Archiv des Themenkreises ›Filmakademie‹


Autobahn 38

Leipzig, 17. Oktober 2008, 10:15 | von Paco

Why do people visit places where other people were born, lived, fought, or died?

Autobahn 38

There was no time to waste on October 3rd, 2008, the 18th anniversary of the German reunification. This journey along the German autobahn A38, from East to West, from Leipzig to Göttingen, could only take one day. 21 sleepless hours, to be precise.

Es war eine Ein-Tages-Expedition, die eigentlich ganz anderen Zwecken dienen sollte und gedient hat. Aber jetzt gibt es eben auch dieses kleine Nebenprodukt. Stefan von VEB Film Leipzig war bei der Tour mit der Kamera dabei, ohne dass es weiter auffiel. In den genau 2 Wochen, die seit der Expedition vergangen sind, hat er einen 23-minütigen Kurzfilm ganz nach seinem experimentellen Gusto gebastelt (Lizenz: CC BY-SA).

»Autobahn 38« heißt er. Der wüste Crossover aus Doku- und Fiction-Elementen, YouTube-Chic, Freestyle, Parodie, Anspielung, Hochkultur, Subkultur usw. handelt chronologisch schon noch von den einzelnen Stationen der Reise. Die Auswahl und der Zusammenschnitt der Bilder und Szenen allerdings schieben den Film ins Gonzo-Department.

Die eigentlichen Expeditionsziele scheinen im Film kaum durch. Die meisten Stationen wurden einfach weggelassen oder sind nur mit einem undeutlichen Standbild präsent. Dagegen wird viel Raum gelassen für (sagen wir mal:) exzessive Genreszenen.

Doch letztlich ist gerade dadurch die Ausgangsfrage der ganzen Reise auch das Thema des Films: »Was soll man als Tourist schon groß machen?« Und sie verschärft sich eben, wenn man an einem Tag nicht nur eine oder zwei, sondern gleich an die 40 superlati­vische ›Sehenswürdigkeiten‹ besucht, mit denen das Umland der A38 so vollgestopft ist.

Den kompletten Film gibt es bei YouTube:
http://www.youtube.com/watch?v=5BqeYg0WeRI

Er kann auch direkt heruntergeladen werden (341 MB, 512×384 Pixel):
http://archive.org/download/Autobahn.38/Autobahn.38.EngSub.XviD.avi

Oder indirekt hier (2 RAR-Dateien, die entpackt werden müssen):
http://rapidshare.com/files/154778864/Autobahn.38.part1.rar
http://rapidshare.com/files/154785091/Autobahn.38.part2.rar

Oder hier als Torrent bei der Pirate Bay:
http://thepiratebay.org/torrent/4451323/Autobahn_38_German_EngSub.XviD.avi

Es gibt auch eine HQ-Version (682 MB, 720×540 Pixel):
http://archive.org/download/Autobahn.38/Autobahn.38.EngSub.HQ.XviD.avi

Und eine LQ-Version (167 MB, 360×270 Pixel):
http://archive.org/download/Autobahn.38/Autobahn.38.EngSub.LQ.XviD.avi

Außerdem gibt es den kompletten Film in guter Auflösung bei blip.tv:
http://blip.tv/file/1366131/

Und hier noch eine Synopsis im PDF-Style aufstrebender Berliner Galerien:
http://vebfilm.net/Autobahn.38.Synopsis.pdf


Who Watches the Watchmen?

Hamburg, 15. Oktober 2008, 12:22 | von San Andreas

Die Verfilmung des epochalen Comic-Romans von Alan Moore

Epochal? Sagt wer? Nun ja, alle. Es stimmt zwar, hierzulande fiel »Watchmen«, diese meisterliche Fortentwicklung des Superhelden-Genres, nicht eben auf fruchtbaren Boden, als der Carlsen-Verlag sie 1989 veröffentlichte. Da erschloss gerade mal Tim Burtons erster »Batman«-Film breitere Fankreise; von einer tief wurzelnden Comic- und Superheldenkultur, wie sie in den Staaten seit Jahrzehnten schon existierte, konnte keine Rede sein.

Aber was revisionistische Neo-Western für das ebenfalls uramerikanische Western-Genre waren, verkörperte »Watchmen« für die ausreichend strapazierten Helden der Comic-Welt: eine ernüchternd realistische, vielschichtige Relativierung, die in ihrer retrospektiven Sicht viel über die Essenz des Genres verriet und nebenbei eine beeindruckende Relevanz als gesellschaftskritische Studie der Zeit des Kalten Krieges entwickelte.

Der Zwölfteiler war praktisch die erste der nun so populären ›graphic novels‹, wurde mit dem renommierten Hugo Award ausgezeichnet und taucht als einziges Comic überhaupt in der »Time Magazine«-Liste der 100 besten Romane aller Zeiten auf. Der Klappentext zitiert bescheiden »Lost«-Chefautor Damon Lindelof, der da meint, »Watchmen« wäre »the greatest piece of popular fiction ever produced.«

Da spricht ein Fan, na klar, aber das Werk steht tatsächlich ziemlich einzigartig da. Seine dicht betexteten Panels vermitteln eine eigentümlich reizvolle ›alternate history‹: In diesem Amerika sind Comic-Superhelden Geschichte, und ebenso verschwunden sind die maskierten Aushilfs-Helden, die es sich nach dem Vorbild der gezeichneten Weltenretter zum Ziel gesetzt hatten, in einer verwahrlosten Gesellschaft für Recht und Ordnung zu sorgen.

Weite Kreise hatte die Bewegung gezogen, bis sie in den Siebzigern per Gesetz verboten wurde. Diverse Erzählebenen verschaffen Einblicke in zwei Generationen dieser ›masked adventurers‹, von denen nur einer – Dr. Manhattan – tatsächlich über Superkräfte verfügt.

Seine bloße Existenz beeinflusst das Weltgeschehen, verkörpert Dr. Manhattans unumschränkte Macht über jegliche Materie doch eine Art ultimative Superwaffe. Jeder Aggressor muss mit verheerenden Gegenmaßnahmen rechnen, handelt er gegen den Behüter dieser Waffe – und der heißt USA (unter Führung eines von Watergate verschont gebliebenen Nixon). So verschärft sich der schwelende Konflikt der Supermächte, die sich nervös gegenüberstehen, Abschreckungspotenziale abwägend, wettrüstend, den Finger am Abzug.

Eine Eskalation scheint unvermeidlich, und die Gewißheit um einen nuklearen Krieg läßt die Menschen resignieren. Es ist ein trostloses, heruntergekommenes New York, in dem wir die ehemaligen Helden treffen: dunkle Gassen, triste Wohnsilos, dazwischen Atomschutzbunker und verdreckte Bürgersteige. Auf einem davon haucht unsanft der Comedian sein Leben aus, und auch andere Minutemen – ein Zusammenschluss einiger Selbstjustizler – werden plötzlich Opfer mysteriöser Attacken. Zu allem Überfluss verlässt Dr. Manhattan nach einer Rufmordkampagne kurzerhand den Planeten – was die entsprechenden militärpolitischen Folgen hat. Während im Osten schon die Panzer rollen, führen die Nachforschungen der maskierten Helden auf die Spur einer weitreichenden Verschwörung.

