Archiv des Themenkreises ›F-Zeitung‹


Niklas Maak und Werner Spies (und Baudelaire)

Dresden, 10. Dezember 2008, 08:02 | von Paco

Immer noch in Dresden. Schon seit Donnerstag (4. 12.), weil es da im Lipsiusbau eine Sternstunde des Feuilletons gab: Niklas Maak unterhielt sich mit Werner Spies, offiziell über dessen 10-bändige Werkausgabe »Auge und Wort«. Vor Ort ging es aber gar nicht um die Bände, stattdessen wurde es ein Anekdotenspektakel, bei dem glücklicherweise Publikum zugelassen war.

Maak kam etwas später, Stau auf der Autobahn, ein Kleinlaster sei umgekippt, offenbar genau der, der die erste Ladung Backsteine für das Berliner Stadtschloss bringen sollte. Vielleicht ist das ganze Schloss-Projekt also doch wieder gefährdet, hehe.

Das Gute an dem Gespräch war, dass es eben nicht um Frage und Antwort ging. Sie hauten sich die Taschen voll, im allerherr­lichsten Sinn. Spies hatte von Begegnungen mit Picasso erzählt, als Parallelaktion sprach dann Maak noch einmal über seinen Besuch bei Cy Twombly in dessen Festung aus mehreren zusammen­gewachsenen Häusern über der Küstenstadt Gaeta. Vor knapp 4 Jahren hatte er dieses Ereignis bereits schriftlich für die FAS rekapituliert (23. 1. 2005), damals allerdings noch in der unpersönlichen »wir«-Form. Die Nacherzählung legendärer Feuilleton-Artikel durch den Autor selbst ist ganz sicher der nächste große Erschließungskomplex im Zuge der aktuellen Blog-/Vlog-Offensive der FAZ.

Was sonst noch geschah:

Spies über Kahnweiler, der ihn immer vor Max Ernst gewarnt hatte.

Spies über den alten Picasso, der mal einen Kreis für ihn malte, als Beweis seiner Zurechnungsfähigkeit.

Spies über Breton & Co. und wie sie Sigmund Freud falsch verstanden.

Spies über Beckett, wie dieser einmal am Hölderlinturm Hölderlin rezitierte (die Köpfe des Publikums legten sich träumerisch schräg).

Spies über das hinter ihm hängende Gursky-Foto, das er mit Altdorfers »Alexanderschlacht« verglich, sicher die bleibendste Aussage an diesem Abend.

Und dann bezeichneten sich beide noch gegenseitig als Lieblingskollegen bei der FAZ, so also ist das.

Ich torkelte mit Millek aus dem steinsichtigen Kellergewölbe, und noch völlig frankophilisiert feierten wir, kitschig wie der rezitierende Beckett am Hölderlinturm, mit völlig unhaltbaren Argumenten verschiedene Baudelaire-Phrasen, bis sie uns zum Halse rauskamen.

Auf einmal wurde uns klar, was für ein schlechter Dichter Baudelaire doch war, zum Beispiel die Idee, Albatrosse als »vastes oiseaux de mer« zu bezeichnen. Was sollen denn »vastes oiseaux« sein? Warum nicht einfach »grands«? Ein missglückter Poetisierungs­versuch par excellence. Und so ging es weiter.

Das fiel mir gerade wieder ein, und es war natürlich grober Unsinn, was wir da zum Thema aufgeblasene Lyrik verbrochen haben. Natürlich ersetzt Baudelaire nicht »grands« durch »vastes«, sondern verschiebt das normalerweise auf »mer« bezogene Attribut und bezieht es auf »oiseaux«. Die »mer« ist mächtig »vaste«, ergo sind es auch die Vögel.

Überhaupt ist die französische »mer« im Allgemeinen dergestalt »vaste«, dass der französische Strindberg-Übersetzer es für nötig gehalten hat, den eher schlichten Titel »I Havsbandet« mit »Au bord de la vaste mer« zu übertragen. Es ist schließlich nicht von irgendeiner Pfütze die Rede, sondern von der vâââste mer.

Ob das abgedroschene Bild bei Baudelaire durch die Erkenntnis des selber auch reichlich abgedroschenen Tricks irgend besser wird, keine Ahnung. Wäre vielleicht eine gute Publikumsfrage für Werner Spies gewesen. Stattdessen hatte nämlich ein beschwingter Heimatmensch lieber gefragt: »Herr Spies, wie sehen Sie Dresden heute?«

Usw.


Journalistische Interpunktion:
Kleist-Sätze und Satz-Kleister

Konstanz, 22. November 2008, 10:01 | von Marcuccio

Ein seit jeher praktischer RSS-Feed ist ja der so genannte »Blick in die Zeitschriften«. Neulich (FAZ vom 4. 11.) blickte Thomas Gross da in die Zeitschrift »Deutsche Sprache«, seine Überschrift:

Lesernähe. Durch Brüche!
Das sogenannte »parataktische« Schreiben nimmt zu.

