Archivo Bolaño 1977-2003

In den vergangenen zwei Jahren habe ich über verschiedene Kontakte versucht, Einblick in einen Teil des „Bolaño-Archivs“ zu bekommen. Dieses Unterfangen stellte sich als reichlich schwierig heraus, was nicht zuletzt an der Literaturagentur liegt, an die Carolina López das Material übergeben hat und die seitdem auf den Manuskripten sitzt und den Nachlass systematisch verwertet – da sind fremde Augen wohl nicht gewünscht. (Ich spreche hier nicht über Haie und Gusanos, das überlasse ich anderen Medien) Und trotzdem hatte ich in der vergangenen Woche endlich die Möglichkeit, die ersehnten Dokumente zu bestaunen, da in Barcelona eine Ausstellung eröffnet wurde und der Zufall mich zur eröffnenden Pressekonferenz gedrängt hatte. Aber der Reihe nach:

Carolina López schreibt in einem kleinen Grußwort zur Ausstellung „Archivo Bolaño 1977-2003“, dass zuerst bis Ende 2005 alle Dokumente aus Bolaños persönlichem Archiv in Boxen verpackt wurden. Erst ab 2006 sei gesichtet worden. Unter dem Material in diesem Archiv befinden sich nummerierte Ordner mit Manuskripten, Korrespondenzen, Fotos, Notizbücher, Zeitschriften und Zeitungsausschnitten und auch Servietten und kleine Notizzettel mit Ideen und Entwürfen, um nur einen Teil zu nennen.

Hinzu kommen unzählige Dateien auf seinen Festplatten und Disketten. López schreibt, dass man noch lange nicht am Ende der Bewertung aller Materialien und Korrespondenzen sei, die Arbeit gehe weiter. Trotzdem könne man das Material bereits mit ungefähren Zahlen belegen:

  • 14.374 Seiten un/-veröffentlichter oder bearbeiteter Inhalte in analoger Form
  • darunter 26 Geschichten, vier Romane, Gedichte, Entwürfe, Briefe und Tagebuchnotizen
  • 24.000 Seiten solcher Inhalte in digitaler Form
  • darunter etwa noch 300 unveröffentlichte Seiten
  • 200 davon Prosa
  • 100 davon Lyrik

Ein erster Teil dieser Dokumente kann seit dem 5. März und noch bis zum 30. Juni im CCCB – Centre de Cultura Contemporània de Barcelona betrachtet werden. Darunter befinden sich knapp 230 Originale aus der Sammlung, hunderte Fotos und Bücher und einige audiovisuelle Konzeptionen zu Bolaños Werk und Herkunft. Die Ausstellung ist in drei zeitliche/räumliche Abschnitte aufgeteilt:

  • 1a) La universidad desconocida. Barcelona 1977-1980
  • 2a) Dentro del caleidoscopio. Gerona 1980-1984
  • 3a) El visitante del futuro. Blanes 1985-2003

bcn-27
Wie es der Zufall will, habe ich im vergangenen Jahr bereits einen Kurztrip nach Barcelona gebucht gehabt, ohne von der Ausstellung zu wissen. Vom 3. bis 6. März. Wenn das kein Zeichen ist. Über die netten Damen der Zentrums bekam ich eine Einladung zum Presseevent am 5. März, zu dem auch Carolina López und Bolaños Kinder eingeladen waren. Es gab eine nette Konferenz, nach der Carolina noch einige Fragen beantwortete. Carolina wirkte glücklich, lächelte viel und schien sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Ausstellung. Trotzdem merkte man ihr gelegentlich eine gewisse Schwermut an, was jedoch möglicherweise nur meiner Wunschvorstellung entspricht.


bcn-24

bcn-25
Die Ausstellung selbst gleicht einem langen schwarzen Tunnel. Man bewegt sich zwischen dumpf ausgeleuchteten Ausstellungsstücken immer tiefer in den Kosmos Bolaño, geht dabei die zeitlichen und kreativen Stationen ab, bekommt Einblicke in seine Arbeitsweise und seine Gedankengänge. Konjugationen der Worte Reiter/Reiten auf einem Zettel zu 2666 bis zu ganzen Notizbüchern mit den ersten Fassungen seiner früheren Romane werden ausgestellt. Hier einige erste Eindrücke, einige Elemente werde ich in einzelnen Beiträgen genauer beleuchten:
archivobolano-17
archivobolano-8
archivobolano-10
archivobolano-3
archivobolano-2
bcn-34
bcn-32
Unterbrochen wird das Ganze immer wieder von kleinen Installationen, die das Bolañisten-Herz höher schlagen lassen:
bcn-31
Viele Fotos und Erinnerungsstücke werden ausgestellt:
archivobolano-11
archivobolano-18

Ich bin die dunklen Pfade der Ausstellung gewandert und fühlte mich von jedem einzelnen Ausstellungsstück merkwürdig berührt. Es ist wirklich der Bolañisten-Himmel, der dort aufgebaut wurde und trotzdem, und ich weiß nicht ob das gewollt ist, macht einen diese Ausstellung unglaublich traurig. Wenn es auf das Ende zu geht, der Tunnel immer enger wird und sich zu den letzten Fragen aus „Die wilden Detektive“ verdichtet, man die vielen posthumen Übersetzungen Bolaños sieht und schließlich, in einer kleinen, schlecht beleuchteten Box seine Brillen zu einem traurigen Dreigestirn von „hätte, wenn und aber“ drapiert sind: dann möchte man alles zurücknehmen, all den Enthusiasmus, mit dem man durch den Nachlass eines Mannes gestapft ist und nur einmal die Gelegenheit haben, mit Roberto Bolaño einen Cafe con leche zu trinken und ihn nach seinem Lieblingsroman zu fragen.
archivobolano-12
archivobolano-4
archivobolano-9
archivobolano-15
archivobolano-14

 

2 Responses to “Archivo Bolaño 1977-2003”

  1. Herbert Fraunhoffer

    Nachdem ich jetzt auch die Bilder sehen konnte 🙂 bin ich noch mehr beeindruckt, als ich es eh schon nach Deinen Berichten und Schilderungen schon war! Deine Eindrücke kann ich Deinen Worten und Bildern nach gut nachvollziehen und es freut mich sehr für Dich, dass diese Gelegenheit bekommen und gehutzt hast!

Schreibe einen Kommentar

Basic HTML is allowed. Your email address will not be published.

Subscribe to this comment feed via RSS