Welch heilsame Therapie die Watchmen-Geschichte für das Helden-Genre darstellte, lässt sich kaum überschätzen. Dekonstruktion und Revitalisierung zugleich, eröffnete sie eine »Was wäre wenn«-Perspektive, die geläufige Archetypen und Plotmuster negierte und dadurch erst bewusst machte. Heldentaten waren hier nur mehr wehmütige Erinnerungen, wie an Jugendsünden, und die alternden Protagonisten, von denen keiner die Sympathie des Lesers wirklich verdiente, streiften nur widerwillig ihre alten Kostüme über, um das Ableben ihres Kollegen zu untersuchen.

Und dabei mochte den nie jemand leiden. Ein Rüpel war das, ein Zyniker und ein Prolet. Nahtlos eingebaute Rückblenden erzählen Episoden aus seiner und anderer Figuren Vorgeschichte; auf diesem Wege erschließen sich ihre Charaktere. Der Comic erreicht dabei einen psychologischen Realismus, der bis dato in diesen Gefilden unbekannt war. Seine Dramaturgie kommt nachgerade filmisch daher, gibt ein Gefühl von Kamerabewegung und diffiziler Montage.

Lautmalereien, Denkblasen und Bewegungslinien sucht man vergeblich, stattdessen findet man klare, tiefenscharfe Panels voller Querverweise und Symbole (der blutbefleckte Smiley, die tickende Doomsday Clock), liest profunde, teils parallel montierte Dialoge, bedeutungsschwangere Schlagzeilen auf umherliegenden Zeitungen und Graffiti auf beschmierten Häuserwänden (eins davon, »Who watches the Watchmen?«, ein Zitat aus Juvenals »Satiren«, gibt dem Werk seinen Titel).

Postmoderne Zwischenböden bereichern den Text, zunächst in Form einer ›story within a story‹ – eine existenzialistische Seefahrergeschichte, die ein Comicfan an einem Zeitungsstand Tag für Tag liest (und die wir so Stück für Stück mitverfolgen), spiegelt Elemente der Watchmen-Handlung. Des Weiteren finden sich zwischen den Kapiteln Protokolle, Briefwechsel, Zeitungsartikel, Ausschnitte aus Memoiren – fiktive Zeitzeugen, die eine glaubbare, komplexe Welt aufspannen.

Ihr Schöpfer, Alan Moore, erfüllt die Ikonografie des Genies: wirres Einstein-Haar, wallender Rasputin-Bart, düsterer Beethoven-Blick. Er gilt als Gallionsfigur der modernen Comic-Szene, an seinem Input entzündeten sich Strömungen, die nicht zuletzt dem Superheldengenre zu einer lang anhaltenden Renaissance verholfen haben.

Bis heute findet das Genre neue Bezüge, die es auszuloten lohnt, und es sind gerade die Wechselwirkungen mit unserer schnöden Wirklichkeit, die, wie vor zwanzig Jahren in »Watchmen«, die anregendsten Beiträge liefern. Der Realismus in »The Dark Knight«, die Selbstironie von »Hancock«, das Undercover-Heldentum in »Heroes«, sie alle sind ohne den Einfluss von Moore nicht vorstellbar.

I’m never going to watch this fucking thing.

So lauten die Worte, die der Meister für die anstehende Verfilmung von »Watchmen« übrig hat. Warum so verbittert? Sein »V für Vendetta« hat in den Händen der Wachowskis doch eine kongeniale Filmadaption ergeben. Gut, »From Hell« war weniger gelungen, und von »The League of Extraordinary Gentlemen« wollen wir gar nicht reden. Moore hat jedoch generell kein Interesse an den Verfilmungen seiner Werke, er möchte nicht damit belästigt werden, und er will auch keinen Cent damit verdienen.

Sein gutes Recht, wiewohl gerade im Falle »Watchmen« sein Rat von großer Hilfe sein könnte. Seit vielen Jahren schon wurde eine Verfilmung angestrebt, und verschiedene Regisseure haben sich an dem Stoff die Zähne ausgebissen. Terry Gilliam arbeitete bereits 1989 verschiedene Treatments aus, um dann die Waffen zu strecken: zu komplex der Stoff, zwei Stunden reichen nicht aus, gebt mir fünf, und ich mach’s.

Nachdem Darren Aronofsky Interesse gezeigt hatte, jedoch wegen zu hoher Budgetforderungen eine Abfuhr erteilt bekam, gedieh das Projekt 2004 in den Händen von Paul Greengrass relativ weit. Schauspieler wie Tom Cruise und Jude Law begannen sich um die Rollen zu streiten, zum fertigen Skript wurden bereits Designstudien angefertigt, als Paramount plötzlich den Stecker zog. Zu riskant, zu teuer, die Zielgruppe zu klein.

Und so scheint der Film, der es nun in die Postproduktion geschafft hat und im März 2009 starten soll, ein paar Nummern kleiner auszufallen. Was überhaupt nicht schlecht sein muss. Allzu bekannte Gesichter in den Heldenrollen wären der Watchmen-Prämisse abträglich, die ja dadurch besticht, dass die Figuren dem Leser oder Zuschauer als Jedermänner ohne jeglichen Ballast begegnen, bar jeden Vorlebens in Dutzenden Comic-Episoden. Und Tom Cruise als Ozymandias? Muss nicht sein.

Manchem »Watchmen«-Liebhaber treten jedoch Schweißperlen auf die Stirn, wenn er den Namen des Regisseurs erfährt, der den Job übernommen hat. Zack Snyder ist das nämlich – und seine Referenzen belegen nicht gerade ein untrügliches Gespür für feinsinnige Sozialkritik und politische Metaebenen. Aber er verehrt die Vorlage abgöttisch, wie man hört, und wir wollen ihm gerne eine Chance geben. Der Trailer schaut schon mal ganz gut aus.

A propos Trailer: In jenem zu »300« hatte Snyder die erste »Watchmen«-Testeinstellung versteckt und mit seiner Frau gewettet: Die war sich nämlich sicher, niemand würde das Bild registrieren, während Zack glaubte, es würde praktisch sofort entdeckt werden. Zack gewann die Wette.


Erinnerungen: Paul Newman

Hamburg, 11. Oktober 2008, 13:26 | von San Andreas

Auch Paul Newman ist von uns gegangen. In den Feuilletons wurde sein Leben und Wirken in großformatigen Elogen gewürdigt. Rollenmuster wurden analysiert, sein Charakter ergründet, seine Skandalabstinenz herausgestellt, sein soziales Engagement goutiert, seine Nudelsoßen gelobt. Alles d’accord.

Er war einer jener Schauspieler, die man meinte persönlich zu kennen, wohl weil hinter vielen seiner Rollen Newman selber vorwitzig hervorzublinzeln schien. Ein großartiger Mensch musste das sein: smart, ironisch, generös, lässig, grundsympathisch. Paul Newman war all das, wir sind davon überzeugt.

