Bob Dylan ist ein Künstlername. Robert Zimmerman hat ihn sich von dem walisischen Poeten Dylan Thomas geliehen. Er sah sich also in einer Tradition, in der literarische Ehrungen nicht ganz ausgeschlossen sind, Nobelpreise aber eher wie Blitzeinschläge wirken. Was also ist an diesem Bob Dylan dran, daß er als erster Folk- und Rockmusiker den großen Literaturpreis bekommt? Ria Endres hat bei einem Konzertbesuch das Phänomen Dylan zu fassen versucht.
Bob Dylan
»Es ist noch nicht alles zu Ende, aber bald«
Von Ria Endres
„Mister Bob Dylan!“ sagt jemand in die noch dunkle Bühne hinein. Ich höre zuerst eine Gitarre und seine Stimme, bevor er, vom Scheinwerfer bestrahlt, an der Bühnenrampe auftaucht. Ein Mann steht auf der Bühne: klein, schmal, mit eingerosteten Gliedern. Vorerst. Seine umgeschnallte Gitarre wirkt wie ein Puffer zwischen sich und dem Publikum. Überhaupt scheint er das Publikum in der Jahrhunderthalle kaum wahrzunehmen. Bob Dylan, ein Gespenst aus vergangenen Tagen? Er sieht aus, als hätte er eine schlecht sitzenden Perücke ausgeliehen und das fremde Haar so wie früher hingekämmt. Aber es sind seine eigenen grauen Grusselhaare. Diese Gestalt in dem hochgeschlossenen, schwarzen, langen Frack aus dünnem Stoff, darunter ein rosa Hemd und eine rosa Krawatte, kommt von weit her. Unter dem Mantel schauen zwei dünne Beine hervor, die ebenfalls in einen schwarzen Stoff gehüllt sind. So ähnlich, nur jünger, sah er im Film „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ von Sam Peckinpah aus. Übrigens hieß er damals Alias. Bob Dylan ist immer wieder ein anderer und ein ganz anderer geworden. Nun wirkt er so, als sei er sich selbst ein wenig unheimlich. Sein weiß geschminktes Gesicht mit den dünnen Augenschlitzen und den verschobenen Backenpartien ist doch nur eine Maske von Bob Dylan. („Je intensiver man lebt, umso präsenter wird der Tod“, sagt Francis Bacon.) Wäre da nicht diese Jahrhundertstimme, die sich als krächzender Singsang ihren Weg bahnt. Diese Stimme haucht seinem Körper Leben ein. Bald bewegen sich die Beine – zuerst seltsam verzögert, als ob der Antrieb nicht richtig funktionierte, dann endlich doch im Rhythmus seiner Songs.
Warum geht er noch auf Tour, wo er doch schon einige Abschiedskonzerte hinter sich hat wie zum Beispiel auf der Isle of White? Das ist schwer zu beantworten. Bob Dylan gäbe sicher nicht 100 Konzerte im Jahr, wenn seine Musik nicht Säle füllte. Er hat sein Publikum und er braucht es, wenn er auch nicht um uns wirbt und wahrscheinlich nicht werben muss. Wozu? Einfach, um sich nicht nur zu verausgaben, sondern auch, um Energie zurückzubekommen. So schließt er den Schaltkreis. „I can change“ singt er und weiß, dass es das Publikum begreift. Deshalb zitiert er sich selbst oft so verfremdet und deutet nur an, was alle längst gespeichert haben. Nur einmal greift er während des Konzerts kurz nach der Mundharmonika, als wollte er sagen: Wisst ihr noch, damals … Der Kreis schließt sich auch an diesem Abend in dieser never-ending tour. Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit für ihn, seine Lieder nicht sterben zu lassen. Und das Publikum ist verzaubert. Worte und Töne vermischen sich aus seinem unerschöpflichen Repertoire, bilden neue Melodiebögen, dehnen sich aus, überstürzen sich und kleben zäh aneinander, bis ein Song zu Ende ist. Erstaunlich, dass aus diesem kaum geöffneten Mund so kräftige Töne dringen. Jedes Lied hat eine andere Gangart. Man hört verwehende, klagende Klangminiaturen, aber auch Rock´n Roll. Bob Dylan kann beinahe alles. Doch sogar bei seinen fast atonalen Gitarrensoli will er nur andeuten, wie endlos weit seine Musik reicht. Er reiht ohne Pause ein Lied an das andere, wie ein fahrender Sänger einen Fuß vor den anderen setzt, immer weiter unterwegs. Einer, der nie ankommen wird. Einer, der weiß, was es heißt, zu fallen.
How does it feel
To be on your own
With no direction home
Like a complete unknown
Like a rolling stone?