Ich als Aficionado aller Leser-Blatt-Bindungen natürlich sofort angeteast … Mein Leserbriefgedächtnis schlug ein paar Purzelbäume, und dann war er wieder da, der legendäre Leserbrief »zur Grammatik in der FAS« (26. 6. 2005):

»Es fällt mir unangenehm auf. Daß in mehr und mehr Artikeln. Auch Ihres Blattes. Keine korrekten Sätze. Stehen, mit Subjekt, Prädikat, Objekt. Sondern Punkte. Regellos gesetzt werden. Ein Kniefall. Vor der Reklamesprache. Jetzt aber. Punkt!«

Keine Ahnung, ob Britt-Marie Schuster dieses formvollendete Traktat kannte. Auf jeden Fall hat sie – und darauf wies Gross‘ FAZ-Artikel hin – eben diese interessante Studie verfasst: Sie hat am Bsp. von »Spiegel«, »Zeit« & »stern« mal lingistisch untersucht, was Printjournalisten so alles anstellen, um Nebensätze zu vermeiden. Die gliedern ihre Sätze nämlich anders als früher, zum Beispiel so:

»Sie hat es geschafft, doch noch: Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland – die erste Frau, die nach oben durchgekommen ist.« (stern 48/2006, S. 29)

Die Interpunktion (»:«, »–«) übernimmt den Part, Satzteile zusammenzuhalten ohne sie syntaktisch unterzuordnen. Sie funktioniert also wie ein Nebensatz-Vermeidungsmechanismus, ein Satzkleister, der syntaktische Abhängigkeiten durch Gedanken­striche, Doppelpunkte usw. nivelliert. Für Gross haben die so instrumentalisierten Satzzeichen aber auch noch eine andere Wirkung:

»Sie rhythmisieren, heben etwas hervor, beziehen es auf ungewohnte Art auf andere Satzglieder und unterstützen den Dialog mit dem Leser, den der Text eröffnet.«

In diesem Sinne hat auch Gross alles richtig gemacht. Er eröffnete seinen FAZ-Beitrag nämlich gleich mal mit einem Zitat von Kleist (»Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik«):

»Auf die Antwort der jungen Klosterschwester: ja! sie erinnere sich davon gehört zu haben, und es pflege seitdem, wenn man es nicht brauche, im Zimmer der hochwürdigsten Frau zu liegen: stand, lebhaft erschüttert, die Frau auf, und stellte sich, von mancherlei Gedanken durchkreuzt, vor den Pult.«

Und hier ist exzessive Interpunktion natürlich nichts anderes als jener Kunstgriff, der Kleists Prosa so herrlich dramatisiert. Mit ihrer Dynamisierung von Schriftsprache haben Kleist-Sätze und moderne Medientexte mehr gemeinsam als man gemeinhin denkt.


Thomas Buddenbrook zur Finanzkrise:
»Wenn alles schon wieder abwärts geht …«

Konstanz, 30. Oktober 2008, 22:31 | von Marcuccio

20 Jahre später als Daniel Kehlmann lese ich dann auch endlich mal die »Buddenbrooks«, halb inspiriert von Kehlmanns Rede, halb getrieben von Panik, den Buddenbrooks womöglich alsbald unvorbereitet im deutschen Fernsehfilm-Kino zu begegnen.

Und es ist jetzt natürlich Zufall (oder doch Fügung? nein, einfach nur banal!), dass ich just heute auf Seite 431 angelangt bin: Das ist gut die Mitte in der Fischer-Taschenbuchausgabe von November 1996 (812.-836. Tausend) und zugleich der Punkt, wo Tom Buddenbrook eigentlich alles hat: einen Stammhalter, einen Posten im Senat, ein neues Haus. Allein …

»Ich weiß, daß oft die äußeren, sichtbarlichen und greifbaren Zeichen und Symbole des Glückes und Aufstieges erst erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt …«

Was Tom da zu seiner Schwester Tony sagt, lässt nicht nur weiter großepische Niedergangsdiagnostik (»Verfall einer Familie«) erwarten. Es liest sich irgendwie auch wie eine Miszelle zu den rekordniedrigen Arbeitslosenzahlen inmitten der globalen Finanzkrise.


»Die Messe ist gelesen«

Konstanz, 20. Oktober 2008, 21:50 | von Marcuccio

Was für eine naheliegende, nichtsdestotrotz geile FAS-Headline für den Sonntag gestern, und für eine SONNTAGszeitung überhaupt.

Ich bin jetzt auch durch die FAS-Lit-Beilage vom vorletzten Wochenende: Tobias Rüthers Text zur JoachimKaiser-Biografie – voller Einlassungen und Anekdoten: Rainald Goetz, der leider nie zum Vorstellungsgespräch kam …

Meine Lieblingsstelle in der »Suada«: die Frage, wo Juli Zeh eigentlich steckt und die Mutmaßung:

»Bestimmt arbeitet sie zur Stunde an einem diesmal etwas ausführlicheren Essay über die Wirtschaftskrise und darüber, was speziell ihre Generation jetzt dagegen tun muss.«

Mäßig eigentlich nur Dirk Schümer, von dem ich ja sonst gern lese, aber vielleicht doch lieber über Slowfood- und andere italienische Themen als über deutsche Nachkriegsliteratur.

Übrigens, die »Teenage«-Besprechung in der Beilage der werktäglichen FAZ ist mit einem Bild von Franz Marc illustriert, witzigerweise musste ich sofort an Austins Diktum denken, über das Paco und ich uns im Kunsthaus Zürich unterhielten: Franz Marc ist der Deko-Maler fürs Mädchenzimmer.

Die FAZ-Rezensionen sind immer vollkornig, d. h. man kann die echt nur stückweise zu sich nehmen, wird dafür aber ausnahmslos nahrhaft versorgt und nicht so wischi-waschi-softi wie zuletzt vom neuen ZEIT-Literatur-Magazin, in dem man das Meiste vergessen kann und den Rest auch – bis auf Ursula März‘ Homestory bei Ruth Klüger.

Laut Dirk Knipphals (»buchmessern«) wird da hinter den Kulissen wohl noch um die Ausrichtung gerungen (Greiner vs. Illies).

Überhaupt ist ja ein ziemlicher Trend zur Ausdifferenzierung zu erkennen. Die FAZ macht jetzt sogar eine extra Buchmessenzeitung (!), mit People-Kram und Pics wie in der »Bunten« (schon gesichtet? Jürgen Dollase: in PDF Nr. 5, S. 12).

