drama in ihrem kleinen Biotop. Nur in den Zucchini-Wochen, wenn explosionsartig alle Zucchini auf einmal  erntereif werden, würde sie gern woanders wohnen. Zucchini-Frittata, Zucchini-Suppe, Zucchini-Relish, Zucchini-Kuchen. Doros Frühjahrs-Häck, um die Ernte- und Verarbeitungskrise an der Wurzel zu packen – Zucchini nie hinterm Haus pflanzen, immer gut sichtbar nach vorn raus zur Straße hin. Mit etwas Glück wachsen ihnen dann Beine. Bei den Feigen von dem Bäumchen neben der Haustür funktioniert das jedenfalls gut. Doro weiß genau, wer in der Nachbarschaft sich gern an den süßen Früchten bedient. Kleiner Krimi.

Robs Häck

Rob, Doros Freund, ist Architekt, zum Gärtnern bleibt ihm nicht viel Zeit. Aber im Frühjahr verbindet er seinen Faible für Konstruktives mit den Vorbereitungen fürs Gartenjahr: Er faltet Anzuchttöpfchen aus Klopapierrollen. Rolle halbieren, unten viermal einschneiden, die Laschen nach innen klappen – fertig.

Freds Häck

Fred, 45, Ex-GI aus Texas und Initiatior des Garten-Projekts, mag es pragmatisch. Er hat den Garten nicht, weil „Urban-Gardening“ hip ist; Doros und Robs bio/vegan Experimente belächelt er im Stillen bei einer Cola aus der Dose. Nur jetzt im Frühjahr trinkt er Cola aus Flaschen, weil sie aufgeschnitten ausgezeichnete Minigewächshäuser für empfindliche Setzlinge abgeben. Nur bitte nicht „Upcycling“ dazu sagen. Bei ideologischem Gärtnern sieht der sonst so gelassene Fred gern mal rot.

Lore Dittrichs’ Häck

Lore Dittrich, 82, Hausdrache und Diva der Drübkestraße 13. Ihr ist das Gemüse im Vorgarten ein steter Dorn im Auge. Sie toleriert den unsinnigen Wasserverbrauch fürs Tomatengießen nur, weil der Garten Freds Projekt ist und sie glaubt, die Frau seines Lebens zu sein. Lore glaubt auch an die Überlegenheit von Kunststoff über die Natur. Auf ihrem Sideboard befindet sich eine Kollektion verschiedener Perücken auf ihrem Balkon liegt Rollrasen. Absolut pflegeleicht, kein Gießen, kein Mähen. Menschen mit freier Hand und ohne lästiges Kollektiv im Rücken empfiehlt sie beim Gärtnern, die gesamte Fläche damit auszulegen; ansonsten findet sie getrimmten Buchsbaum und gepflegten Kies auch schön.

Sibels und Zeus’ Häcks

Für Sibel und Zeus, beide Anfang 30, Softwareentwickler, und On-and-off-Paar, ist Hacken was, das man am Rechner macht. Sie gehören zwar formal zum Gartenprojekt, gießen aber nicht mehr als zweimal pro Saison, und nur, weil die anderen sie sonst „nordeuropäisch passiv-aggressiv“ anfeinden, wenn sie zum Grillen und Chillen runterkommen. Im Hinterhof arbeitet Sibel am liebsten an der Teppichstange, ihr Gartengerät Nr. 1. Sibels Häck zur Tank-Top-Saison:  täglich 100 Pull-ups. Zeus arbeitet derzeit an einer Virtual-Reality-Version des Gartens mit Datenbrille. Dann erledigt sich auch das Hacken. Häcken. Was auch immer.

Merles Häck

Merle, 26, alleinerziehende Mutter von Arnold, hat keine Zeit zum Gärtnern – und keinen Mann, der ihr den Müll oder im Januar den Weihnachtsbaum herunter trägt. Merles Häck: aus der Not eine Tugend machen, die Tanne zur Begrünung des Balkons einfach stehen lassen.  Nach dem Fest ist vor dem Fest. Denn wenn es eins gibt, was man vom Garten lernt, dann dass auf den Winter der Frühling folgt, auf den Frühling der Sommer, auf den Sommer der Herbst und auf den Herbst der Winter und dann wieder von vorn an. Neue Runde, alter Baum (über das Nadeln macht Merle sich nächsten Monat erst Gedanken.)


Das Buch

Doro und ihr Freund Rob haben, wovon andere träumen: ein Stück Natur mitten in der Großstadt. Dass die beiden Mittdreißiger im Hinterhof ihres Mietshauses Zucchini ernten können, verdanken sie Fred, Texaner, Ex-GI, leidenschaftlicher Hobbygärtner. Alle Hausbewohner sind Teil seines Projekts. Es wird geliebt und gestritten in der Drübkestraße 13, jemand stirbt und ein neuer Mieter zieht ein, es gibt einen Ehekrach und einen kuriosen Fund zwischen den Rosen, und auch Cousine Pippa aus Berlin kommt zu Besuch und erklärt, warum der Stadtgarten kein »Urban Garden« ist (zu ordentlich und »nicht vertikal genug«).

So unterschiedlich die Hausbewohner sind, in ihrem Garten fühlen sie sich mit der Natur und miteinander verbunden, ihr »Urban Garden«-Manifest passt in einen einzigen Satz: Wachsen und wachsen lassen.

„Garten, Baby!“ auf den Seiten der Ullstein Buchverlage.

Die Buchpremiere findet am 9. März in Konstanz statt. Alle weiteren Veranstaltungen mit Christine Zureicht finden Sie hier

 

Christine Zureich

Christine Zureich

Christine Zureich, 1972 in Suffern, New York, geboren, wuchs am Bodensee auf. Sie arbeitete als Übersetzerin, Sprachtrainerin und Museumspädagogin in Frankfurt am Main. Heute lebt Christine Zureich mit Mann und Kind am Bodensee. Garten, Baby! ist ihr erster Roman.

Foto: © Patrick Pfeiffer

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