Die weißen Hände berühren die Seiten kaum und doch tun sie es. Bereits nach drei, vier Minuten gibt es keinen Zweifel mehr: Dieser Mann wird auch an diesem Abend am 22. September 2000 in der Frankfurter Jahrhunderthalle sein melancholisches Universum wieder neu erschaffen. Sein Land aus Tönen und Worten umgibt ihn schon einige Jahrzehnte. Bob Dylan tut seine Arbeit ungebrochen suggestiv, perfekt, atemlos, ruhelos, leise und doch stark. Wie ein Zimmermann bearbeitet er seine Welt der Wörter und Töne, aber nie so, dass er sich wirklich von sich und seinem eigenen musikalischen Kosmos entfernt. Seine jüdischen Wurzeln und die Gospeltradition bilden ein Amalgam. Viele sehen ihn an der Klagemauer. In der Jahrhunderthalle Frankfurt-Höchst begibt er sich noch einmal in die Tradition des Blues und bleibt sich doch immer treu. Sein Körper kommt allmählich in Bewegung, aber es ist kein Gezappel wie bei Mick Jagger und er will sein Publikum weder durch Männlichkeit noch Charme gewinnen. Es liegt ihm fern, so zu tun, als sei er noch ganz schön jung und fit. Er weiß, dass er eine Ikone ist und damit auch eine Zumutung für sich selbst und vielleicht auch für uns.
Wie kann man der Festlegung auf eine Ikone entkommen? Bob Dylan versucht immer noch, sich zu verändern. Er ist eben kein zurückgebliebener Country-side-Typ geblieben. Er spielt mit seinen Stilen. Seine Lieder sind unverwechselbar und vielleicht deshalb manchmal auf der Flucht vor sich selbst. Aufregend, auf welchen musikalischen Wegen er sie einfängt. Also eine paradoxe Situation. Bob Dylan, oder besser: Robert Zimmerman singt, wie Bob Dylan immer seine Balladen gesungen hat und doch ganz anders. Er bietet dem Publikum mit seiner starken und doch fast körperlosen Stimme Musikgeschichte. Ist ein Song zu Ende, dreht er sich um. Für jeden neuen Song wird ihm eine frisch gestimmte Gitarre gereicht und damit auch ein anderes Zitat. Dafür braucht er keine überdrehte Bühnenshow mit gigantischem Aufwand. Er ist ein zu großer Musiker, dass er sich damit zufrieden geben könnte, seinen eigenen Ausverkauf zu betreiben. Er singt die alten Lieder so, dass man sie nur noch erkennt wie den Mond zwischen den Bäumen eines dichten Waldes. Manchmal meckert er fast wie eine Ziege oder er kräht wie ein Vogel. Tierlaute vermischen sich mit genialen Gitarrenklängen. Natürlich sind Erinnerungen da, seine und die des Publikums, und sie können jederzeit belebt werden. Wie sehr hat sich unser Lebensgefühl geändert. Wie seine Musik. Trotz aller musikalischen Variationen ist jedoch bei diesem Konzert das alte Gefühl wieder da, das ich beim Hören seiner Stimme immer hatte. Diese unendliche Traurigkeit, diese Spur der Melancholie. Jetzt sitzt sie nicht mehr in einem jungenhaften, introvertierten Sänger. Er lacht nie (hat er je gelacht?) und wenn er es doch manchmal andeutungsweise versucht, entsteht eine Grimasse. Er schüttelt sein Bein wie eine Marionette, die Gitarre zieht er nah an seinen Körper oder entfernt sie abrupt, als wollte er sagen: Seht, so habe ich das früher gemacht. Ihm gefallen solche Ironisierungen von Zitaten. Es sind Lieder eines fahrenden Gesellen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Immer wieder geht es zurück zum Highway Sixty Six. Und weiter, sogar nach Deutschland, mitten hinein in die Jahrhunderthalle. Er beobachtet sein Publikum, streckt seine unsichtbaren Fühler aus, ist gar nicht zynisch, wie so oft gesagt wurde. Im Gegenteil: Er liefert seine ganze musikalische Arbeit ab. Wir scheinen seine Lieder zu kennen und kennen dieses Bob Dylan-Universum immer noch nicht. Es gehört zu den offenen Geheimnissen, dass die Entscheidung, wer den Literaturnobelpreis im Jahr 1999 erhalten sollte, zwischen Günter Grass und Bob Dylan fiel. Für seine Texte hätte er den Literaturnobelpreis schon damals verdient. Das Publikum ist fasziniert und vielleicht auch ein wenig erschreckt; wir sehen in ihm, wie alt wir bereits geworden sind. Er ähnelt immer mehr und nicht nur äußerlich einer Beckettfigur. In dem grandiosen Album „Time Out of Mind“ von 1997 heißt es in seinem Song: „Not Dark Yet“:
Ich war auf dem Grund der Welt voller Lügen
Jetzt suche ich in niemandes Augen mehr nach nichts
Manchmal scheint mir meine Last zu schwer zu tragen
Es ist noch nicht dunkel
Aber bald wird es so sein.
Bob Dylan setzt gegen unsere sich immer mehr beschleunigende, unterhaltungsterroristische Welt den Zeittakt endlos gedehnter Augenblicke. Seine Lieder haben keine Schlacken angesetzt. Sie sind nicht vermüllt. In ihnen steckt eine geheimnisvolle Lebendigkeit. Töne und Worte erschaffen sich eine merkwürdige Unsterblichkeit. Auf ihren Klang, den dieser letzte romantische Troubadour hervorzaubert, bevor er an die Himmelstür klopft, wenn sich die Nacht herabsenkt, ist mehr denn je zu hören.
Siehe auch
Martin Wimmer: Bob Dylan – Ein literarisches Versprechen
Pop-Splitter von Michael Behrendt: Bob Dylan
Volker Breidecker: Bob Dylans 75. Geburtstag
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erstellt am 09.12.2016