Insofern hoffe ich wirklich, dass die klassischen Rezensionsfriedhöfe noch viele Jahre weiter leben, weil die eben auch wirklich ein Service sind und das Saisonpanorama bieten.

Ende der Durchsage bzw. um zum Titel zurückzukommen: Amen.


Wie die FR das FAZ-Titelbilder-Voting erfand

Konstanz, 19. Oktober 2008, 20:12 | von Marcuccio

–Auch schon gevotet?
–Nee.
–Aber schon gehört?!
–Was?
–Na, wovon die halbe Halbwelt flüstert …
–???
–Von dem FAZ-Titelbilder-Voting, das ja eigentlich die FR erfunden hat. Genauer gesagt Arno Widmann, als er am 12. Juli diese Hymne anstimmte:

Das Foto ist inzwischen meistens völlig unerwartet und die Bildunterschrift klärt dieses Überraschungsmoment nicht flugs auf, »um die Leser« – wie es auf Journalistenschulen heißt – »abzuholen«, sondern spielt mit ihm, treibt es weiter bis zur Selbstpersiflage.

Tatsächlich ist das Seite-1-Foto der F-Zeitung nur selten ein klassisches Nachrichtenbild (dann ohne Strich direkt an den Aufmacher-Artikel gekittet). Meistens bildet das Titelbild eine Nische für sich, vom informationsjournalistischen Nachrichten-Rest durch einen mitteldicken Strich getrennt. Gedeiht hier also so was wie ein neues Feuilleton über dem Strich? Wenn man Widmann glauben darf, schon:

Man lese den von durchtriebenster Jean Paulscher Umständlichkeit inspirierten FAZ-Zehnzeiler, der gestern unter dem Foto von Seite eins stand: »›Unterteuft‹ nannte Thomas Mann die Tiefenschichten deutscher Geschichte und Politik (im ›Doktor Faustus‹), ein Wort aus dem Bergbau, wo Schächte nicht einfach gebohrt, sondern abgeteuft werden. Das Wort hat aber auch etwas von Taufe und Teufel in sich, weshalb es zu weitreichenden Betrachtungen über die unterschwellige Religion mancher Politik taugen könnte (zum Beispiel in der Atompolitik). Unser Bild zeigt eine Nische im Endlager Schacht Konrad mit der heiligen Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute.«

Ein Klick ins Titelbilder-Mosaik und schon ist Widmanns Lieblingsnische (2. von links, 2. von unten) zu entdecken. »Auf sie soll’s tausend Preise regnen«, sagt Widmann, der seinerseits aber auch einen Preis verdient hat, für seine FAZ-Foto-Love-Story.


Zum Relaunch-Jahrestag der FAZ:
Welche Lesertypen sich bei Relaunchs outen

Konstanz, 5. Oktober 2008, 14:10 | von Marcuccio

[ Inhalt: Prolog1. Der Abbesteller2. Der Gratulant3. Der Betrogene4. Der Buchhalter5. Der Beschwerdeopportunist
6. Der Intimitätenausplauderer7. Der Zurückgebliebene
8. Der Co-Referent9. Der Markenleser10. Der Mythenfortschreiber ]

Prolog

Die einen wurden, so wie Paco & Co. in Madrid, böse überrascht. Die anderen versuchten, den Teufel noch in letzter Minute auszutreiben. Tatsächlich bedeutet so ein Relaunch wie derjenige der FAZ am 5. Oktober 2007 ja viel mehr als eine rein kosmetische Operation: Er ist der Moment der Katharsis jeder Leser-Blatt-Bindung und scheint überhaupt eines der letzten Exklusiv-Events zu sein, die das Printmedium zu bieten hat (nachdem es die Nachrichten als solche ja schon lange nicht mehr sind und echte Scoops auch nur halb so oft vorkommen wie wir Feuilletonjunkies gern behaupten).

Mediensoziologen sollten dringend mal sämtliche Leserreaktionen von allen Layoutreformen der letzten Jahre einsammeln und in einen Sammelband packen. Heraus käme ein ganz wunderbarer Reader über parasoziale Beziehungen voller Marotten und Spleens.

Das Schattenwesen ›Zeitungsleser‹: Es war nach dem Generallifting der FAZ vor einem Jahr genauso zu besichtigen wie bei der NZZ Anfang 2006 – nämlich sonderseitenweise – und hat auf jeden Fall das Zeug zur Typologie. Nirgends sonst lernt man seine Mitleser, aber womöglich auch sich selbst besser kennen wie nach Layout-Reformen seiner Zeitung.

(Alle Zitate stammen aus Leserbriefen der NZZ (26. 1. 2006), FAZ (10. und 13. 10. 2007) sowie den Kommentarsträngen zu Beiträgen des Fontblogs und des Antibuerokratieteams.)

1. Der Abbesteller

»Ich habe mein langjähriges Abonnement noch am selben Tag gekündigt.« Das ist und bleibt verdammt noch mal die aktivste Form, auf einen Relaunch zu reagieren. Deswegen ist der Abbesteller auch der eigentliche Actionheld aller Leser: wie die ganze Abbesteller-Szene längst ein Mythos, der von der Markenstrategie jeder mittelguten Zeitung denn auch ordentlich gepflegt wird. Oder wie sonst soll man es erklären, wenn Tobias Trevisan, Geschäftsführer der FAZ, von »rund 200« Abo-Kündigungen infolge der Layoutreform spricht?