Gut sah er auch noch aus. Blendend geradezu, aber sein Aussehen verstellte nie den Blick auf den menschlichen Kern seiner Figuren. Durch seine blauen Augen entdeckte man gebrochene Existenzen, ambivalente Helden, liebenswerte Verlierer, grantelnde Zyniker. Stereotypen mochte er nicht, so scheint’s, ebenso wenig wie Manierismen und Allüren.

Newman gelang der einzigartige Coup, eine Figur im Abstand eines Vierteljahrhunderts in zwei unterschiedlichen Filmen zu verkörpern. »The Hustler« mag der bessere, weil profundere Film von beiden sein, aber allein jenen Fast Eddie Felson nach so vielen Jahren wiederzutreffen, macht »The Color of Money« zum Ereignis.

Pflichtbewusst gab Hollywood ihm für die Rolle einen Oscar, mit 61 Jahren schien es an der Zeit, aber bei Lichte besehen überragen andere Leistungen den zweiten Felson. Claudia Lenssen erinnert in ihrem Nachruf an Filme wie »Cat on a Hot Tin Roof«, »Hombre« oder das wunderbare Spätwerk »Nobody’s Fool«.

Gern erinnern wir uns auch an Lumets »The Verdict«. Newmans Darstellung des abgehalfterten Winkeladvokaten mit Neigung zum Alkohol ist grandios, und wenn man nur einen einzigen Gerichtsfilm im Leben sehen möchte, weil man das Genre eigentlich nicht mag, that’s the one.

Bei Lenssen findet der Film nur kurze Erwähnung. Und Newmans berühmteste Rollen streift die Frau gar nur im Nebensatz: »Butch Cassidy and the Sundance Kid« wäre ein »Märchen um ein smartes Banditen-Duo«, und »The Sting« lediglich dessen »mäßiger Folgefilm«. Excuse me?

Zum einen erzählt »Butch & Sundance« die einigermaßen wahre Geschichte der Herren Robert Leroy Parker und Harry Alonzo Longabaugh (der Name ihrer Bande wird zwar nicht genannt, aber man kennt ihn: »The Wild Bunch«), zum anderen ist der Film ja wohl der brillanteste Alternativ-Western, der je das Licht der Leinwand erblickte.

BC: I think we lost ’em. Do you think we lost ’em?
SK: No.
BC: Neither do I.

George Roy Hills umwerfende, fast postmoderne Genre-Kollage gibt keinen Pfifferling auf Konventionen, erhebt sich bei aller Komik mühelos über die Schublade harmloser Unterhaltung und erfindet nebenbei das Genre des ›Buddy Movies‹. Im kollektiven Filmgedächtnis bleiben u.a. Newmans Fahrradfissematenten zum Bacharach-Song, der Sprung der Verfolgten in den gähnenden Abgrund sowie der legendäre Freeze Frame am Ende des Films.

»The Sting« kommt genauso epochal daher, eine so leichtfüßige wie facettenreiche Studie der Kultur der ›con men‹ von Chicago, ebenfalls stilsicher in Szene gesetzt von George Roy Hill (der später noch »Slap Shot« mit Newman drehte). Der Ragtime-Soundtrack mag nicht in die Zeit der 30er Jahre passen, aber er passt in den Film, setzt perfekt den augenzwinkernden Ton.

DL: Mr. Shaw, we usually require a tie at this table … if you don’t have one we can get you one.
HG: Hey, that’d be real nice of you, Mr. Lonneman!
DL: Lonnegan.
HG: [nods, belches]

Große Klasse: Newman als Bauernfänger Henry Gondorff, der beim Poker mit Mobster Doyle Lonnegan (Robert Shaw) den beschwipsten Haudrauf markiert, um dann gewiefter zu betrügen als der. Wo die vier Buben plötzlich herkommen, weiß man nicht, aber Lonnegans Moment ohnmächtigen Zorns ist schier köstlich.

Die ›Daily Poll‹ der IMDb präsentierte letzte Woche die memorabelsten Rollen des Paul Newman; »Butch« und »Sting« wurden nur noch überflügelt von »Cool Hand Luke«, dem Südstaaten-Gefängnis-Drama, das zeigte, dass ein Mann fünfzig Eier am Stück essen kann, wenn er nur will. Die raue Menschlichkeit des Films berührt nach wie vor, und Newmans unbeugsamer Luke wurde zum prototypischen Rebell.

Redford war hier nicht dabei, aber in einer wunderbaren Parallelität der Schicksale spielte er Jahre später in »Brubaker« die Hauptrolle – ebenfalls ein Knastdrama in den Südstaaten, ebenfalls von Stuart Rosenberg, ebenfalls um einen kämpferischen Idealisten, nur eben auf der anderen Seite der Gitterstäbe.

»I have lost a real friend. My life – and this country – is better for his being in it.« – Robert Redford

Newman und Redford hatten der Filmgeschichte eigentlich noch einen dritten gemeinsamen Film hinzufügen wollen, eine Adaption des Bryson-Klassikers »A Walk in the Woods«. Der rapide abbauende Newman hatte das Projekt jedoch in letzter Minute absagen müssen.

Seine Rolle wäre die von Stephen Katz gewesen, einem übergewichtigen, ungehobelten Ex-Alkoholiker. Newman hätte die Rolle sicher aufs vortrefflichste ausgefüllt, so wie wir ihn kennen. Und wir kennen ihn.


Das wahrscheinlich unwahrscheinlichste Remake aller Zeiten

Hamburg, 8. Oktober 2008, 07:57 | von San Andreas

Wo immer die »Welt« ihre Quelle hat für die Serie kleiner Artikel großer Leute zum Thema »Meine DVD« (u. a. Jerry Seinfeld, Marc Forster und Guillermo del Toro) – neulich gab die Rubrik dem Regisseur Abel Ferrara die Möglichkeit, seinen Unmut über das bevorstehende Remake seines kontroversen Cop-Dramas »Bad Lieutenant« zum Ausdruck zu bringen:

Nichts gegen Werner persönlich, aber ich wünsche der gesamten Crew der Neuverfilmung die Pest an den Hals.

Oh, wie harsch. Und welcher ›Werner‹? Doch nicht etwa …? Aber ja, ganz genau: our very own Werner Herzog. Hierzulande kurz davor, vergessen zu werden (sein Vietnam-Fluchtdrama »Rescue Dawn« von 2006 harrt immer noch eines Starttermins, während die halbe Welt ihn schon sehen durfte, darunter Kuwait, Polen, Island und Brasilien), schickt sich Meister Herzog nun an – 16 Jahre nach dem Original – »Bad Lieutenant« neu zu erfinden.

Eine merkwürdige Idee, gelinde gesagt, zumal die Thematik so gar nicht in Herzogs Output der letzten Zeit passen will: da hatten wir fantastische Dokus wie »Grizzly Man«, »The White Diamond« und aktuell »Encounters at the End of the World«, er schrieb die köstliche Mockumentary »Incident at Loch Ness«, in der er sich selbst spielte, und seit dem Hanussen-Vehikel »Invincible« war der hervorragende »Rescue Dawn« sein erster Spielfilm seit langem gewesen.

