Eins vorweg: Manches an diesem Buch ist kaum lesbar, manches kann ärgerlich wirken. Es hat eine reichlich überdrehte zweite Hälfte. Aber etwas anderes ist viel bedeutender. Es ist so wichtig, dass es Dietmar Dath überhaupt gibt und dass er schreibt, wie er schreibt: Wahrscheinlich ist er der Größte unter den jüngeren Autoren.
Das muss erklärt werden. Oberflächlich gesehen geht es in „Waffenwetter“, Daths neuem, ungefähr neuntem Roman, nur um ein 17-jähriges Mädchen und die hanebüchene Angst, eine alaskischen Funkstation erfülle geheime, natürlich böse Zwecke. Verschwörungen sind beliebt in Pop und Popliteratur. Man denke an Marc Fischers „Eine Art Idol“ oder „Metan“ von Christian Kracht und Ingo Niermann.
Sex im Auto und andere Teenagerprobleme
Dath geht es alltagsnah an. Claudia Starik macht bald das Abi. Ihre Eltern mag sie nicht, vertraut ist sie nur mit Konstantin, dem Großvater. Der Superintellektuelle, vielleicht ein Alter Ego des Autors, ist auf Gebieten wie Physik oder Theorie des Kommunismus bewandert wie kein zweiter. Er will mit Claudia etwas ergründen: Wozu ist die Haarp-Anlage im Wald Alaskas da?
Dieses militärische Forschungsprojekt will mit 48 Kurzwellen-Sendemasten die Ionosphäre erforschen. Heißt es. Seit die Anlage in den neunziger Jahren vergrößert wurde, gab es Berichte – selbst in der BBC –, dass die USA damit eigentlich Naturkatastrophen auslösen wollten. Oder, die verschärfte Variante, das es ihnen um Gedankenkontrolle mittels niederfrequenter Wellen gehe.
Doch zunächst mischt sich das Gerede um’s Geheimnis mit dem Alltag einer jungen Frau. Es gibt Sex im Auto – Sitze runter, Scheiben beschlagen, das Gerangel, wer oben liegt im Platzmangel – oder hilflose Wut, als im Museum der Geliebte mit seiner Frau reinkommt. Schöne Ellipsen runden manchmal ein Kapitel ab: „scheiße alles scheiße haß.“ Claudia ist auch einfach nur Teenager, und ihr mögliches Inneres erstaunlich luzide erfühlt. Man lernt sie kennen, seltsam indirekt, in einer Art fragmentarischem Gedankentagebuch.
Hier soll der Leser nachdenken
Dieser fragmentarische Charakter ist ein wenig überbetont. Jedes Wort ist klein geschrieben, die Kapitelstruktur ist kaum nachvollziehbar, auf jeder Seite lässt der Autor ein bis zweimal Sätze ins Leere laufen, sie enden einfach grammatikalisch unvollständig. Natürlich muss der große Dath sich um niedere Dinge wie die Verständlichkeit oder gar sein Publikum nicht scheren. Aber, wer einen erwartbaren Satzbogen beginnt, der soll ihn auch - . Sonst wirkt das nur - .
Nähme man dazu noch das prätentiöse Nachwort ernst, könnte man auf einen Holzweg geraten und Dath für einen Fatzke halten. Doch das alles ist Geste und kalkulierter Manierismus. Der Mann ist oft missverstanden worden. Sein „Höhenrausch“, eine Sammlung von 20 Physikerbiographien, wurde von Fachleuten als ungenau kritisiert, war aber an Laien gerichtet.
Bei seinem letztem Roman „Dirac“ musste er dazusagen, dass es ihm nicht um plumpe Geschichtskenntnis gehe. Er ist kein Kehlmann. Er will das Denken nicht ersparen, sondern in Gang setzen.
Ein Revolutionär der Literatur
Im zweiten Teil des neuen Buchs ist die Schülerin auf einmal wirklich in Alaska. Identität, Traum und Welt, alles zerfällt. Einmal trifft sie sich selbst an einer Hoteltür. Unbekannte säen Misstrauen zum mitgereisten Opa. Bibelexegese durchzieht den Text. Bis Claudia, als Person schon arg dekonstruiert, in einer Situation hängt, mit der einst auch Umberto Eco sein „Foucaultsches Pendel“ beschloss: Verloren ist sie, entdeckt, und SIE kommen auf einmal wirklich, wahrscheinlich, um einen zu holen.
Ein hyperproduktiver Autor ist Dath, der Möglichkeiten des Sprechens erforscht. Denkgrenzen gelten ihm nichts. Sein Schreiben ist ein Experiment, nach langer Zeit in der deutschen Literatur mal wieder. Rainald Goetz dürfte er längst beerbt haben. Einen Preis zahlt Dath allerdings: Es gibt wenig zu Lachen.
Dath steht ziemlich allein da in der deutschen Literatur und hat dafür nicht den Modus des Kämpfers gegen Windmühlenflügel gewählt, der immerhin noch Galgenhumor erlaubt, sondern den des letzten heiligen Fackelträgers. Das muss man ertragen können. Dietmar Dath ist der einzige Mahner, der wenigstens untersucht, wohin Literatur gehen könnte, wenn sie sich den Brüchen der Gesellschaft stellen und entgegenstellen will. Nur das ist wirklich revolutionär. Man kann ihm dafür nicht dankbar genug sein.
Dietmar Dath: Waffenwetter. Suhrkamp, 17,80 Euro.