Es irrt, wer glaubt, der Abbesteller kenne nur eine Handlung und Haltung. Der Abbesteller kann viel mehr als abbestellen: Er kann auch bloß vorhaben oder androhen, Abbesteller zu werden (»will ich dann nicht mehr abonnieren«) und er muss noch nicht mal Abonnent sein, um Abbesteller zu spielen:

»Ich sage es Ihnen ganz klar: Ich kaufe die F.A.Z. vorerst nicht mehr. Vielleicht hilft Ihnen mein bescheidener Protest als Korrektiv zu Ihrer zweifelhaften Umfrage, deren Ergebnisse zum ›Souverän‹ zu stilisieren Sie nicht müde werden.«

Der Abbesteller scheint stets aktiv und souverän. Dabei vergisst er, dass es ihn auch im Passiv geben kann. So ist sein natürlicher Feind der Leser, der sich im Relaunch-Graben mit der Zeitung verbündet und fordert: »Entziehen Sie den Nörglern das Abonnement!«

2. Der Gratulant

… ist mindestens so schnell aber eben nur halb so cool wie der Abbesteller. Alles Neue eines Relaunchs einfach gut finden kann auch ein FAZ-Leser. Die auffälligsten unter den Gratulanten sind die älteren Semester, die alle Neuerungen schon allein deswegen gut finden, weil sie um Himmels willen nicht als traditionalistisch und konservativ rüberkommen wollen. Besondere Kennzeichen: das explizite oder implizite »zwar … aber«:

»Gut gelungen, modern, attraktiv. Gratulation. Bin zwar schon 77 Jahre alt, aber für Neues noch immer aufgeschlossen.«

Besonders viele Gratulanten hatte übrigens die NZZ nach ihrem Relaunch vor knapp 3 Jahren. Was wir daraus für Schlüsse auf das Durchschnittsalter der Leserschaft der alten Tante schließen dürfen?

3. Der Betrogene

… definiert seine eigene Leser-Blatt-Bindung wie eine langjährige Beziehung und ist, zumindest was seinen Printmedienkonsum anbelangt (Radio, TV und Netz konsumiert man ja insgesamt promisker), streng monogam.

Umso mehr fühlt sich ein unerwarteter Relaunch seiner Zeitung für ihn ungefähr so an, als ob er seine bessere Frühstückshälfte in flagranti beim Fremdgehen erwischt: Da sieht die neue FAZ dann plötzlich so aus wie die alte FR, erinnert die Schreibung der Ressortnamen in Großbuchstaben unvermittelt an das Layout der NZZ. Kurzum: Der Betrogene erkennt sich in seiner eigenen Umblätter-Beziehung nicht mehr wieder.

Es gibt Betrogene, die versuchen, schon im Vorfeld auf den Betrug, den der Relaunch ihnen bescheren wird, vorbereitet zu sein. Sie haben extra einen Beziehungsratgeber gelesen und gelernt, auch in Extremsituationen verständnisvoll zu sein. Für sie geht die Zeitung, nur weil sie sich optisch verändert, noch lange nicht fremd.

»Als langjähriger F.A.Z.-Leser finde ich mich plötzlich in der Rolle eines treuen Ehemannes wieder, dessen Ehefrau gerade frisch vom Friseur kommt. Irritiert, und doch zugleich angenehm überrascht nehme ich Kenntnis von ihrem neuen Outfit.

Auch einen neuen Rock hat sie sich zugelegt. ›Gut siehst du aus‹, sage ich, auch um mich selbst zu überzeugen und meine zögerliche Haltung zu übertönen. Doch, doch, ich freue mich, dass sie sich schick macht. Schließlich tut sie’s ja für mich. Die Hauptsache ist freilich, dass in der Verpackung immer noch die Frau steckt, die ich kenne. Eine Ehe lebt mit wachsender Dauer davon, dass man dem, mit dem man sein Leben teilt, vertrauen kann. Aber auch von der Offenheit beider Partner, sich mit der Zeit weiterzuentwickeln und nicht ewig auf dem gleichen Punkt zu verharren. Zumindest hat das die Beziehung zwischen zwei Menschen mit der eines Lesers zu seiner Zeitung gemein.«

Eine andere Betrogene dachte eigentlich immer, sie führe eine offene Beziehung. Das Äußerliche, die visuelle Anmutung ihrer Zeitung schien ihr (gegenüber dem intellektuellen Gehalt) im Grunde gar nicht so wichtig. Bis zum Tag X: »Ich hätte selbst nicht vermutet, dass ich so emotional auf formale Aspekte reagieren würde, aber wenn man sich über viele Jahre an das Besondere (inhaltlich und eben auch gestalterisch) der F.A.Z. gewöhnt hatte, ist es ein ziemlicher Schlag.«

4. Der Buchhalter

Der Buchhalter führt genau Protokoll über alle Kränkungen, die seine Zeitung ihm und anderen Lesern zufügt. Er ist ein Pedant, der auch und gerade beim jüngsten Relaunch immer sämtliche Daten der Relaunchs aus früheren Jahren parat hat.

»Schon beim Übergang zu den Farbfotos machte sich hochqualifi­zierter Protest bemerkbar in den Leserbriefen vom 14. Februar 2003. Die Farbe Rot in verschiedenen Anwendungen löste dann eine weitere kritische Welle aus in den Leserbriefen vom 9. Dezember 2005 und 22. Dezember 2005. In den veröffentlichen Zuschriften ist damals mit großem Sachverstand und viel Herzblut das Nötige vorgetragen worden. Es war eine Zweidrittel- bis Dreiviertel­mehrheit aller Stellungnahmen. Bewirkt hat sie nichts.«