All diesen Werken ist eines gemein: Herzog zeichnet höchstselbst für das Drehbuch verantwortlich, so wie sich das für einen Autorenfilmer gehört. Für »Bad Lieutenant« nun nimmt er die Dienste eines gewissen William M. Finkelstein in Anspruch, seines Zeichens Autor und Produzent von TV-Polizeiserien wie »NYPD Blue« und »Law & Order«. Aha. Hmm. Hä?

Aber der Knaller kommt erst noch: Die Hauptrolle übernimmt kein anderer als Mr. Nicolas Cage, derletzt als Träger schlechter Frisuren in noch schlechteren Filmen zu bewundern (»Bangkok Dangerous«, »National Treasure: Book of Secrets«, »Next«). Ihm zur Seite stehen attraktive Akteure wie Eva Mendes und Val Kilmer. Nach üblem Mainstream riecht das, und Ferrara kann die zu erwartende Hollywoodisierung seiner grenzgängerischen Filmprovokation nur schwer verknusen. In Cannes nach seiner Meinung dazu befragt, reagierte er fast etwas ungehalten:

I wish these people die in hell. I hope they’re all in the same streetcar, and it blows up.

Und Herzog, der ja durch die harte Kinski-Schule gegangen ist und Verbalausfälle seelenruhig zu parieren weiß, wie reagiert er auf diese Anfeindungen? Wie erwartet:

That’s beautiful! […] Wonderful, yes! Let him fight! He thinks I’m doing a remake.

Jetzt wird es kompliziert. Herzog steht offenbar unter dem Eindruck, sein Film wäre *kein* Remake. Wie man hört, soll tatsächlich der Schauplatz ein anderer sein, was auch ein Untertitel unmissverständlich klar macht: »Port of Call New Orleans«. Aber es geht schon um einen Officer, der allen möglichen unschicklichen Obsessionen nachhängt? Jawohl.

Nun ist das eher eine Sache von Wortklauberei: Wann ist ein Remake ein Remake? Herzogs Verteidiger bringen Beispiele wie James Bond und Inspektor Clouseau, doch sind das eindeutig Filmserien und keine Versionen derselben Geschichte. Ist Werner Herzogs »Nosferatu« ein Remake gewesen? Nein, sagt er, das war eine Hommage. Aha. Und kann sein Bad Lieutenant eine Hommage an Abel Ferrara sein? Aber nicht doch, denn:

I have no idea who Abel Ferrara is. […] I don’t know what he did – I’ve never seen a film by him. I have no idea who he is. Is he Italian? Is he French? Who is he?

Es scheiden sich die Geister, ob man Herzog so viel Ignoranz abnehmen kann. Irgendein Stabmitglied muss ihn doch irgendwann mal beiseite genommen und ihm geflüstert haben, dass es da draußen schon einen Film mit diesem Titel und dieser Geschichte gibt …

Wie dem auch sei, Abel Ferrara soll mal ganz ruhig sein, schließlich war sein Film »Body Snatchers« ebenfalls das Remake eines gerade mal 15 Jahre alten Streifens (seinerseits bereits ein Remake), und ein überflüssiges und schlechtes noch dazu.


Baader, Meinhof, Coen, Coen

Hamburg, 3. Oktober 2008, 10:26 | von San Andreas

Vorgestern den »Baader Meinhof« gesehen. Sicher besseres deutsches Kino, wenn nicht sogar großes. Bisschen formlos in Teilen, auch emotionslos, aber then again will der Film ja kein Thriller sein wie etwa »Munich«.

Obwohl er, wenn’s zur Sache geht, ebenso wenig zimperlich ist wie der. Einige junge Leute verließen trotzdem mit dem Kommentar »laaangweilig« den Saal. Die Jugend von heute schert sich den Teufel um die Jugend von gestern.

Anders sieht’s beim neuen Coen aus. Guter Film, da gibt’s nix. Clever und silly zugleich, dann wieder recht unkonventionell (das Ende!), wenn das Werk auch vor lauter Story manchmal klinisch, ungewohnt lieblos wirkt.

Verzeihbar, wenn das Skript dann wieder Situationen hervorbringt, in denen die Dinge kulminieren – und sei es nur in den Köpfen der Zuschauer, die dann laut lachend in ihren Sesseln hängen. So geschehen gestern im UCI um die Ecke. Der nächste Coen wird eine Nummer kleiner und hat in der Hauptrolle Richard Kind, Larry Davids legendären Seriencousin »Andy«.

Womit wir wieder bei »Curb Your Enthusiasm« wären. Wenig Neuigkeiten darüber, auch weil LD gerade am ominösen neuen Woody-Allen-Film mitwirkt. Wie man liest, soll die 7. Staffel »at the end of next year« kommen. Moment. NEXT year? Und AT THE END? Aaargh.


In Brügge

Brügge, 2. September 2008, 18:02 | von Dique

»In Bruges« ist der beste Film des Jahres und auch des letzten und bestimmt auch des nächsten. Nun bin ich selbst in Brügge, und normalerweise wäre hier alles ganz Memling und van Eyck, doch jetzt ist hier alles »In Bruges«. So richtig Memling wird es erst wieder im Memling-Museum, ist ja nicht verwunderlich. Dort, im alten Johannishospital, steht neben einer guten Handvoll anderer Memlingwerke auch der wunderbare von ihm selbst bemalte Ursula-Schrein, welcher zu besonderen Anlässen und immer am Tag der Heiligen bei Prozessionen herumgetragen wurde.

Doch bevor ich dort sein werde, gehe ich erst mal ein bisschen durch die Stadt. Wenn ich einen iPod besitzen würde, dann würde ich jetzt das Klischee komplettieren und den fabelhaften Soundtrack von Carter Burwell auflegen. Ich habe aber gar keinen iPod.

