Archiv des Themenkreises ›Musikmusik‹


Im Gewandhaus: Dimitrij »Chailly« Kitajenko

Leipzig, 25. Januar 2008, 00:02 | von Austin

Bin also diese Woche überhaupt nicht mehr zum Kaffeeautomaten. »Na, wieder plötzlich Karten über für heute Abend?« Ja. Doch. Und auch heute Abend wieder konsequent selbst hingegangen zu den Einspringer-Wochen im Gewandhaus.

Der erste Eindruck heute: Ein Schlachtfeld. Alte Herrschaften belagern Tische im Foyer. Das Programm für die nächste Saison ist da. Das Gewühl gibt schlaglichtartig Blicke frei auf ältere Damen, die sich gleich fünf Broschüren in ihre Handtaschen laden. Eine davon treffe ich wieder, als sie mich fragt, mit Blick auf meine Jeans, ob der eine Anzug in der Reinigung sei.

Das Gewandhausorchester selbst setzt nahtlos dort an, wo es letzte Woche mit Dvořák aufgehört hat. Ansatzlos zieht Kitajenko die Streichereröffnung von Beethovens »Egmont«-Ouvertüre in die tiefsten Tiefen. Was für ein satter Sound. Und eisenhart dirigiert er weiter. Ein in Erz gegossenes Klangbild. Respekt. Was für ein Einstieg.

Und so geht es weiter in Beethovens 8. und Bruckners 4. Wunderfein, wenn ältere Dirigenten sich darauf verlassen können, sonnenklare Einsätze zu geben, die souverän den Klangfluss facettieren.

Die Lady auf dem Nachbarplatz hingegen – »eine Egmont-Ouvertüre ist doch kein Grund zum Jubeln« – setzt ihre eigenen Akzente mit conaisseurhaftem Gespür für die pianissimo-Passagen. Und sie ist nicht alleine. Idee für »Wetten, dass …?«: Erkennen Sie anhand des Auswurfs und der Röchler den Konzertsaal.

22.30 Uhr. Konzert vorbei. Ovationen für den Solo-Hornisten. Draußen regnet es. Warum das? Neben mir hustet jemand, ich weiche aus, und mein Blick fällt wieder auf Masurs Robotron-Digitalanzeige. Heute ist sie defekt.


Im Gewandhaus: Axel »Chailly« Kober

Leipzig, 19. Januar 2008, 08:30 | von Austin

Ich muss unbedingt die Karte loswerden. Gewandhaus, Riccardo Chailly, Mahlers Erste, Seitenrang. Eigentlich. Bis ich am Donnerstag mit der Straßenbahn am Gewandhaus vorbeifuhr, mein Blick streifte diese sicher noch von Masur eingeweihte Anzeigentafel in Robotrongrün: Heute und morgen Großes Concert, Dirigent Axel Kober. Schnell mit Opera Mini ins Netz. Chailly im Krankenhaus. Und Mahler war auch weg vom Plan.

Also: Weg mit den Karten. Im Institut Mail an alle, will jemand zu Chailly, ich kann kurzfristig nicht. Dann stehe ich beim Automatenespresso und lese in der S-Zeitung, wie Jossi Wieler und Sergio Morabito ihre Regiezusammenarbeit erklären (und die gute Frage von Jörg Königsdorf nicht erklären, warum nur in der Oper und nicht im Schauspiel).

Während ich noch hoffe, dass Wieler/Morabito nicht auch noch krank werden und meine »Maskenball«-Karte am 30. sinnlos machen, zieht das halbe Institut an mir vorbei, Seitenblick mit knapper Frage: Ist Chailly nicht krank? Die scheinen das irgendwie alle schon zu wissen. Mache den Stromberg und tue überrascht. Hilft nix, gehe nun doch selber hin.

Axel Kober, Notprogramm des Gewandhauses

Muss man dem Gewandhausorchester lassen: Edel gerettet.

Auf dem Rang genau mir gegenüber sitzt die Einlasserin, wie immer mit dem Rücken zum Orchester, den Blick voll auf den Mittelblock vor sich.

Idee für einen Film: Was diese Einlasserin alles nicht sieht, wenn sie starr in die Reihen schaut und aufpasst, ob nicht doch jemand stirbt in ihrem Block. Immer mittendrin, aber nie dabei. Tausend Konzerte gehört, aber Masur nie gesehen. Und Chailly auch nicht. Wie wir alle heute nicht, die wir stattdessen Axel »Chailly« Kober sehen – und hören, wie zwar am Anfang alles ein bisschen zur großen Oper wird als wär’s Verdis »Otello« im Dauersturm. Aber dann holen sie doch das gigantische Finale von Dvořáks Achter aus dem Handgelenk, als wär’s Alltag.

Und immerhin hören wir den sensationellen Benjamin Schmid, Violine. Und wie der dann die Zugabe ankündigt und in feinstem Wienerisch die Worte in den Saal fallen lässt: »Heinrich–Ignaz–Franz–Biber. Die Passacaglia.«

Zweiter Gedanke: dass man tatsächlich auch wienerisch Violine spielen kann. Dritter Gedanke: wieder mal nach Wien fahren, wieder mal ins Diglas.