Warum der Buchhalter all diese Zeugnisse sammelt und ob er sie eventuell noch als Zeugenaussagen braucht, weiß man nicht so genau. Entweder er plant noch ein rückwirkendes Leser-Plebiszit, oder aber er führt für die Zeit seines Ruhestands eine Sammelklage im Schilde: Rückerstattung der Abo-Gebühren oder – wenn das nichts nützt – Schmerzensgeld. Im Grunde ist der Buchhalter ein besonders armer Hund: einer, den es eigentlich volle Breitseite emotional erwischt, der aber mit seinen Emotionen trotzdem nicht umgehen kann. Selbst das Schlussmachen gerät ihm zum formal-bürokratischen Akt: Und deswegen »… beende ich die jahrzehntelange Liebe zu dieser Zeitung bereits jetzt.«

5. Der Beschwerdeopportunist

… hat sowieso schon lange »feststellen müssen, dass die Qualität nachgelassen hat«. Aber im Grunde wird er vor allem jetzt »das dumpfe Gefühl eines Qualitätsverlustes nicht los«, denn jetzt ist Beschwerdezeit. Indiskretion Ehrensache hat dieses Prinzip in seinem schönen Münsteraner Brunnengleichnis zusammengefasst: In Münster wurde ein seit Jahren friedlich plätschernder Brunnen erst in dem Moment wahrgenommen, als man eine Skulptur drumherum baute. Ähnliches gilt für die Stellvertreterkritik am Layout, die eigentlich den Inhalt meint:

»Erst durch den Relaunch scheinen sich einige Leser Gedanken über die Zeitung zu machen, die sie seit Jahren lesen.«

Ein Relaunch ist so gesehen nichts anderes als der Elternsprechtag in der Schule oder das Stadtteilgespräch mit dem OB, ein formal organisierter Anlass zur Aussprache und Beschwerde.

Mancher Beschwerdeführer läuft dabei richtig zur Hochform auf und spinnt das Szenario gleich schon mal weiter. Science-Fiction für uns Leserbriefleser sozusagen:

»In zehn Jahren wird der ›Wandel der Lesegewohnheiten‹ zur F.A.Z. im Tabloid-Format mit noch größeren Farbanteilen und hundert Seiten Umfang geführt haben.«

6. Der Intimitätenausplauderer

Ähnlich wie der Beschwerdeopportunist hat auch der Intimitätenausplauderer eigentlich nur auf die Gelegenheit gewartet, sich mal mitteilen zu können – allerdings vor allem in eigener Sache.

Der Intimitätenausplauderer kann zum neuen Layout niemals nur gratulieren, er tut dies zum Beispiel als »Ihr treuester ostdeutscher Leser (seit 17 Jahren)«. Richtig so: Da wohnt der Typ also in Leipzig und will auch einmal Anerkennung (und sei es nur Leserbrieföffentlichkeit) dafür, dass er seine innere Einheit mit seinem damals extra bestellten Abo der Zeitung für Deutschland jetzt auch schon fast zur Volljährigkeit gebracht hat.

Mitteilen kann man – bzw. frau – sich aber auch, indem man seine Lebensgeschichte erzählt …

»Ich bin eines der selten gewordenen Kinder, die tatsächlich mit der täglichen Zeitungslektüre, sowohl der eigenen als auch der der Eltern, aufgewachsen sind.«

… seine aktuelle Lebenssituation schildert …

»Ich darf Ihnen mitteilen, dass mein Freund und ich, seit wir in unsere Studentenwohnung gezogen sind, Ihre Zeitung abonniert haben. Mein Freund, der von seinen Eltern eine andere Zeitung kannte, empfindet die Lektüre der F.A.Z. mittlerweile ebenfalls als Bereicherung.«

… oder seine Lesegewohnheiten. Hier wird es schon wieder ganz interessant, vor allem da, wo es Schnittmengen zum eigenen Verhalten gibt:

»Ich lese die F.A.Z. auch an Tagen, an denen ich wenig Zeit habe. (…) Wenn mich ein Text besonders interessiert, so hebe ich ihn für das Wochenende auf.«

Die letzten drei Zitate übrigens von ein- und derselben Leserbriefschreiberin. Übel spielt das Schicksal auch jenen mit, die eine Layoutreform als erhebliche Störung ihrer rituellen Lesepraktiken empfinden:

»Jede Ausgabe wird von mir mit der großen Papierschere zerschnitten nach interessanten Beiträgen, die ich an befreundete Menschen, aber auch an meine Kinder verschicke. Die Quellenangabe F.A.Z. konnte ich mir oft sparen, denn die Empfänger erkannten schon an der Aufmachung, aus welcher Zeitung der Beitrag stammte. Das ist nun vorbei (…).«

Wer weiß, wie viele Verwandte und Freunde jetzt nur deswegen keine Post kriegen, weil der Herr keine Lust mehr hat, extra überall FAZ dazuzuschreiben. Solange die Leute noch nicht erzählen, wie der Fischhändler heißt, der seine Fische mit ihrer alten Zeitung …

7. Der Zurückgebliebene

… ist der tragischste aller Lesertypen, die sich nach einem Relaunch outen. Er kriegt wohl weiter mit, dass es mal wieder – schon wieder – Veränderungen im Blatt gab, doch in Wahrheit leckt er immer noch seine Wunden vom vorletzten und vorvorletzten Relaunch. Seine Meinung zur aktuellen Layoutreform äußert er nur, um die Erinnerung wach zu halten. »Vor einigen Jahren hatten Sie freitags die Spalte für den Philatelisten. Ich vermisse sie immer noch.«

Zum Loser in den Leserbriefspalten wird der Zurückgebliebene vor allem neben dem Gratulant, der fragt: »Wann kommt der nächste Schritt?«

8. Der Co-Referent

… scheint auf den ersten Blick emotionslos, weil er nach dem Relaunch nicht zürnt, nicht lamentiert, nicht leidet. Seine Leidenschaft gilt den überzeitlichen Dimensionen: Wie wäre es zum Beispiel mit einem Nachruf auf die Fraktur?