Trotzdem geht mir das Hauptthema des Scores durch den Kopf, als ich dann vorm Belfried stehe. Es ist neun Uhr morgens, ich bin fast allein, und ich suche, wohl wissend, dass es nur ein Film war, auf dem Kopfsteinpflaster nach Blutflecken und denke an den beängstigenden deutschen Titel: »Brügge sehen … und sterben?«

Sünde und Sühne. Der entscheidende Mord vor der Verbannung der Hitmen geschieht bei der Beichte, das Opfer ist der Pfarrer selbst (ein Kurzauftritt als Opfer hat hier Ciarán Hinds, dem die Menschheit noch eine Menge Preise und Huldigungen für seine Meisterleistung als Caesar im HBO-»Rome« schuldet!). Aber neben dem Pfarrer trifft es ein zweites Opfer, einen kleinen Jungen, und was ist das für eine herzzerreißende Szene, als Ray den blutigen Zettel aufhebt, auf dem der Junge seine zu beichtenden Sünden notiert hat:

1. Being moody
2. Being bad at maths
3. Being sad

Gleich im Anschluss sieht man Ken und Ray durch das Groeninge Museum spazieren. Ray steht vor dem Gemälde von Gerard David, »König Kambyses und der Richter Sisamnes«, und da stehe ich auch gerade. Wegen Bestechlichkeit wird dem Richter Sisamnes die Haut abgezogen. In der schauerlichen Szene hat einer der Schergen bereits das Bein von Sisamnes gehäutet. Der Audioguide erklärt mir etwas zum limitierten Anatomieverständnis der flämischen Primitiven, die Venen liegen nicht direkt unter der Haut …

Um die Ecke des Groeninge, in der Liebfrauenkirche (Onthaalkerk Onze-Lieve-Vrouw), gibt es eine Madonna mit Kind von Michelangelo (ja, hier in Brügge!), und nach dem Diptychon von Gerard David tut der Anblick marmorner Schönheit sehr, sehr gut. Hier, in dieser Hochburg der nordischen Renaissance, wirkt diese italienische Leichtfüßigkeit besonders stark, ohne dass ich jetzt qualitative Vergleiche ziehen will. Michelangelo passt hier auch thematisch gut rein, ok, das war auch eine Generation nach Gerard David, aber er war ja einer der ersten Künstler, der Leichen sezierte, um den Körperaufbau genauer studieren zu können.

Ken und Ray bekommen die wunderschöne Madonna nicht zu Gesicht. Sie verweilen im Groeninge vor dem »Jüngsten Gericht« von Bosch und führen diesen Dialog:

Ken: It’s Judgment Day, you know?
Ray: No. What’s that then?
Ken: Well, it’s, you know, the final day on Earth, when mankind will be judged for the crimes they’ve committed and that.
Ray: Oh. And see who gets into heaven and who gets into hell and all that.
Ken: Yeah. And what’s the other place?
Ray: Purgatory.
Ken: Purgatory … what’s that?
Ray: Purgatory’s kind of like the in-betweeny one. You weren’t really shit, but you weren’t all that great either. Like Tottenham. (Pause.) Do you believe in all that stuff, Ken?
Ken: About Tottenham?

Auf dem Bild tummeln sich die üblichen Bosch-Gestalten, ein Reptil mit Menschkopf und langem roten Zipfelhut schaut zu, wie eine Menschengruppe einen großen Schuh in einem schwarzen Fluss zu einem Schiff umfunktioniert; in einem Fass, umringt von nackten Gestalten, scheint jemand gegart zu werden; etc. Fast einen ganzen Film lang erlebt Ray das Jüngste Gericht am eigenen Leib. Auf einem Filmset mitten in Brügge, in feinem (Brueghel’schem?) Neuschnee wird Ray erschossen, und an ihm vorbei ziehen fratzenhafte Gesichter, mit und ohne Masken, und er entdeckt seine ganz persönliche Hölle:

»And I thought, if I survive all of this, I’d go to that house, apologize to the mother there, and accept whatever punishment she chose for me. Prison, death, didn’t matter. Because at least in prison and at least in death, you know, I wouldn’t be in fuckin’ Bruges. But then, like a flash, it came to me. And I realized, fuck man, maybe that’s what hell is: the entire rest of eternity spent in fuckin’ Bruges.«


Die neuen Comic Book Movies (Teil 4):
The Dark Knight

Hamburg, 26. August 2008, 14:17 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

TJ: Wanna know how I got these scars? My father was … a drinker. And a fiend. And one night he goes off crazier than usual. Mommy gets the kitchen knife to defend herself. He doesn’t like that. Not. One. Bit. So, me watching, he takes the knife to her, laughing while he does it. Turns to me and he says, »Why so serious?« Comes at me with the knife, »Why so serious?« He sticks the blade in my mouth. »Let’s put a smile on that face!« And …

Ein Flattern geht durchs Land. Millionen hatten seiner Ankunft geharrt. Nun verdunkeln seine nächtlichen Farben landesweit die Leinwände. Sein düsteres Antlitz infiltriert die Feuilletons. Der Rest der Welt feiert ihn seit Wochen, nun ist es auch hier so weit. Der neue Batman. Er ist da.

Und heißt nicht einmal so. Es ist der erste Film der nun siebenteiligen Serie, der den Namen seines Helden nicht im Titel trägt. Selbst Deutschland, das Land der Spaghetti-Titel, beließ es beim schlichten »The Dark Knight«. Eine Chance für breite Bevölkerungsschichten, endlich zu lernen, wie ein führendes ›K‹ im Englischen ausgesprochen wird.

À propos stumm. Kaum zu vernehmen sind negative Stimmen im Blätterwald. Überaus selten nutzt ein Kritiker die Chance, sich zu profilieren. Zu mächtig der Ruf, der dem Film vorauseilt. Zu wenig Angriffspunkte aber auch, an denen sich ein missgelaunter Rezensent würde hochziehen können. Angesichts der klar zutage tretenden Meisterschaft des Films in vielen Bereichen erscheinen seine Schwächen schlicht nicht erwähnenswert.

Ein Ereignis, heißt es stattdessen allerorten, ein fulminantes, Rekorde brechendes Meisterwerk von Film, das Genregrenzen sprengt und all jene, die meinten, Qualität und Kommerz wären sich spinnefeind, eines besseren belehrt. »The Dark Knight« wurde im Handstreich nicht nur zum besten Film der Serie erklärt, sondern auch zum besten Comic Book Movie überhaupt (»Spider-Man 2« entthronend), sowie freilich zum bislang besten Film des Jahres. Er brach sämtliche Kassenrekorde und wurde der erste Film, der binnen zwei Tagen die IMDB-Bestenliste anführte. In Wiesbaden erhielt er postwendend das Prädikat ›Besonders Wertvoll‹, und die Anzahl an Preisen, die der dunkle Ritter noch einheimsen wird, wagt man sich gar nicht vorzustellen.

Vorzustellen gewagt haben es sich bestimmt auch Bob Kane und Bill Finger nicht, welch monumentalen Erfolg ihr Superheld 70 Jahre nach seiner Geburt haben würde (beide leben leider nicht mehr). Sie erschufen ihn im Kielwasser des Erfolgs der Figur Superman, bemühten allerdings im Gegensatz zu den Vätern des fliegenden Stretchkostüms keine übernatürliche Talente, sondern gründeten die Stärke des Fledermannes allein auf sein riesiges Vermögen, seine antikriminellen Ideale sowie allerlei ausgefuchste Gerätschaften.

DIE FILME 1966–2005

Das Fernsehen verarbeitete die Comics in mehreren Serien, bis unser Held im Jahr 1966 das erste Mal auf die große Leinwand segelte. Bunt und billig kam er daher, war mehr Kitsch als Klasse, entsprach ganz dem populären Comic-Zeitgeist. Trotzdem der Film einigermaßen erfolgreich war, sollte Batman bis 1989 das Pantoffelkino nicht mehr verlassen dürfen. In diesem Jahr entschloss sich nämlich Tim Burton, dem Batman-Universum seinen charakteristischen Stempel aufzudrücken.