»Am 6. Oktober 2007 endete ein halbes Jahrtausend der ›Zweischriftigkeit‹, das heißt der Konkurrenz der gebrochenen Schriften aus Mittelalter und der römischen Antiqua, welche die Humanisten zu neuem Leben erweckten. Während in den Nachbarländern die sogenannten gotischen Schreib- und Druckschriften mit ihren eckigen, spitzen, verzierten Buchstaben bald außer Brauch gerieten, blieben sie im deutschen Sprachgebiet für alle deutschen Texte bewahrt, die Antiqua war lateinischen und anderen fremdsprachigen Texten vorbehalten und kurioserweise allen Fremdwörtern, die auf diese Weise – mitten im Fraktur-Fließtext – als Ausländer markiert würden.«

Wer sich für den ganzen Vortrag interessiert – in dem es u. a. noch um Friedrich den Großen, der »als frankophoner Literat die Antiqua bevorzugte«, eine Reichstagsdebatte 1911 und den Führererlass zur Fraktur 1941 geht – sollte bei eBay dringend eine FAZ vom 13. Oktober ersteigern oder sich direkt an Prof. Dr. Horst Haider Munske aus Erlangen wenden.

9. Der Markenleser

Der Markenleser schätzt seine Zeitung wie den Manufactum-Katalog. Es gibt sie noch, die gute alte Fraktur, die Titelseite ohne Bild, die Linien zwischen den Spalten. Der Markenleser ist also ein Leser, der sich ganz bewusst entschieden hat. Er ist bzw. war stolz, »eine Zeitung zu lesen, die es nicht mit den Boulevardzeitungen hielt, nämlich eine Verkaufsaufmache für Analphabeten zu gestalten«.

Vom Relaunch wird er aufgescheucht wie ein Stück Wild. Es gefällt ihm ganz und gar nicht, »im Einerlei des Blätterwaldes keine Zuflucht mehr zu haben«, und er wünscht sich nichts sehnlicher zurück als seine alte Schutzzone: »Warum muss die F.A.Z. die Leser mit Bildern auf der Titelseite behelligen, wo wir doch Tausende Bilder täglich auf uns einwirken sehen?«

Als aufgeklärter Leser hat natürlich auch der Markenleser verstanden, dass Relaunchs heute zur Marketingstrategie dazugehören. Also versucht er, auf dieser Ebene zu argumentieren:

»Ich wünsche mir sehr, dass Sie zu Ihrem bisherigen Layout zurückkehren, ich betrachte es nicht zuletzt auch als einen betriebswirtschaftlichen Wert, eine Unique Selling Proposition.«

Aber im Grunde seines Herzens überwiegt die Enttäuschung:

»Es bleibt mir auf der ganzen Linie unerklärlich, wie eine Zeitung wie die Ihrige auf die Idee verfallen kann, ein weltweit einzigartiges Markenzeichen – Titelseite ohne Foto – (…) einfach aus der Hand zu geben.«

Vielleicht muss sich aber mal wieder ein Christian Kracht für ein neues Bilderverbot stark machen, um die Leser-Blatt-Bindung zu reaktivieren?

10. Der Mythenfortschreiber

Was den Mythenfortschreiber von allen anderen Leserreaktionen abhebt, ist sein Gespür für das, was geht und kommt und bleibt. Schon im Vorfeld kann er den Relaunch, so wie Kommentator Bernie, kaum erwarten:

»Als Abonnent freue ich mich schon seit Tagen darauf! Die Leserbriefspalten waren zuletzt so lustig, als sie die neue Rechtschreibung eingeführt haben. Erst in den FAZ-Leserbriefen erfährt man, was das Abendland wirklich ausmacht (und wie bald es untergehen wird).«

Der Mythenfortschreiber tut so, als ob er klein-klein über Typo-Fragen fachsimpelt, so wie die Jungs vom Antibuerokratieteam oder die Fontblogger. In Wahrheit schreibt er die alten großen Erzählungen unserer Feuilletonväter fort: Dinge wie die »Prantelei« der S-Zeitung oder die Farbenlehre der »Zeitung für Deutschland«. Schwarz die Politik, rot das Feuilleton, gold (gelb) der Wirtschaftsteil. Es gibt Hunderte solcher Geschichten, bei Relaunch-Gelegenheiten kommen sie bevorzugt ans Licht.

Ganz großes Kino ist natürlich auch der taz-Genosse, der sich in der FAZ vom 13. 10. 2007 als Abbesteller outete: Vielleicht zeigt gerade sein Statement, was taz und FAZ zu den besten Verbündeten innerhalb der Halbwelt des Feuilletons macht:

»In Wahrheit war die F.A.Z. – mit ihrer anarchistischen Frakturschrift, der ästhetisch schwarz-weißen Titelseite inmitten der allgegenwärtigen Bilderflut, der David-gegen-Goliath-Standhaftigkeit gegen die unsinnige Rechtschreibreform, dem unabhängigen, exzentrischen Feuilleton (die besten Artikel über Reggae-Platten und Pop-Konzerte), dem Pfund guerrillahaft-unabhängiger Medienberichterstattung, den anachronistischen Konservativ-Kommentaren und vor allem dem altmodischen Mut zur Ernsthaftigkeit – die radikale Tageszeitung Deutschland.«

Eine schönere Liebeserklärung hat man jedenfalls lange nicht gelesen. Ob der schwer verliebte taz-Genosse sich am Tag X auch so sehr in diese Seite seiner taz verknallt hat?

TAZFAZ


The City’s Finest FAS

Antwerpen, 31. August 2008, 21:41 | von Dique

Heute in Antwerpen, und ich suche Stunden nach der FAS. Am Bahnhof gibt es keine, überhaupt scheint hier kein anständiger Zeitungsladen zu sein. Ich gehe dann Richtung Stadtmitte, zum Marktplatz, Grote Markt. Unterwegs ist auch Fehlanzeige, dabei habe ich gedacht, dass es ums Rubenshuis herum doch einen internationalen Zeitungsladen geben sollte, bei dem Andrang der hier überall herrscht.

Also gehe ich weiter bis zur Touristeninformation am Grote Markt und frage, wo man denn hier und heute internationale Presseerzeugnisse erwerben könne. Die beiden Angestellten, ich bin der einzige Kunde, stutzen erst etwas, doch dann verweisen sie mich, wenig Hoffnung machend, an eine Straße auf der anderen Seite des Marktes, und siehe da: Dort liegt, in all her glory, die FAS.

In der FAZ vom Freitag schrieb Hubert Spiegel in seinem Artikel »Das Buch, das aus dem Äther kam« über elektronische Lesegeräte. Im Besonderen stellte er den Kindle von Amazon vor, der um die 200 Bücher speichern kann. Und natürlich stellt sich die Frage, was das für das traditionelle gedruckte Buch bedeuten wird und vor allem, wie sich unser Leseverhalten im Angesicht der Volltextsuche verändert. Seit Jahren drücke ich beim Lesen von Büchern im Geiste Ctrl+F, weil ich einen bestimmten Abschnitt suche. Das wird nun Wirklichkeit.

Der Aufmacher des heutigen FAS-Feuilletons ist ein indirekter Anknüpfungspunkt, denn Johanna Adorján hat die Internationale Funkausstellung in Berlin besucht, und ich zucke erst mit den Schultern. Was geht mich die Funkausstellung an, und warum verschwenden die dafür so viel Platz in dieser Rubrik. Das ist aber ein zu schnelles und vor allem falsches Urteil. Der Text ist ein hochgradiges Lesevergnügen. Johanna Adorján kokettiert mit ihrer Unwissenheit hinsichtlich des technischen Fortschritts in Sachen Heimelektronik und Haushaltsgeräte und begibt sich durch den Wirrwarr lautloser Kühlschränke und Waschmaschinen, die automatisch erkennen, welche Flecken sie zu behandeln haben und bei denen man im Menü seine Lieblingsflecken auf Hotkeys legen kann.

Und wie der ganze Text von Spiegel endet dieser beim elektronischen Buch, hier beim E-Reader von Sony, »eine Akkuladung reicht für das Umblättern von 6800 Seiten, man kann also ›Die Wohlgesinnten‹ von Littell fünf Mal hintereinander lesen, ohne irgendeine Seite doppelt zu lesen«, heißt es im Text.

Am Ende gibt es ein Gedicht, welches genau unseren Geschmack als Freunde der Alltagspoesie trifft. Es ist die leicht modifizierte Gebrauchsanleitung des E-Readers:

Eine Seite, zu der ich zurückkehren wollte,
konnte ich mit einem Zeichen versehen
Ich drückte das Zeichen auf der ersehnten Seite
Die Leuchtdiode leuchtete auf,
und das Zeichen erschien in der rechten Ecke der Seite

Weniger amüsiert bin ich über den Snack, welchen ich während meiner Lektüre einnehme. Gleich neben dem Zeitungsladen ist diese große Frituur, FRITUUR n° 1. Ich meine mal irgendwo über diesen Laden gelesen zu haben: »the city’s finest fries«. Neben einer Portion Pommes nehme ich auch noch so einen kleinen Spieß mit Hühnchenstücken dran, so eine Art Schaschlik. Ich weiß wirklich nicht mehr, warum ich dachte, dass das irgendwie kuhl wäre, das Hühnchenfleisch ist völlig überfrittiert, und die Pommes sind einfach schlecht. Und das in Belgien!


El destino del Umblätterer

Göttingen, 30. August 2008, 16:45 | von Paco

¡¡¡Henryk M. Broder en el »Frankfurter Allgemeine«!!! En realidad sólo responde, prudente como siempre, al texto de Patrick Bahners. Pero imaginarme que él podría escribir para el »FAZ«, como redactor, me emocionó.

En el diario »Die Welt« un tal Wolfgang Schuller escribe en contra de la genial traducción que Raoul Schrott hizo de la »Ilíada« de Homero. Schrott no usa el hexámetro y, sobre todo, juega tanto con el original que no le gusta a Schuller. Sea como sea, me gusta la idea que Helena y Paris se amaran »dass die Bettpfosten wackelten«. ¡Maravilloso!

Después de terminar todos los artículos en ambos diarios decidí comprar el »Süddeutsche« en el Tonollo, el mejor negocio de diarios en toda Baja Sajonia (digamos).

Valió la pena. Jörg Häntzschel vio los primeros episodios de la segunda temporada de »Mad Men« y escribió un buen texto sobre ésta. Absolutamente es acertada su observación de los años sesenta que muestra la serie: »noch tragen die Sekretärinnen Busen wie Atomraketen, die Moskau erreichen könnten«, jaja.

El destino del Umblätterer: Como ya leí los folletines del 30 de agosto de 2008, hay que esperar hasta mañana que se publique el »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«.


Das Wetter vor 95 Jahren

Konstanz, 15. August 2008, 06:20 | von Marcuccio

Das Wetter vor 95 Jahren, nicht zu verwechseln mit Wolf Haas‘ Roman »Das Wetter vor 15 Jahren«, nach dessen Lektüre sich der »Zeit«-Rezensent Hubert Winkels »postkoital erschöpft« fühlte, das Wetter vor 95 Jahren also präsentierte sich so:

»Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagerndem Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering. Mit einem Wort, das das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.«

Natürlich: Das ist der berühmte Wetterbericht, mit dem Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« anhebt, der neben dem Joyce-»Ulysses« und der Proust-»Recherche« allseits anerkannte Dritte im Bunde der »dicken Drei« der klassischen Moderne.