Die 7 Batman-Filme (Grafik)
Die 7 Batman-Filme: Einspielergebnisse (Box Office Mojo),
Userwertungen (IMDb), Tenor der Kritik (Rotten Tomatoes)

Der sinnfällig betitelte »Batman« wurde ein phänomenaler Erfolg (bis vor wenigen Tagen immer noch der einträglichste Film von DC-Comics), 60 Millionen allein wirtschaftete Jack Nicholson in seine Tasche. Aber nicht alle waren begeistert – aufmerksamen Fans entging nicht Burtons laxer Umgang mit der Legende. So wird im Film der Joker zum Mörder von Bruce Waynes Eltern erklärt, während es im Comic ein Kleinkrimineller namens Joe Chill gewesen war. Künstlerische Freiheiten sind gewiss akzeptabel, gerade wenn sie im Dienste einer adäquaten Film-Dramaturgie stehen, aber eine Um-Erzählung der Ursprünge von Batmans Mission fand in den Augen vieler Liebhaber keine Gnade.

Das Sequel »Batman Returns« (1992, ebenfalls von Burton) war noch einen Zacken düsterer, was viele Kritiker als Verbesserung werteten. Batman-Kenner hingegen zeigten sich abermals enttäuscht: Ihr Held würde doch niemals im Vorbeigehen Mitglieder der Pinguin-Bande über den Jordan schicken! Seine Ideale ließen das nicht zu; er würde damit selbst zum Kriminellen werden.

Drei Jahre später brachte Joel Schumacher mit »Batman Forever« einen Stilwechsel in die Reihe. Es wurde wieder bunter in Gotham City, und wir treffen Robin und Two-Face. An letzterem aber entzündete sich erneut der Groll pingeliger Fans: Der bedingungslose Glaube des zwiegespaltenen Charakters an das Element Schicksal und dessen Eigenart, seine Handlungen von einem Münzwurf abhängig zu machen, werden in einer Szene empfindlich kompromittiert. Er wirft die Münze einfach mehrmals, bis er das gewünschte Ergebnis erhält. Undenkbar!

Essig war es mit der Glaubwürdigkeit des Regisseurs, aber der beglückte 1997 die Filmwelt nichtsdestoweniger mit noch einem Batman-Abenteuer. Trotz geballter Starpower (Clooney, Schwarzenegger, Thurman) fiel »Batman & Robin« bei Kritik und Publikum in Bausch und Bogen durch. Der ganze Film war lachhaft. Batman hatte erst einmal ausgeflattert.

Hinter den Kulissen aber versuchte Warner, den immer noch lukrativ erscheinenden Superhelden am Leben zu erhalten. Regisseure wie Andrew Davis, Wolfgang Petersen, Darren Aronofsky und die Wachowski-Brüder werkelten abwechselnd an unterschiedlichsten Bat-Konzepten, keines bekam grünes Licht, bis, ja bis –

– vor drei Jahren dann etwas Wunderbares geschah. Christopher Nolan, der die Intelligenz des Publikums noch nie unterschätzt hatte, nahm sich des Stoffes an, goss mit »Batman Begins« das Fundament einer modernen Mythologie und machte dabei alles richtig: Die Waynes kommen durch die Hand Joe Chills ums Leben, was die Wandlung ihres Sprosses zum Dunklen Rächer in Gang setzt. Inspiriert von den Graphic Novels »The Long Halloween« und »Dark Victory« (in Details auch von Frank Millers »Year One«) entwarf der Film eine durch und durch zufrieden stellende ›origin story‹.

THE DARK KNIGHT

War diese erst einmal etabliert, konnte Nolan noch einen draufsetzen: »The Dark Knight« erzählt keine Variante des Konflikts, den unser Held als erste Prüfung in »Batman Begins« durchstehen musste. Das wäre TV-Serien-Niveau. Stattdessen erhöht er den Einsatz beträchtlich, setzt er seinen Helden in Zugzwang, die Macht, die er sich im ersten Film mühsam hat erkämpfen müssen, verantwortungsvoll einzusetzen und bis aufs Blut zu verteidigen gegen einen Antagonisten, der die Essenz von Batmans Mission auf die härtesten vorstellbaren Proben stellt.

Nolan erweitert die dramaturgische Bandbreite von einer persönlichen, nahezu subjektiven Perspektive auf eine stadtumspannende, epische Geschichte des Verbrechens. Neue Charaktere füllen diese Landschaft, nur überfrachten sie bei Nolan das Geschehen nicht als austauschbare Stichwortgeber (vgl. »Spider-Man 3«), sondern faszinieren jeder für sich als genuine Figuren mit plastischer, glaubhafter Zeichnung.

Schon seit Burton war die Balance der Aufmerksamkeit, die ein Batman-Film seinem Protagonisten widmete, und der, die er dessen jeweiligen Gegenspielern schenkte, am Kippeln gewesen. Es ist eine Leistung, in einer ruhelosen, zweieinhalbstündigen Geschichte, die von Schauplatz zu Schauplatz eilt, eine charakterliche Ausgewogenheit zu erzielen, ohne auch nur eine einzige Figur entgegen ihres Wesens zu verbiegen. Sowohl der Joker als auch Two-Face finden in »The Dark Knight« zu ihrer definitiven Form.

Doch die Versöhnung mit der Fangemeinde greift als Erklärung für den immensen Erfolg des neuen Kino-Batmans viel zu kurz. Mit seinem ernsthaften, zugleich leidenschaftlichen Ansatz, der sich weg von einer überzeichneten Fantasiewelt, hin zu einer realistischen Dystopie wendet, macht Nolan die Serie auch kompatibel mit den Ansprüchen derer, die eines sinnentleerten Blockbusterkinos überdrüssig waren.

Man muss kein Comic-Enthusiast sein, um sich in Nolans Batman-Welt zurechtfinden zu können. Nicht einmal die Bekanntschaft mit dem schwarz Gewandeten und seinen Marotten ist unbedingt notwendig. Nolan eliminiert in einem mutigen Manöver den fantastischen Überbau, den seltsamen Comic-Schutzmantel, der dem Geschehen üblicherweise Narrenfreiheit garantierte, gleichzeitig den Zuschauer aber auch auf Distanz hielt. Im Falle von »The Dark Knight« bleibt die manierierte Grummelstimme des dunklen Ritters vielleicht das einzige Hindernis für abgeklärte Geister.

Im Zuge dieses Beinahe-Realismus entfällt ein Zwischenschritt, der immer auf ein Stück Wohlwollen seitens des Publikums angewiesen war, es mithin auf jene Zeitgenossen einschränkte, die den Eigenarten der Comic-Kultur zugetan waren. Nun liegt der Weg frei zu echten Charakteren, und sie alle halten den Aufprall aus. Auf der Folie einer scheinbar simplen Verbrecherstory (Bösewicht mischt Stadt auf) muss sich jede Figur moralisch positionieren, und in einem explosiven Umfeld krimineller Willkür gerät dies zu einem haarsträubenden Drama.