Meteorologie als epische Aufgabe

Das Tolle an diesem Wetterbericht: Er ist ein »Tagesthemen«-Strömungsfilm vor seiner Zeit: Denn natürlich sind Isothermen und Isobaren, die ihre Schuldigkeit tun, Ironie pur: die (noch) heile Welt Kakaniens fügt sich sogar am Himmel in ihre satte atmosphärische Ordnung.

Wer den Wetterbericht aber nur den poetischen Fähigkeiten Musils zuschreibt, der wird nun eines Besseren belehrt. Wie Hermann Bernauer in seiner kleinen, feinen Studie namens »Zeitungslektüre im ›Mann ohne Eigenschaften‹« schreibt, war so ein epischer Wetterbericht damals das Normalste von der Welt:

»Die Wetterberichte in den Wiener Zeitungen um 1913 waren von einer Ausführlichkeit, wie sie heute unbekannt ist. (…) Die Wetterkarte wurde nicht gedruckt, sondern beschrieben (…). Daher (…) technisches Vokabular, das einige Ansprüche stellte an das Vorwissen der Leser. Die Neue Freie Presse brachte ausser den täglichen Wetterberichten Mitte und Ende des Monats noch einen ausführlicheren über das Wetter der vergangenen Wochen, geschrieben von einem Meteorologen.« (S. 149)

Und dann wartet Bernauer tatsächlich mit einem solchen O-Ton auf, und auffällig natürlich zuallererst die Tatsache, dass Meteorologen vor 95 Jahren noch nicht »Ben Wettervogel« hießen:

»Ausdauernd schlechtes Wetter. Von Dr. O. Freiherrn v. Myrbach, Assistenten der Zentralanstalt für Meteorologie.

›Wie zu befürchten war, hat das heurige Sommerwetter im Wesentlichen den Charakter treulich beibehalten, den es von Anfang an trug. Seine Härten haben freilich etwas nachgelassen (…). Das will aber noch nicht viel sagen, denn der Beginn des Sommers war so aussergewöhnlich schlecht, dass auch die spätere Zeit trotz der Besserung noch als schlecht bezeichnet werden muss …‹.« (S. 150)

Das war in der »Neuen Freien Presse« vom 15. August 1913 zu lesen. Der Wetterbericht als narratives Entertainment, er begann also schon Jahrzehnte vor der Kachelmann’schen Blumenkohlwolken-Show. Und auch der Meteorologe als Wettertröster bei schlechtem Wetter praktizierte schon, immerhin: er hatte sprachlich Niveau.

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Hermann Bernauer: Zeitungslektüre im »Mann ohne Eigenschaften«.
München: Wilhelm Fink Verlag 2007. (Verlagswebsite / Rez. FAZ)


Die Gedenktafel

München, 23. Juli 2008, 18:02 | von Paco

Im Englischen Garten. Wir unterhielten uns mit Nicholas Reinke, sicher einer der besten Jungschauspieler around, es ging zunächst um Werner von Haeften, Stauffenbergs Adjutant, den er in der TV-Fiction »Stauffenberg – Die wahre Geschichte« spielt. Das Thema hielt nicht lange, wir konnten gerade noch so das legendäre Boeselager-Interview streifen, das Frank Schirrmacher neulich unmittelbar vor Boeselagers Tod mit diesem geführt hatte.

Jedenfalls winkte uns dann Marcuccio heran. Die Runde war längst etwas unübersichtlich geworden, und er stand da etwas abseits und unterhielt sich mit einem jungen Bildhauer, der vor sich einige Steintafeln ausgebreitet hatte.

Eigenen Angaben zufolge studierte er an der ABK Stuttgart und interessierte sich eben besonders für Petrologie, arbeitete auch vorwiegend mit verschiedenen Gesteinen und erzählte uns vor allem von seiner so genannten »Gedenktafel«-Serie.

Ich war gleich sehr angetan, als mir ein etwa 30×20 Zentimeter großes Steinschild ins Auge fiel, auf dem eingemeißelt war:

AM 14. FEBRUAR 2002
BESUCHTE DER SCHRIFTSTELLER
HELMUT KRAUSSER
DIESE MÜLLER-FILIALE

Ich fragte den Künstler sofort, was das sollte, und er meinte, dass Krausser so ein Münchner Autor sei, den er gerne lese, der auch sehr bekannt sei, und in einem seiner Tagebücher habe er eine Stelle gefunden, die eben auf einen Besuch des Schriftstellers in einem Müller-Drogeriemarkt hinwies.

Der junge Bildhauer sammelte nämlich irgendwie lauter solche auf den ersten Blick banale Anekdoten berühmter Leute und meißelte sie dann in Stein.

Seine Geschichte stimmte auch noch, via Google Books fand ich sofort die Stelle, in der Krausser kurz von seinem Besuch bei Müller berichtete, und zwar im »Tagebuch des Februar 2002«, auf S. 67 der Erstausgabe (belleville Verlag 2002):

»In die Stadt. Bei Müller im Tal schmeißen sie Klassik-CDs zum Spottpreis raus. Das Wetter macht mich trübsinnig. (…)«

Wir gingen dann später noch a. a. O. vorbei (Adresse: Tal 23-25), wo ich dieses Foto schoss:

München, Müller im Tal

Im Eingangsbereich wäre auch wirklich noch irgendwo genügend Platz für die schöne ungewöhnliche Gedenktafel. Der aufstrebende Künstler will sein Werk jedenfalls der Filialleitung zuschicken mit der Bitte um Anbringung.