Das Skript der Gebrüder Nolan verdichtet die Handlung zu Situationen schmerzhafter Unausweichlichkeit, deren Spannung niemals zum Selbstzweck verkommt. An diesen neuralgischen Punkten hat das Gewissen der verschiedenen Lager unter der Drangsal einer gewissenlosen Tyrannei einen Feuerprobe zu bestehen – entweder man wächst daran oder man zerbricht.

Viel ist darüber geschrieben worden, welche realen politischen Dimensionen sich wohl in diesen Strukturen widerspiegeln. Der Joker stünde für den Al-Qaida-Terror, Batman für die USA als selbsternannte Weltpolizei, Harvey Dent für die UNO als Instanz der Vernunft. Dass die Autoren die Intentionalität dieser Bezüge leugnen, ist so erwartbar wie unerheblich: Die Weltbilder von Machern fließen ebenso unweigerlich in ihre Werke ein, wie Rezipienten die ihrigen auf sie projizieren.

Dass »The Dark Knight« derlei Deutungsversuche unbeschadet übersteht, spricht für seine unerschütterliche Integrität (ein Film wie »300« scheitert hier). Wohl aber kaum als politische Parabel konzipiert, funktioniert der Film am ehesten als Charakterstudie zweier getriebener Seelen. Batman und der Joker, beide belastet durch schwere adoleszente Traumata, dazu verdammt, gegensätzlichen Zielen zuzustreben: der eine dem rechtschaffenen Frieden, der andere der chaotischen Anarchie. Wie die Pole eines Magneten könnten sie verschiedener nicht sein, und doch ziehen sie sich an, komplettieren sie sich, bedürfen sie einander, um sich zu definieren.

Dieses perfide Verhältnis beutet Nolans Dramaturgie weidlich aus, und das mit einer Präzision, die dem Regie-Kalkül eines Michael Mann zur Ehre gereicht. Das dichte Netz moralischer Fallstricke geht dabei eine erstaunliche Allianz ein mit der monumentalen, überbordenden Action des Films, der keine Sekunde verleugnet, ein Blockbuster zu sein. Gleichwohl hält er sich mit Humor zurück, und seine Schauplätze orientieren sich eher am heruntergekommenen, düsteren Flair eines »Blade Runner«.

Das Rezept funktioniert, es trifft den Nerv der Zeit. Das ureigen amerikanische Pathos hat ausgedient (»Superman Returns« ging nicht umsonst baden), der prototypische Held ist toterzählt, das Kino der Stunde dient nicht als rosa Brille, sondern als Spiegel der doch so komplizierten Welt. So wohlmeinend unser Protagonist auch ist, er steht außerhalb der Gesellschaft, lebt nicht nach deren Regeln und erfüllt mit seinem Handeln den Tatbestand der Selbstjustiz. Eine Gesellschaft, die etwas auf sich hält, muss dies ahnden.

Diese Konsequenz zeigt abermals, dass, obwohl der narrative Rahmen reine Fiktion darstellt, die sich darin entspinnenden Konflikte bar jeder poetischen Autonomie verhandelt werden: Hier regiert auf beinahe qualvoll prosaische Weise das fehlerbehaftete menschliche Naturell. Batman ist in unserer Welt angekommen, und doch ist er es nicht. Er bleibt eine geplagte und gejagte Existenz, so bewunderns- wie bedauernswert.

JG: … and so we’ll hunt him, because he can take it. Because he’s not a hero. He’s a silent guardian, a watchful protector … a dark knight.


Die neuen Comic Book Movies (Teil 3):
The Incredible Hulk

Hamburg, 22. August 2008, 14:10 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

EB: You’ve seen what he becomes, right?
SS: I have … and it’s beautiful, godlike.
EB: I want that. I need that. Give me that.
SS: I don’t know what you’ve got in you already … the mix could be an abomination.

»Achtung! Gekürzte Fassung!« stand in großen Lettern im Kinoprogramm. Nicht gerade ein intelligenter Werbeschachzug, dachte man. Aber so gaben die Kinos den Protest ihrer Kunden an den Verleih weiter; nach den Vorstellungen hatte es nämlich Beschwerden gehagelt ob der Schnitte, die der Film in Deutschland für eine geschäftsträchtigere Altersfreigabe hinnehmen musste.

Ist es wieder so weit? Wird Kunst hierzulande verstümmelt und zensiert? Jugendschutz ist OK, aber hier wird geschnitten nicht im Namen der Moral, sondern der Penunse. Und das prangern wir an. Besonders, wenn es so stümperhaft geschieht wie in diesem Fall. Offenbar durfte der fahrige Pförtner mit dem Buttermesser den Endkampf entschärfen – ein Sakrileg sondergleichen. Auf die Proteste hin erhielten 25 Kinos in Deutschland die Gnade der ungeschnittenen Version – eins davon ganz bestimmt in Ihrer Nähe!

Zum Film. Alle wissen, dies ist der zweite Anlauf des grünen Nervenbündels. Dass die Produktion so tat, als hätte es Ang Lees Version von 2003 gar nicht gegeben, verlieh dem Ganzen einen merkwürdigen Beigeschmack, aber das Kaliber der Produktion sowie des Personals ließ dann doch die Vorfreude wachsen. Gerade in dieser Sparte können verschiedene Herangehensweisen an ein und dasselbe Thema ganz erhellend und unterhaltsam sein.

»Iron Man« hatte gerade den Reigen der Sommer-Blockbuster eröffnet und dem Superhelden-Metier zu einem neuen, aufregenden Spin verholfen. Gerne hätte man angesichts der neuen Hulk-Verwurstung gesagt: »Dasselbe in grün!« Aber man muss konstatieren: nicht ganz. Louis Leterriers Film steht auf eigenen Beinen, ist gut gemacht und unterhält bisweilen ganz prächtig, wächst jedoch nicht in demselben Maße über sich hinaus wie sein Protagonist.

Das mag an der Beschaffenheit des Helden liegen. Super an ihm sind – wenn in erregtem Zustand – lediglich seine unbändige Kraft und seine rasende Wut. Von einem um sich schlagenden Muskelpaket aber ist rationales Denken nicht mehr zu erwarten, das Ding ist nicht mehr Herr seiner selbst. Ang Lee hatte seinem Hulk noch ein Quäntchen mehr Selbstbewusstsein bewahrt, sodass das immer interessante Jekyll-und-Hyde-Thema ein wenig ausgelotet werden konnte.

Edward Norton aber kann nur bibbernd auf seinen Pulsmesser starren, wenn es mal wieder heiß hergeht, und auf den nächsten Ausbruch warten. Und wenn dann sein Schwellkörper die Trikotagen sprengt, gibt es kein Halten mehr; das Grraarrgh! des Monsters schickt die Hirnzellen des Publikums für die nächsten paar Minuten auf Standby. Es gibt mächtig was auf die Augen in »The Incredible Hulk«, und ja, es macht Spaß, auch wenn der Spaß austauschbar ist (originell ist allenfalls die Sequenz auf dem Uni-Kampus).

Den ganzen Beitrag lesen »


Die neuen Comic Book Movies (Teil 2):
Iron Man

Hamburg, 21. August 2008, 07:30 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

TS: What are you trying to get rid of me for? You got plans?
PP: As a matter of fact, I do.
TS: I don’t like it when you have plans.
PP: I’m allowed to have plans on my birthday.
TS: It’s your birthday?
PP: Yes.
TS: I knew that. Already?
PP: Yeah, isn’t that strange? It’s the same day as last year …
TS: Well, get yourself something nice from me.
PP: I already did.
TS: Yeah? Nice?
PP: Oh, it’s very nice, yes … very tasteful. Thank you, Mr. Stark.
TS: You’re welcome, Ms. Potts.

Iron Man? Als die Ankündigung des neuen Marvel-Films die Filmwelt erreichte, zuckte man mit den Schultern. Noch ein Superheld, noch dazu einer aus der B-Liga? Die Flaggschiffe der legendären Comic-Schmiede sind schließlich Spider-Man, der unglaubliche Hulk und die wackeren X-Men. Alle erfreuen sich in Sequels und Spin-Offs bester Gesundheit, und die Konkurrenz schiebt mit Super-, Bat- und Spider-Man ebenfalls unablässig neue Superhelden-Abenteuer ins Kino. Jetzt also noch dieser Eisenmann.

Damals ahnte noch niemand, dass der Film ein einziger Glücksfall werden würde, ein frischer Wind in Blockbuster-Gefilden, der selbst die zynischsten Kritiker reihenweise zu spitzen Schreien des Entzückens veranlassen würde: »Marvel-ous!« Sogar Roger Ebert würde sich die Höchstwertung abringen, und das will was heißen.

Wie hat es also dazu kommen können? Die Figur des Iron Man ist schließlich über 40 Jahre alt, aus welchem Grund würde sie 2008 die Leinwände im Sturm erobern? Weil sie sich wie kaum eine andere für ein Update eignet. Hatte Tony Stark im Comic seinerzeit einschneidende Erlebnisse in Vietnam, geschehen diese heute während einer Waffenvorführung im Hinterland Afghanistans.

Tony Stark ist Waffenproduzent und Genie, muss man wissen, ein Windhund, ein Titan, und ein Playboy dazu. Wer ›Howard Hughes‹ denkt, hat Recht: dessen industrielle wie gesellschaftliche Ausnahmestellung hatten Stan Lee und Larry Lieber im Sinn, als sie die Figur erfanden. Welch Klasse hat dann der Moment im Film, als der Kriegsprofiteur inmitten des detonationsreichen Überfalls auf das Label der sich bereits aufblähenden Granate vor seiner Nase starrt und lesen muss: Stark Industries. Und dann: Ka-Boom!

Die Verletzung reicht tief, ja sie bedroht – bezeichnenderweise – sein Herz, und setzt einen Prozess des Umdenkens in Gang. Vom Waffennarr zum Samariter, das klingt konstruiert, aber schließlich befinden wir uns in einem Comic Book Movie, und das Element ›Moral‹ ist hier durchaus eine Größe, über die andere Helden nicht in die Verlegenheit kommen nachzudenken. Natürlich wird Tony Stark den Teufel tun und den Terroristen, die ihn festhalten, ihre Superwaffe bauen. Stattdessen schmiedet er sich in dieser Höhle ein beeindruckendes, stählernes Exoskelett und marschiert, unverwundbar wie ein überdimensionierter Robocop, in die Freiheit.

Den ganzen Beitrag lesen »


Die neuen Comic Book Movies (Teil 1/Prolog):
Super Helden für alle

Hamburg, 20. August 2008, 07:05 | von San Andreas

(Agenda: PrologIron ManThe Incredible HulkThe Dark Knight.)

Zing! Crunch! Kawoom! Nach Hochkultur klingt das nicht. Obwohl. Feuilletonisten werden nicht müde, soziale Metaphern, politische Bezüge und gesellschaftliche Kritik aus dem brodelnden Genre herauszulesen, das uns neben den bunten Superhelden-Klassikern auch unvermutete Kandidaten wie »A History of Violence« oder »Road to Perdition« beschert hat.

Aber grüne Kraftklopse und Spinnenmenschen, dunkle Rächer mit Cape und Maske, die durch die Gegend flattern und die Welt retten? Kaum die erste Wahl für Kinogänger, deren Vorstellung eines Helden bei Oskar Schindler aufhört und die fliegende Menschen nur in Form ostasiatischer Martial-Arts-Kämpfer klaglos hinnehmen.

Letztere ließ Kunstkino-Ikone Ang Lee einst die Gravitation verleugnen (»Crouching Tiger, Hidden Dragon«), doch fand sich der Regisseur vor fünf Jahren ebenso bereit, ganz unvoreingenommen dem Unglaublichen Hulk zu seinem Bogenlampen-Sprung auf die große Leinwand zu verhelfen.

Der Film war kein Flop, gilt aber beileibe nicht als Erfolg, vor allem da er den Erwartungen der eigentlichen Zielgruppe völlig zuwiderlief. Zehn Minuten Selbstfindungs-Dialog im Dunkeln zwischen Dr. Banner und einem schlimm frisierten Nick Nolte? Das irritierte den Comicfan, das war zu viel Blah, zu wenig Peng. Und Liebhabern distinguierten Kopfkinos blieb der Film verborgen, weil Superhelden, Gott bewahre, in ihrer Welt einfach nicht stattfinden.

Sollten sie aber. Lees zerebraler Entwurf zeigte nämlich vor allem eins: dass der Comicfilm tatsächlich jene profunden Dinge in petto hat, die Essayisten und Kulturphilosophen in das Phänomen hineinanalysieren – nur können sie sich bereits im Film manifestieren, nicht erst in der Nachbereitung.

Die fantastischen Prämissen, die den Geschichten der verschiedenen Comic-Universen zugrunde liegen (Superkräfte aufgrund eines Spinnenbisses, einer außerirdischen Heimat, eines besonderen Gencodes, kosmischer Strahlung, eines Gammastrahlen-Experiments …), mögen mitunter infantil und schablonenhaft erscheinen, motivieren aber gleich eines MacGuffin lediglich das Geschehen, machen das Genre ebenso zum Verhandlungsort menschlicher Befindlichkeiten, wie es etwa die Prämissen der Science Fiction oder der Fantasy tun.

Die besten Werke jeder Sparte benutzen Genre-Schablonen nur als Behelf, um Abgründe der Existenz zu erforschen, in die ›herkömmliche‹ Dramen nur schwer vordringen können. Denn diese besitzen in punkto Prämissen kaum Freiheitsgrade, hängen mit ihnen gleichsam in der schnöden Realität fest und kommen damit nur so und so weit. Der Comic postuliert einfach Superkräfte und erschließt sich damit im Handstreich einen Reigen elementarer Bezüge und Bedeutungen, die dann so fantastisch gar nicht mehr sind.

Den ganzen Beitrag lesen »